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Zelle 136, Genosse Direktor!

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Bis in höchste Kreise des Partei- und Staatsapparates reicht Jugoslawiens jüngster Wirtschaftsskandal. Das Ausmaß der Affäre ist so umfangreich, daß vordem Ende dieses Jahres nicht mehr mit der Eröffnung des Prozesses gerechnet wird. In die zwielichtigen Vorgänge, bei denen es um mehrere Millionen Schilling geht, sind nach Informationen der jugoslawischen Po-lizei eine Reihe westeuropäischer Banken verwickelt.

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Bis in höchste Kreise des Partei- und Staatsapparates reicht Jugoslawiens jüngster Wirtschaftsskandal. Das Ausmaß der Affäre ist so umfangreich, daß vordem Ende dieses Jahres nicht mehr mit der Eröffnung des Prozesses gerechnet wird. In die zwielichtigen Vorgänge, bei denen es um mehrere Millionen Schilling geht, sind nach Informationen der jugoslawischen Po-lizei eine Reihe westeuropäischer Banken verwickelt.

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Bis vor knapp sechs Wochen zählte der Geschäftsmann Slobodan „Batä“ Todorovic zu den gern gesehenen Stammgästen des Belgrader Nobelhotels Jugoslavija. Dann mußte er sein komfortables Quartier mit einer harten Pritsche in der Zelle 136 des Zentralgefägnisses am Juzni-Boulevard vertauschen. Ihm folgten im Laufe der nächsten Wochen etwa drei Dutzend leitende Direktoren und Manager führender jugoslawischer Großbetriebe nach. Die Verhaftungswelle ist noch keineswegs abgeschlossen. „Batä“ Todorovic, der sie auslöste, kann mit einer langjährigen Haftstrafe rechnen. Gegen ihn wird nach Paragraph 100 des jugoslawischen Strafgesetzbuches ermittelt, das heißt: wegen schwerer Wirtschaftsverbrechen, die als Angriff auf die Existenz des Staates zu werten sind. Was hat er tatsächlich getan?

1969 war Todorovic in die USA ausgewandert, von wo er zwei Jahre später nach Italien übersiedelte. Quer durch Europa gründete er eine Kette von etwa 30 Firmen und beteiligte sich an mehreren Privatbanken. Sie alle dienten ihm für die Abwicklung undurchsichtiger Transaktionen, Devisenschiebereien und profitabler Switch-Geschäfte mit jugoslawischen Staatsfirmen. Dabei wurden Export-Subventionen auf Privatkonten überwiesen und Differenzbeträge zwischen der offiziellen Rechnungseinheit Dollar und dem jugoslawischen Dinar abgezweigt. Auf Todorovics Seite waren es besonders seine Firmen Fintra-mark und AF, die hohe Dinarbeträge auf dem Weg des Devisenschmuggels in westliche Valuta umwandelten. In Jugoslawien wird gegen die Handelsgesellschaften „Unibet“ und „Technomaterial“ ermittelt, deren Direktoren sich aber noch rechtzeitig ins Ausland absetzen . konnten. Beim Export-Import-Unternehmen „Jadran“, das im Dorf Sezana an der italienisch-jugoslawischen Grenze residiert, hatten die Fahnder mehr Erfolg: In der Privatvilla des Direktors wurden mehrere Sparhefte von Schweizer Banken mit Einzeleinlagen von jeweils über 100.000 Franken gefunden, mehrere Goldbarren, zehntausende Dollars und Deutsche Mark in bar. Auch bei seinem Stellvertreter und dem Oberbuchhalter wurden solche Ersparnisse gefunden.

Obwohl die Geschäftsgebarung der sozialistischen Selbstverwaltungsbetriebe mindestens einmal jährlich überprüft werden sollte, scheint dies hier nicht der Fall gewesen zu sein — oder die Kontrolleure waren ebenfalls korrumpiert.

Potentielle Betrüger entdecken im sozialistischen System leicht Lücken, und die Sorglosigkeit ihrer Vorgesetzten und der Behörden machen es ihnen leicht: So wurde vor kurzem einem Beauftragten der Jugo-Banka in Belgrad von der Generaldirektion ein Barscheck auf 10 Millionen Dollar ausgehändigt. Damit entsandte man ihn zu Geschäftsabschlüssen nach Paris. Dort löste er den Scheck ein und verschwand nach Südamerika. Zuvor hatte er jedoch, ohne daß die Behörden Verdacht geschöpft hätten, seinen Hausrat und seine Wohnung in Belgrad verkauft und mit dem Erlös daraus vorsorglich schon die Flugkarten ins Exil erstanden.

Die uferlosen Korruptionsaffären werfen ein gleißendes Licht auf die Schwierigkeiten des jugoslawischen Wirtschaftssystems. Zentralkomitee und Kontrollinstanzen sind sowohl fachlich als auch menschlich überfordert. Wie soll man auch hochdekorierten Partisanen, verdienten Parteigenossen und bewährten Staatsbeamten beikommen, die, mit führenden Positionen in der jugoslawischen Wirtschaft betraut, den kapitalistischen Verlockungen nicht widerstehen können?

Anderseits kommen die großen Skandale und ihre Konsequenzen den Verantwortlichen in der Belgrader Regierung sehr gelegen. Angesichts einer nicht mehr zu verheimlichenden gigantischen Wirtschaftsflaute und eines daraus resultierenden gewaltigen Staatsdefizits findet man hier billige Sündenböcke, die man für die eigenen Fehler verantwortlich machen und an den Pranger stellen kann. Mögen Mißwirtschaft und Spekulation, wie im Fall Todorovic dem Staat tatsächlich mehrere hundert Millionen gekostet haben — die Letztverantwortung für die allgemein triste Lage liegt beim System und seinen dogmatischen Verfechtern.

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