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„Staatsgeheimnisse“ für Investoren

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Westliche Unternehmen haben bis dato rund 100 Millionen Dollar in Jugoslawien investiert: nachdem solche saftigen Brocken den Appetit auf Fremdkapital anregen, hofft Belgrad neuerlich fest auf die Vermehrung der westlich-jugoslawischen Gemeinschaftsunternehmen. Die kapitalhungrigen Blicke sind vor allem auf Rom und Bonn gerichtet, da Italien und die Bundesrepublik im Rahmen ihrer 38 Gemeinschaftsunternehmen mit Jugoslawien mehr als 50 Millionen Dollar investiert haben. Die Abwanderung jugoslawischer qualifizierter Arbeitskräfte nach der Bundesrepublik wird deshalb gebremst, damit westdeutsche Firmen zu Investitionen in Jugoslawien animiert werden.

Kürzlich hat Belgrad festgestellt, daß bis zum Frühahr 1973 insgesamt 79 Kontrakte mit westlichen Partnern zwecks Gründung von Gemeinschaftsunternehmen paraphiert worden sind.

Italien war bisher zweifellos der investitionsfreudigste Partner Jugoslawiens, da 21 Gemeinschaftsunternehmen mit zirka 30 Millionen Dollar ins Leben gerufen worden sind. An zweiter Stelle folgte die Bundesrepublik mit 17 Unternehmen, deren Gesamtkapital 22 Millionen Dollar repräsentiert. Schweizer Unternehmen haben acht Kontrakte, nordamerikanische sechs und französische fünf Abmachungen mit den Jugoslawen unterzeichnet.

Außerdem haben jugoslawische Firmen 375 langfristige Kooperationsabkommen (meistens auf fünf, in Ausnahmefällen auf drei Jahre) abgeschlossen — unter ihnen 28 mit Österreich.

Seit 1967 bemüht sich Belgrad als erste kommunistische Hauptstadt um ausländische Investitionen, um die Industrialisierung des Landes zu beschleunigen und die Arbeitslosigkeit eindämmen zu können. Das erste Gesetz war nicht besonders attraktiv, da 35 Prozent des Gewinns als Steuer abgeschöpft wurden. Nebenbei mußten 20% vom Gewinn in Jugoslawien reinvestiert werden.

Im August 1971 wurde von der Jugoslawischen Föderativen Versammlung die Reinvestitionsklausel abgeschafft. Auch der übriggebliebene Gewinn mußte nicht mehr bei der jugoslawischen Nationalbank deponiert werden. Die Abschaffung der Restriktionen wirkte belebend. Von da an durften die ausländischen Partner ihren Profitanteil nach dem Ausland transferieren, jedenfalls nach der Begleichung der Steuer, die etwa 35% ausgemacht hat.

Die Unterschiede im sozial-ökonomischen System und in der ideologisch-politischen Sphäre der Partnerländer verursachen aber oft kaum

überbrückbare Schwierigkeiten. In jugoslawischen Unternehmen sind ja die Arbeiterräte die kompetentesten Körperschaften des Managements. Der Geschäftsprozeß bildet gewöhnlich ein „Staatsgeheimnis“, infolgedessen mußten die ausländischen Investoren an einem ständigen Hürdenlauf teilnehmen. Zwecks Erleichterung hat man die sogenannten „gemischten Geschäftsräte“ konstruiert, die mit Bevollmächtigung der Arbeiterräte das Unternehmen nach außen hin repräsentieren und Beschlüsse fassen können. Dennoch bleiben die Arbeiterräte die höchsten Autoritäten in den Unternehmungen.

Jugoslawische Funktionäre warfen den westlichen Investoren deshalb auch wiederholt vor, daß sie das jugoslawische System gar nicht verstehen.

Derzeit gibt es drei Arten von „gemischten Geschäftsräten“ in Jugoslawien:

• Der sozusagen „normale Geschäftsrat“;

• Der „Geschäftsrat mit erweiterten Kompetenzen, manchmal sogar mit gewissen Rechten der jugendlichen Arbeiterräte“;

• Der „Geschäftsrat mit Interventionsrecht für den ausländischen Partner in die Tätigkeit unserer Unternehmen“. So konnten manchmal ausländische Partner die ihnen nicht passenden jugoslawischen Direktoren austauschen lassen.

Belgrads große Jagd nach westlichen Investoren dauert aber trotz aller Schwierigkeiten unvermindert an; derzeit laufen 48 Verhandlungen, wobei die Bundesrepublik das größte Interesse für Kapitalinvestitionen in Jugoslawien bekundet.

Als Willy Brandt in Jugoslawien weilte, haben sich jugoslawische Funktionäre beklagt, daß zuwenig in die Zusammenarbeit westdeutscher und jugoslawischer Firmen von seifen der Bundesrepubik investiert worden ist. Brandt hat dabei Erhöhungen in Aussicht gestellt. Und in diesen Wochen beginnt ein gemischtes westdeutsch-jugoslawisches Komitee die Erörterung des ganzen Fragenkomplexes. Dabei präsentierten jugoslawische Sachverständige einen sensationellen Vorschlag: Bonn sollte einen Kredit in der Höhe von fast 50 Milliarden Schilling an Belgrad gewähren. Diese Summe entspricht genau den Ersparnissen jugoslawischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik, die in westdeutschen Banken auf Privatkonten liegen. Wird man die jugoslawischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik befragen, ob sie bereit seien, mit ihren Ersparnissen die bankrotte heimatliche Staatswirtschaft zu sanieren?

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