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Bonn-Budapest: Abbruch

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Bekanntlich wurden kürzlich die westdeutsch-ungarischen Wirtschaftsverhandlungen, die während drei Wochen gute Fortschritte gemacht hatten, ohne Begründung abgebrochen. Auf Grund Budapester Quellen versuchen wir hiermit die Durchleuchtung des Hintergrunds. Budapest ist der Ansicht, daß in manchen wichtigen Fragen bereits eine Vereinbarung erzielt werden konnte, als eine „Erwägungsperiode“ eingeschaltet werden mußte. Was ist geschehen?

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Bekanntlich wurden kürzlich die westdeutsch-ungarischen Wirtschaftsverhandlungen, die während drei Wochen gute Fortschritte gemacht hatten, ohne Begründung abgebrochen. Auf Grund Budapester Quellen versuchen wir hiermit die Durchleuchtung des Hintergrunds. Budapest ist der Ansicht, daß in manchen wichtigen Fragen bereits eine Vereinbarung erzielt werden konnte, als eine „Erwägungsperiode“ eingeschaltet werden mußte. Was ist geschehen?

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Beide Partner sind sich einig darüber, daß die Verhandlungen über die offenen Fragen später wiederaufgenommen werden müssen. Eine neue Warenliste für 1970 soll genehmigt werden, mit Rücksicht auf das langfristige Abkommen. Das wäre allein noch kein Grund für die unerwartete Unterbrechung. Die Ungarn haben außerdem verlangt, daß Bonn die Handelsrestrdktionen stark reduzieren und die administrativen Hindernisse vor dem ungarischen Export nach der Bundesrepublik abbauen soll. „Figyelö“ gab/ offen zu: „Der Haken der Verhandlungen der ungarisch-westdeutschen Handelsgespräche war in den vergangenen Wochen Ungarns Bestreben, die Importrestriktionen zu eliminieren und seine Exporte zu sichern. Der Versuch traf jedoch nicht auf Verständnis.“ Zweifellos resultieren wichtige Schwierigkeiten aus der Agrarpolitik der EWG, die Ungarns landwirtschaftliche Ausfuhr erschwert. Unter „administrativen Hindernissen“ verstehen die Ungarn vor allem strikt fixierte Warenlisten und höhere Zölle. Budapest behauptet außerdem, daß die Liste der „liberalisierten ungarischen Güter“ in der Bundesrepublik wesentlich kleiner sei als in anderen westlichen Ländern. Unabhängig davon blieb die Bundesrepublik Ungarns zweitwichtigster Partner im EWG-Raum. Den ersten Rang erkämpfte 1969 Italien. Nach vielen erfolgloseren Jahren konnte Ungarn den Außenhandel 1969 positiv ausblancieren und einen Überschuß von 147 Millionen Forint erzielen.

Zwischen westdeutschen und ungarischen Unternehmen sind vielversprechende Kooperationsverhandlungen im fortgeschrittenen Stadium. Es ist typisch für das westdeutsche Interesse, daß nicht weniger als 250 westdeutsche Firmen an der Zusammenarbeit interessiert sind und ihre Produkte auf der kürzlich beendeten Budapester Frühjahrsmesse vorgeführt haben.

Nichts ist so erregend und wichtig wie die Doppelfrage: Wie lange soll die erwähnte „Erwägungsperiode“ andauern und was geschieht, wenn die Verhandlungen wieder beginnen? Eine Lösung mehrerer Probleme soll im voraus ausgearbeitet werden. Es sollte nicht vergessen werden, daß westdeutsche Maschinen, Industrieausrüstungen und Rohmaterialien für Ungarns Wirtschaftsentwicklung unerläßlich sind. Außerdem wäre nicht nur der Verlust, sondern schon eine Einengung des westdeutschen Marktes für Ungarns landwirtschaftlichen Export katastrophal. Die politische Atmosphäre ist besser als früher. Ungarns Außenhandelsminister Jösef Birö nährte gewisse westdeutsche Illusionen während seines jüngsten Aufenthaltes in der Bundesrepublik. Die Realisierung der Einladung an Wirtschaftsminister Schiller könnte in Budapest zur Verbesserung der westdeutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen etwas beitragen. Auf einen Honigmond zu spekulieren, mit eitel Freude und Ost-West-Glückseligkeit, wäre verfehlt. Gerade verantwortungsvolle ungarische Politiker sorgen für wohltuende Abkühlungsspritzen zeitweise, wie vor ein paar Tagen der ungarische Außenminister Peter in Norwegen. Befragt über Ungarns gegenwärtige Beziehung zur Bundesrepublik, bagatellisierte Peter die Bedeutung dieser Frage und sagte wörtlich: „Dies ist gegenwärtig nicht das wichtigste Ding in Europa!“ Die westdeutschen Gespräche mit der Sowjetunion, Polen und der DDR seien viel wichtiger: Überdies: wenn Budapest und Bonn im Interesse der Aufnahme diplomatischer Beziehungen Verhandlungen momentan aufnehmen würden, würde dies die anderen westdeutschen Gespräche nur „verwirren“! Etwas beschwichtigend, jedoch konkret gar nichts sagend, fügte der ungarische Außenminister noch hinzu: „Wir wollen mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen etablieren, sobald ein solcher Schritt die europäische Sicherheit begünstigt.“

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