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Gauner im roten Frack

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Der „neue Mensch“ im sozialistischen Staatsgefüge kennt offiziell keinen Makel. Da die „Grundlage“ für das Verbrechen fehlt, nämlich die „verderbte, profitgierige Unmoral des Kapitalismus“, kann gar nicht seih, Was nicht sein darf. Östliche Massenmedien erwähnen niemals das Freiwerden echter krimineller Energie, in welcher Form das auch immer geschieht.

Vor dem feudalen Landhaus stand ein Dutzend frischpolierter Limousinen, meistens Wolga, aber auch Mercedes und ein neuer Chevrolet. Weißbeschürzte Dienstmädchen servierten den Morgenkaffee „Made in Brazil“, während die Herrschaft und ihre Gäste die Auswahl aus einem Schrank voll erlesener Winchester und Burley-Jagdgewehren traf. Eine Viertelstunde später wurde zum Halali geblasen. Und während der Nebel sich im Wald rund um die „Jagdhütte“ im Somogy-Distrikt hob, mußten zahlreiche Rehe, die eigentlich von Rechts wegen dem Staat gehörten, dran glauben.

So und noch ein bißchen anders lebte Dezsö Ulyes, der „rote Baron“ von Somögy bis zum Frühherbst des Vorjahres. 20 Jahre lang hatte er der Partei treu gedient.

Für seine Verdienste hatte man ihn zum Direktor der holzverarbeitenden Musterbetriebe in Somogy ernannt. Dort hielt er sich schadlos für die kargen Jahre des mühsamen Aufstiegs. Er betrachtete die Farm als seinen Privatbetrieb und handelte dementsprechend. Unter anderem ließ er sich von Arbeitern seines Betriebes ein Sommerhaus am Balaton bauen. Dann kaufte er eine Obst-plantage, ließ eine zweistöckige Villa mit Garage darauf errichten und vermietete sie im Sommer an Touristen. Mehrere Jagdhäuser, die er sich obendrein bauen ließ, stattete er mit modernsten Kühlschränken, Farbfernsehern und Perserteppichen aus.

Versuchte ein Angestellter, den „roten Baron“ zu kritisieren, wurde er prompt gefeuert. An seine Stelle trat dann meist ein ehemaliger Krimineller, mit dem Illyes leichtes Spiel hatte. Er beschäftigete schließlich mehrere frühere Diebe und einen ehemaligen Forstdirektor, der seinen letzten Posten wegen. irgendwelcher Korruptionsaffären hatte aufgeben müssen.

Die Ergebenheit dieser Leute, ermöglichte es Illyes, fast drei Jahre lang das Leben einer Made im Speck zu führen. Als die ersten Beschuldigungen gegen ihn ruchbar wurden, schickte er eines seiner Subjekte aus, um die vermutlichen Anzeiger zu erpressen. Schließlich wandte sich ein loyales Parteimitglied direkt an das ZK in Budapest und Ulyes' Aufstieg und Fall bekam sogar im Parteiorgan „Nepszabadsäg“ Publizität. Von einer Verhaftung mit anschließender Gerichtsverhandlung konnnte man in den folgenden Monaten allerdings nichts lesen. Vielleicht haben Illyes und seine einflußreichen Jagdgäste ihre Köpfe aus der Schlinge gezogen. Es fällt eben schwer, auf „Fachleute“ zu verzichten...

Uber die Ursachen der Wirtschaftskriminalität im Osten ist sehr viel gemutmaßt worden. Einer der wesentlichen Beweggründe für östliche Korruption liegt aber ganz einfach darin, daß Manager, die Verfügungs-? gewalt über Millionenwerte haben, mit Hungerlöhnen abgefunden werden.' '

Mit welchen Methoden die Kriminellen zu Werke gehen, illustrieren zwei Fälle, die sich in Bulgarien ereignet haben.

Angestellte der Außenhandelsfirma „Rodopaimpex“ hatten sich von einer westlichen Firma mit umgerechnet 60.000 Franken bestechen lassen und dem Staat einen Schaden in der Höhe von fast einer Million Franken verursacht. „Rodopaimpex beschäftigt sich in erster Linie mit dem Export von bulgarschem Vieh ins westliche Ausland. In Sofia wird daher allgemein angenommen, daß es eine italienische Firma war, die den Skandal ausgelöst hat. Die Urteile des Gerichts über die bestechlichen Export-Manager fielen sehr hart aus.

Knapp drei Wochen nach dieser Affäre flog ein weiterer Import-Export-Skandal auf. Mitte April meldeten bulgarische Zeitungen, „dank sozialistischer Wachsamkeit“ sei es gelungen, „gefährlichen Wirtchsafts-verbrechern“ auf die Spur zu kommen. Die Direktion des Außenhandelsunternehmens Moda-Luks (Mode und Luxus), deren Aufgabe es ist, exklusivere westliche Konsumgüter vor allem für die mittlere Funktionärsschicht zu importieren, hatte schwere Verfehlungen begangen. Die importierten Produkte waren zum Großteil westliche Ladenhüter, zweite Qualität und, was noch schwerer wog — andere Importeure hatten die gleichen Produkte bereits zu wesentlich günstigeren Preisen erstanden.

Diese beiden Bestechungsaffären werden von Beobachtern in Sofia lediglich als Auftakt zu einer Welle von Überprüfungen und- Verhaftungen innerhalb der wichtigsten Außenhandelsfirmen gewertet. Damit will das Regime die Mißstände in der Außenhandelswirtschaft beseitigen und gleichzeitig die Disziplin der Funktionäre straffen.

Auch in der CSSR beschäftigt man sich seit dem November-Plenum des ZK im Vorjahr mit dem Anwachsen der Wirtschaftskriminalität. Damals wurde gerügt, oft stehe „Eigeninteresse vor Staatsinteresse“, Bestechung und Amtsmißbrauch seien an der Tagesordnung.

In mehreren öffentlichen Diskussionen beklagten sich tschechoslowakische Staatsanwälte darüber, die Menschen hätten „vor dem sozialistischen Eigentum weniger Respekt als vor Privateigentum“. Die Skala reicht dabei von falscher Buchhaltung bis zu direktem Diebstahl.

Verkäufer in Warenhäusern täuschen Mangel an gewissen Waren vot, um gegen ein Bestechungsgeld das Gewünschte dann blitzartig unter dem Ladentisch hervorzuzaubern, berichtet die „Pravda“ aus Preßburg. Mehr als 130 Personen waren in den berühmten „Dieselfall“ verwickelt, dessen Nutznießer auch österreichische Lastwagenfahrer waren. In der ganzen CSSR war es üblich, daß Lastwagenfahrer einen weit höheren Diesel-Verbrauch meldeten als den tatsächlich benötigten. Die unbenutzten Kupons verkauften sie um eine halbe Krone pro Liter an Tankstellenwärter, die ihrerseits den Treibstoff für einen Schilling (1,40 Kronen) an österreichische LKW-Fahrer weiter verkauften. Ein gutes Geschäft für beide Seiten. Vom Erlös kauften sich LKW-Fahrer Wochenendhäuser und eröffneten Auslandskonten.

Jeder nascht Vom großen Kuchen und der Staat hat das Nachsehen. Radio Prag beschuldigte am 14. Oktober 1974 die Handelsdelegierten der CSSR im Westen, sehr oft Verträge zu unterzeichnen, die letztendlich für die CSSR Nachteile mit sich bringen, sowohl was die Preise der Waren als auch die gelieferte Qualität anbelange. „Diese Verträge bringen nur den Delegierten Provisionen“, sagte der Sprecher.

Nicht einmal das als so vorbildlich gerühmte sozialistische Gesundheitswesen ist frei von Korruption. Tschechische Ärzte lassen sich Extrabehandlungen mit Beträgen bis zu tausend Kronen entlohnen. Krankenhauspersonal und Schwestern halten ebenfalls die Hand auf, berichtete „The Guardian“ am 11. Februar 1975.

Eltern bezahlen für Studienplätze ihrer Kinder an Universitäten und Hochschulen, Telephonanschlüsse, Badezimmereinrichtungen und Autoersatzteile sind überhaupt nur gegen „Aufzahlung“ erhältlich. Die Bestechung ist zu einem Teil des Alltagslebens geworden.

Der Autor dieses Berichtes erinnert sich mit Amüsement seiner eigenen, unfreiwilligen Beteiligung an einem „Diebstahl sozialistischen Eigentums“ in Rumänien. Irgendwo zwischen Turnu Severin und Arad ging mir während einer nächtlichen Autofahrt das Benzin aus. Seit dem Passieren der bulgarischen Grenze in Vidin hatte ich keine Tankstelle erblickt. Mit dem letzten Tropfen rollte ich auf den Hauptplatz eines Dorfes, stieg aus dem Wagen und schrie laut: „Benzin, Benzin!“ In knapp 30 Sekunden war ich von zwölf wild gestikulierenden Bauern umringt, von denen midi jeder in eine andere Richtung zerren wollte. Mit dem „Sieger“ aus diesem Kampf, offensichtlich dem Dorfschulzen, marschierte ich dann etwa einen Kilometer weit bis zu einer landwirtschaftlichen Genossenschaft. Der Genossenschaftsleiter bekam zwei Dollar, mein „Freund“ ebenfalls. Als Gegenleistung erhielt ich einen Zehn-Liter-Kanister mit Benzin aus den öffentlichen Beständen. Es ist eben alles im Osten eine Frage der Organisation.

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