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Über den Ost-West-Graben

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Gespräch mit dem Budapester Ökonomen Boqnar

Mauern können schützen oder sperren — meistens beides, gleich ob sie aus Steinen, aus Vorurteilen oder aus Zöllen errichtet sind. Für eine Welt wie die kommunistische, die den „Internationalismus“ auf ihre Fahne geschrieben hat und seit 50 Jahren mit dem „Kapitalismus“ konkurrieren muß, bedeutet die wirtschaftliche Trennung von der anderen Welt immer mehr ein Hindernis. Denn diese übrige Welt ist der — Weltmarkt. An seinem Preisgefüge orientieren sich sogar die sozialistischen Planer, und mancher von ihnen wird vom Alptraum geplagt, was denn dereinst geschehen würde, wenn der Sozialismus überall siegen und die Londoner Warenbörse schließen würde...

Zwar produzieren die Sowjetunion und ihre europäischen Verbündeten fast ein Drittel der Weltproduktion, doch am Handel der Welt sind sie erstaunlich gering beteiligt: im Jahre 1966 nur mit 12,7 Prozent am Export und nur mit 11,9 Prozent am Import. Und dieser Anteil, der nach den Jahren des Stalinismus gestiegen war, sinkt seit 1962 wieder langsam, alber unentwegt. Nicht weil die kommunistischen Länder weniger Handel treiben, sondern weil die übrige Welt mehr und schneller handelt, weil sie beweglicher ist, weil Westeuropas wirtschaftliche Gemeinschaften, die EWG und die EFTA, trotz aller Schwierigkeiten produktiver arbeiten.

Undogmatische Ansichten

Deshalb wächst in Osteuropa, allen ideologischen Hindernissen zum Trotz, das Bedürfnis nach Annäherung an den großen (nicht-sozialistischen) Weltmarkt. Deshalb mehren sich Stimmen wie die des ungarischen Wirtschaftsexperten Professor Joszef Bognar, der in diesem Jahr schon zum zweitenmal in der Botschaft seines Landes in Wien die internationale Presse versammelte, um — sozusagen halboffiziell

— freimütige, sehr undogmatische Ansichten über den Ost-West-Handel vorzutragen. Im März schon hatte Bognar für einen wirtschaftlichen Zusammenschluß Ost- und Westeuropas geworben, weil der Kontinent sonst von Amerika und von — Asien „auf einen untergeordneten Rang verdrängt“ werde. Bine Entwicklung, von der die Sowjetunion als nahezu autarke

Großmacht am wenigsten betroffen sei. Bognar lobte damals schon die Erfolge des Gemeinsamen Marktes und verschwieg nicht die Schwächen des COMECON, des osteuropäischen Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Noch vor Jahren hatte man im Osten die EWG verteufelt, aber „die historische Entwicklung überholte die These, wonach die EWG vor allem die wirtschaftliche Basis der NATO ist“, schrieb im Oktober

1965 schon die ungarische Zeitschrift'„Tarsadalmi Szemle“.

Trotz aller Erfolge könne jedoch der Gemeinsame Markt den Vorsprung Amerikas auf dem Gebiet der Chemie, des Maschinenbaues und der Elektronik nicht einholen, ohne sich mit Osteuropa zum größeren Gemeinsamen Markt zusammenzuschließen — so argumentierte Professor Bognar im März. Jetzt; bei

seinem Wiener Auftreten Mitte Oktober, ging Bognar noch einen Schritt weiter: Die ost- und westeuropäischen Länder sollten sich gegenseitig Sicherheiten bieten, daß ihr Handel nicht unter plötzlichen politischen Krisen zu leiden habe; um ihre Annäherung finanziell zu ermöglichen, stellte Bognar den Beitritt des Ostens zum Internationalen Währungsfonds in Aussicht, ja die Bereitschaft, eine gemeinsame Ost-West-Bank zu gründen.

Hindernis aus dem kalten Krieg

Professor Bognar, 1917 geboren, mit 30 Ja/hren Bürgermeister von Budapest, kommt vom linken Flügel der ungarischen Kleinlandwirte-partei, die von der kommunistischen Partei aufgesaugt wurde. 1949 bis 1956, als man, wie er selbst sagt, „überleben mußte“, war er Innen-und Außenhandelsminister Ungarns. Heute lehrt er an der Universität, leitet den Außenhandelsausschuß des Parlaments und reist als einer der engsten Wirtschaftsberater des Parteichefs Kadar durch die Welt, um zu sondieren, zu informieren, zu werben. Ich fragte ihn, ob die politisch-ideologische Zweiteilung Europas, die gegebenen Gegensätze der Systeme, ja die bloße Existenz zweier weitgehend integrierter Wirt-

Schaftsgemeinschaften, deren Zu sammenairbeit nicht entscheidend erschwere, ja verhindere?

„Diese Wirtschaftsgemeinschaften wurden in der Periode des kalten Krieges gegründet“, galb Bognar zu bedenken. „Deshalb sind sie gewissermaßen ein Hindernis; aiber heulte), in einer anderen politischen Atmosphäre, könnten sie sehr wohl zusammenarbeiten. Es kann dock

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