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Ost-westliches Wirtschaftstauwetter

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Kaum fünf Jahre ist es her, daß ein milder Wind von Osten eine Tendenz, das Tauwetter in den Ost-West-Handelsbeziehungen, mit sich brachte. Bahnbrechend waren im Osten Ungarn, im Westen — nicht die Bundesrepublik, sondern Großbritannien. Aus Gegnern sind bald Partner geworden, obwohl im Westen noch mißtrauische Töne zu vernehmen waren: „Sollen Kapitalisten den Kommunismus aufbauen?“ Im Osten war die Erkenntnis der treibende Motor, daß der „Aufbau des Sozialismus“ viel zu langsam voranging. Daher akzeptierte man in Osteuropa Bedingungen, die noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen wären. Im Westen waren Suche nach neuen Märkten und Geschäftstüchtigkeit, also Privatinitiative, die treibenden Kräfte.

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Kaum fünf Jahre ist es her, daß ein milder Wind von Osten eine Tendenz, das Tauwetter in den Ost-West-Handelsbeziehungen, mit sich brachte. Bahnbrechend waren im Osten Ungarn, im Westen — nicht die Bundesrepublik, sondern Großbritannien. Aus Gegnern sind bald Partner geworden, obwohl im Westen noch mißtrauische Töne zu vernehmen waren: „Sollen Kapitalisten den Kommunismus aufbauen?“ Im Osten war die Erkenntnis der treibende Motor, daß der „Aufbau des Sozialismus“ viel zu langsam voranging. Daher akzeptierte man in Osteuropa Bedingungen, die noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen wären. Im Westen waren Suche nach neuen Märkten und Geschäftstüchtigkeit, also Privatinitiative, die treibenden Kräfte.

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Vorerst hat sich eine vollkommen < neue Konstruktion des ost-west- ] liehen Warenaustausches etabliert. In der stalinistischen Ära wurde nur eine konservative Methode prakti- ] ziert: Osteuropa kaufte westliche \ Erzeugnisse und schloß Verträge zum . Erwerb kompletter Industrieanlagen ] ab. Besonders die Ungarn waren ] (meist auf einer Gelegenheitsbasis) • nicht mehr zufrieden. Sie brachten ] eine neue Idee ins kapitalistisch- ; kommunistische Wirtschaftsspiel, ; nämlich das Gemeinschaftsunternehmen, wobei Sowjeteuropa seine , billigen Arbeitskräfte, mitunter seine Rohstoffe zur Verfügung stellte, um mit dem besseren technischen und handelsadministrativen Können westlicher Firmen Industrieprodukte nach den modernsten Fabrikationsmethoden zu erzeugen und mit elastischeren, westlichen Geschäftserfahrungen leichter placieren zu können.

Positive Bilanz gegenüber dem Westen

Seit 1964 hat man viele Arten der Zusammenarbeit eingeführt. Eine der einfachsten, bewährtesten Formen war der Lizenzvertrag, wonach osteuropäische, in unserem Fall ungarische Staatsunternehmen westliche Erzeugnisse fabrizieren, die sowohl im Osten als auch im Westen auf den Markt gebracht werden. Den ersten Sieg trugen die Krupp-Werke in der Bundesrepublik davon, die als erste die intensive Zusammenarbeit begonnen hatten. Der Vorsitzende der ungarischen Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft, Professor lmre Vajda, schlug zum erstenmal vor, gemeinsame ungarischwestdeutsche Aktiengesellschaften in Ungarn zu gründen, mit einer nur 49prozentigen Beteiligung des westlichen Partners und mit tief verankertem Kontrollrecht der ungarischen Regierung.

Ungarns Außenhandel mit Westdeutschland repräsentiert derzeit jährlich rund zwei Milliarden Exchange-Forint, das heißt 4,3 bis 4,5 Prozent des gesamten Warenverkehrs. Vom Gesichtspunkt der ungarischen Wirtschaft sind im Import aus der Bundesrepublik die folgenden Warenkategorien die wichtigsten: Spezialmaschinen, gewisse Stahlerzeugnisse, Industrieaus-

rüstungen; und von industriellen Grundstoffen: Rohgummi, Farben, Basismaterialien für die Textil-, Leder- und chemische Industrie. Der westdeutsche Markt ist noch heute der größte Abnehmer für ungarische landwirtschaftliche und Lebensmittelindustrieprodukte.

Budapest hat eine Handelsmission unter der Leitung von Ldszlö Hamburger in Köln und zwei Handelsbüros in Hamburg und Frankfurt am Main etabliert, welche die Nervenzentren der ungarisch-westdeutschen Wirtschaftskooperation sind.

Vom ungarischen Standpunkt aus wurde die Erhöhung der Exportquoten 1969, besonders die von Industrieerzeugnissen, als großer Erfolg verbucht. Obwohl die Importe aus der Bundesrepublik ebenfalls gesteigert wurden, konnte Budapest, dank der wesentlichen Expansion der Exporte und anderer wichtiger Umstände, zum ersten Male nach vieler Jahren eine positive Handelsbilana

dem ganzen Westen gegenüber erreichen.

Bilanz von Import und Export

Die drei ungarischen Handelsvertretungen in der Bundesrepublik suchen immer wieder nach neuen Export-Import-Möglichkeiten und bereiten das Terrain für Geschäftsverhandlungen vor: Die wirtschaftlichen Fragen der Bundesrepublik sollen gründlicher bewertet werden. Es soll untersucht werden, wo und wann neue Möglichkeiten zu westdeutsch-ungarischen Industriekooperationen eröffnet werden können. Ungarn wünscht auch mehr industrielle Komimissionsaufträge aus der

Hindernisse stoßen, da man auch in der Bundesrepublik der Ansicht ist, daß die Zusammenarbeit mit Ungarn bisher die besten Resultate von allen COMECON-Blockländern zeitigte.

Kurzum: die Industriekooperation steht im Vordergrund! Die Export-Import-Listen wurden während der Verhandlungen der ungarisch-westdeutschen Gemischtkommission Anfang 1969 modernisiert, das heißt überprüft und zeitmäßiger gestaltet. Die nachstehenden Zahlen orientieren (in Millionen D-Mark ausgedrückt) über die Gestaltung des Handelsverkehrs in den letzten Jahren: Ungarischer Export nach der BRD: 1963 231; 1965 287,5; 1967 275,9; 1968 311.

Ungarischer Import aus der BRD: 1963 252,1; 1965 307,8; 1967 420,5; 1968 338,6. Die Endresultate von 1969 sind noch nicht bekannt.

Die Warengattungen

Was die Warenstruktur anbelangt, konnte die folgende prozentuelle Zusammenstellung von 1968 ermittelt werden:

Ungarischer Export: Energieträger 4,7 Prozent; Halbfertigwaren, Bestandteile 24,6 Prozent; Maschinen, Investitionsgüter 3,3 Prozent; Kon-

wichtigere Rolle: Walzstahl, Heizöl, Elektroartikel und neuerdings Erzeugnisse der staatlichen Leichtindustrie. Was besonders schmerzlich empfunden wird, ist, daß die Ausfuhr ungarischer Maschinen und Erzeugnisse der f einmechianischen Industrie nicht mehr als 5 Prozent ausmacht. In Ungarns westdeutschem Import figurieren Maschinen und feinmechanische Erzeugnisse mit 45 bis 50 Prozent. Ungefähr ebensoviel repräsentieren die Materialien und Halbfertigwaren, vor allem Chemieerzeugnisse und verschiedene Walzwaren.

27 Kooperationsabkommen

Am Vorabend des Abschlusses eines aktuellen, neuen Wirtschaftsabkommens ist Budapest mit Nachdruck bestrebt, den Export in die Bundesrepublik zu erhöhen und in Bonn eine Erweiterung der Liberalisierung durchzusetzen. Den ungarischen Unternehmen wird als Hauptaufgabe angetragen, eine viel intensivere Marktforschung, -analyse und Propagandatätigkeit zu entfalten, um schlummernde Möglichkeiten zu wecken. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Wirtschaftsreform die Bedingungen für die Kooperation „mit den Unternehmen der kapitalistischen Länder“

Bundesrepublik. In dieser Beziehung haben die ungarischen Staatsunternehmen die vorhandene Gegebenheit bisher nicht genug ausgebeutet, manchmal sogar ganz übersehen. Der sehr aktive und elastische Chef der ungarischen Handelsmission erblickt zur Zeit die Hauptaufgabe darin, daß die beginnenden Gespräche des Handelsabkommens 1970 besser vorbereitet werden als in den vergangenen Jahren. In Bonn ertönt bald der Startschuß zu den Detailverhandlungen über den neuen Handelsvertrag, der in den nächsten Wochen unter Dach gebracht werden soll. Ungarischerseits betrachtet man es als wichtigstes Anliegen, in diesem Agreement die Zusammenarbeit noch tiefer zu verankern und mehr auszudehnen. Dies dürfte nicht auf

sumgüter der Industrie 14 Prozent und Landwirtschaftsprodukte

52.8 Prozent, 1965 65,4 Prozent. Ungarischer Import: Halbfertigprodukte und Bestandteile 64,2 Prozent; Maschinen und Investitionsgüter

30.9 Prozent; Konsumgüter der Industrie 2,7 Prozent; landwirtschaftliche Produkte 2,2 Prozent.

Mehr als die Hälfte des ungarischen Exports besteht noch immer aus Agrarprodukten, trotz der protek-tionistischen Politik der EWG. Budapest ist deshalb bestrebt, auf den Abbau eines Teils der Barrieren des Gemeinsamen Marktes in westdeutscher Relation energisch zu drängen.

Im ungarischen Export nach der Bundesrepublik spielen außerdem die folgenden Warenkategorien eine

verbessert habe. Die Zahl der Kooperationsabkommen ist groß. Leider ist eine par excellence westdeutschungarische Statistik derzeit noch nicht erhältlich, aber die Entwicklung mit „kapitalistischen Partnern“ ist sehr instruktiv. Ungarns Produktionsbranchen haben zwischen 1963 und 1967 insgesamt 27 Kooperationsabkommen mit „kapitalistischen Partnern“ abgeschlossen (davon die Maschinenindustrie 23, die Chemieindustrie 2, die Landwirtschaft 2); im Jahre 1968 insgesamt 23 (davon die Maschinenindustrie 17, die Chemieindustrie 4, die Leichtindustrie 2). Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres haben ungarische Unternehmen 20 neue Kooperationsabkommen mit westlichen Partnern erzielt Um die kooperative Tätigkeit mit aus-

ländischen Firmen zu koordinieren, wurde in Budapest unlängst ein Interministerielles Kooperationskomitee ins Leben gerufen. In den letzten Jahren hat Ungarn auch eigene Unternehmen im Ausland begründet, so ein pharmazeutisches Unternehmen in der Bundesrepublik. Die Ungarische Außenhandelsbank finanziert, autorisiert und kontrolliert alle Auslandsunternehmen, die von Finnland bis Libanon und Nigerien in zahlreichen Ländern anzutreffen sind. Solche Unternehmen bekommen von der besagten Bank langfristige Kredite in ausländischen Währungen.

Ein Paradestück

Ein Triumph der westdeutschfranzösisch-ungarischen Industriekooperation war der Bau der modernsten ungarischen Motorenfabrik in Györ mit einer Investition von 2,3 Milliarden Forint, woran ein Konsortium von Renault-MAN-Ferrostahl beteiligt war. In diesem Betrieb der Györer Ungarischen Waggon- und Maschinenfabriken werden 190- bis 230-PS-Dieselmoto-ren erzeugt.

Die ungarischen Kooperationen der Siemens-Werke gehören ebenfalls zu den bedeutendsten. Siemens arbeitet unter anderem seit Jahren mit der ärztlichen Instrumenten-und Gerätefabrik Medicor zusammen und stellt dem ungarischen Partner Pläne und Zeichnungen zur Verfügung, mit deren Hilfe die ungarische Firma Teileinheiten für Röntgen-apparate fabriziert Nebenbei werden auch Kommissionslohnarbeiten mit westdeutschem Know-how für Siemens in Budapest durchgeführt. Es folgte eine Marktaufteilung. Ungarn hat obendrein die Typenlizenz eines westdeutschen Röntgen-apparates erworben. Und ein wahres Kuriosum: Siemens ist Ungarns Vertreter in Indien, wo derzeit ärztliche Massenartikel günstig und in großen Mengen verkauft werden können. Siemens kooperiert auch mit der Budapester Unternehmung Elektro-modul, so daß die ungarische Firma nachrichtentechnische Instrumente an mehr als 200 ausländische Unternehmen liefern kann ... Die große ungarische Schiffs- und Kranfabrik, die bereits die Lieferung zweier Seefrachter für Hamburg abschließen konnte, ist an der Kooperation mit Westdeutschland weitgehend interessiert. Sie offeriert neuartige Lastwagenkarosserien aus Aluminium und in Serien erzeugte Container. Sie wäre in der Lage, auch komplette Elektrokraftwerke zu liefern.

Pläne für 1970

Da das Jahr 1969 ein Rekordjahr im ungarischen Außenhandel war, sind die Pläne für 1970 dementsprechend hoch gesteckt.

Im laufenden Jahr rechnet Budapest mit einer Steigerung des Gesamtexports um 7,5 Prozent und um 6,6 Prozent des Totalimports. Mit Sicherheit kann schon jetzt vorausgesagt werden, daß die Außenhandelsbilanz auch 1970 positiv sein wird. In „kapitalistischer Relation“ soll die ungarische Ausfuhr um 5,3 Prozent, die Einfuhr um 9,8 Prozent wachsen. Die geplante Zuwachsrate des „kapitalistischen Imports“ Ungarns ist höher, die des „kapitalistischen Exports“ niedriger als die das Außenhandels mit den „sozialistischen Partnern“. Heute kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die günstige Preislage in westlicher Sicht bis Ende 1970 andauern wird.

Eine interessante Neuerung des Außenhandelsministeriums: ein Rahmenkredit von drei bis fünf Milliarden Dollar wird gesichert, um davon 1970 begehrte Mangelwaren für das breite Publikum zu importieren.

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