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Koexistenz an der Adria

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Der Staatsbesuch des italienischen Präsidenten, Giuseppe Saragat, in Jugoslawien fiel in eine günstige Phase der italienisch-jugoslawischen Wirtschaftskooperation, die zur Zeit einen Höhepunkt erreicht hat, aber immer noch ausbaufähig ist. Kein Wunder daher, daß sowohl Saragat als auch Gastgeber Tito von diesem Geist erfüllt waren und daraus kein

Hehl machten. Viel hat zu diesem guten Verhältnis beigetragen, daß Italien die territorialen Ansprüche gegenüber Jugoslawien begrub und Belgrad die eigenen weitgehend befriedigen konnte. Paradoxerweise gelang dies zwei grundverschiedenen sozialökonomischen Systemen zum erstenmal. Zweifellos hat dazu auch der konstante Druck aus Sowjet europa auf Jugoslawien beigetragen. Heute steht die wirtschaftliche Zusammenarbeit an der ersten Stelle, die nicht nur Saragat und Tito beschäftigt und so gut gedeiht. Ohne italienische Finanzinjektionen hätte Tito-Jugoslawien den Bankrott kaum vermeiden können. Seit Jahren hält Italien den ersten Platz im jugoslawischen Außenhandel! Das

Gesamtvolumen des Warenaustausches von 1968 näherte sich der Höchstgrenze von 450 Millionen Dollar. Im Warenaustausch spielt der freie „Kleingrenzverkehr“ eine große Rolle. Er ist durch ein „Grenzhandelsabkommen“ geregelt, an dem die italienischen größeren Grenzstädte direkt beteiligt sind. Es handelt sich nicht nur um ein Clearingarrangement, sondern auch um Zollerleichterungen, die den Handelsverkehr beschleunigen. Das Volumen dieses Grenzhandels betrug im Jahre 1964 nur 28 Millionen Dollar, im Jahre 1968 hingegen schon fast 50 Millionen.

Millionen Dollar rollen

Ohne großzügige italienische Kreditpolitik wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Außer zahlreichen kurzfristigen italienischen Bankkrediten erhielt Jugoslawien schon 1962 bis 1966 nicht weniger als 359,1 Millionen Dollar Kredite. Außer Washington hat niemand so viel Verständnis für die jugoslawischen wirtschaftlichen Schwierigkeiten gezeigt wie Rom. Als Belgrad 1965 die Wirtschaftsreform beschloß, ersuchte Jugoslawien um ein Konvertierungsdarlehen zur Deckung der Schulden, die von 1966 bis Ende 1968 fällig werden sollten. Dem Gesuch wurde in Italien stattgegeben und die erste Rate von 15 Millionen Dollar zur Deckung der Ende 1966 fälligen jugoslawischen Schulden flüssig gemacht.

Zwischen italienischen und jugoslawischen Unternehmen sind derzeit ungefähr 200 Lizenzkontrakte in Kraft. Das größte Gemischtunternehmen SACET hat in Mailand seinen Sitz. Zahlreiche jugoslawische Staatsunternehmen gründeten ein Gemischtunternehmen mit italienischen Firmen. Das beste Beispiel ist die Kooperation zwischen der italienischen Fiat-Automobilfabrik und dem jugoslawischen Unternehmen Crvena Zastava. Bekanntlich werden danach in Jugoslawien mit Fiat-Lizenz Personenautos hergestellt, wobei eine finanzielle Kooperation auf Basis der gerechten Teilung der Risiken und des Profits etabliert wurde. ,

Nicht nur der italienisch-jugoslawische Warenaustausch, sondern auch der „Volksaustausch“ wurde intensiviert. Die Grenze ist vollkommen offen. Im vergangenen Jahr passierten die Grenze insgesamt 63 Millionen Menschen. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres waren es bereits 19 Millionen, die nur im „kleinen Grenzverkehr“ hin und her pendelten. 1968 besuchten mehr als 600.000 Italiener als Touristen Jugoslawien, was früher unvorstellbar gewesen wäre.

Die italienisch-jugoslawische Zusammenarbeit beschränkt sich nicht nur auf die Wirtschaft. Wissenschafter, Filmproduzenten, Künstler und die sozial-politischen Organisationen arbeiten ebenfalls intensiv zusammen. Daß dabei die kommunistischen Parteien die Spitzenreiter sind, versteht sich von selbst. Jugoslawiens größte „Frontorganisation“, die Jugoslawische Sozialistische Allianz, kooperiert auch mit der Italienischen Sozialistischen Partei. Große Fortschritte wurden auch in der Zusammenarbeit der Gewerkschaftsführungen erzielt.

Saragat und Tito warteten in diesen Tagen mit keinen spektakulären neuen Abmachungen auf. Wozu auch? Italien und Jugoslawien sind verhältnismäßig kleine Mächte, sie beanspruchen für sich keine weltpolitische Rolle. Sie sind lediglich an der Ausweitung und Festigung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen interessiert.

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