6668449-1960_48_03.jpg
Digital In Arbeit

Was nicht alle freut

Werbung
Werbung
Werbung

Der Außenhandel Österreichs erfuhr im laufenden Jahr eine ungewöhnliche Steigerung besonders auf seiten der Importe, so daß die Handelsbilanz von Anfang Jänner bis Ende August 1960 ein Passivum von 4,76 Milliarden Schilling aufwies, das jedoch zum weitaus größten Teil durch Mehreingänge aus dem Fremdenverkehr in Höhe von 3,56 Milliarden Schilling gedeckt werden konnte. Zum Außenhandel im Monat September liegen bisher nur provisorische Zahlen vor, die einen Importüberschuß von 576 Millionen Schilling ankünden, dem als valutarischer Reinertrag des Fremdenverkehrs aber 448 Millionen Schilling gegenüberstanden. Die letzten drei Monate des Jahres pflegen noch einen umfangreichen Außenhandel, dagegen einen sehr schwachen Fremdenverkehr zu bringen. In dieser ernsten Situation — ein Gegenstück zur kritischen Budgetlage — bleibt das einzige erfreuliche Moment die ungewöhnlich rasche Entwicklung des Warenverkehrs der neuen Freihandelszone. Bisher hat Österreich sehr gut abgeschnitten: In acht Monaten ist der Zonenimport um 35,4 Prozent und der Zonenexport um 27,6 Prozent gestiegen. Angesichts der ständigen innerpolitischen Kampagne gegen die Mitgliedschaft zur Freihandelszone muß die Tatsache einmal festgehalten und an Hand von amtlichen Angaben der Handelsbilanz analysiert werden. Dies erscheint um so notwendiger, weil gegenwärtig der Fiskus und der Außenhandel den offenen und versteckten Attacken einer entfesselten Interessentenpolitik ausgesetzt sind.

In Übereinstimmung mit der Tatsache, daß zwischen den europäischen Staaten gegenwärtig ein Kampf um die künftige Stellung auf dem österreichischen Markt im Gange ist, dessen Kaufkraft trotz den Teuerungswellen dank der Hochkonjunktur und den ständigen Injektionen des Fiskus noch immer zunimmt, erscheint es selbstverständlich, daß auch im Warenverkehr mit den anderen Partnern der Freihandelszone die Importe stärker gestiegen sind als die Exporte. Von Anfang Jänner bis Ende August 1960 erreichten die Importe aus Großbritannien und der Schweiz, Skandinavien und Portugal mit 2,9 Milliarden Schilling 12,3 Prozent des Gesamtimports und die Exporte nach den anderen sechs Partnern der Konvention von Stockholm mit 2,28 Milliarden Schilling 12,1 Prozent des Gesamtexports. Wesentlich ist jedoch, daß sich das Handelsvolumen im Bereich der EFTA gegenüber der gleichen Periode des Vorjahres von 3,93 Milliarden Schilling um 31,9 Prozent auf 5,19 Milliarden Schilling erhöht hat. An dieser Entwicklung beteiligten sich auf der Importseite vorwiegend Norwegen, Großbritannien und Schweden, auf der Exportseite Schweden, Norwegen und Großbritannien, während Dänemark zurückblieb und Portugal zunächst überhaupt einen Rückschlag erlitt. Die Expansion verläuft allerdings bei den einzelnen Warengattungen durchaus verschieden, so daß angesichts des augenblicklichen Standes der Budgetkrise, Investitionspolitik und Verwertung der Produktenkapazitäten ein detailliertes Studium aller Absatzmärkte unerläßlich erscheint.

Garne, Gewebe, Kleidung einschließlich Motorfahrräder

Den besten Beweis, daß im Außenhandel große Wandlungen vor sich gehen, bietet Großbritannien. Die Importsteigerung ist zwar vorwiegend auf den Import von Flugzeugen und Ersatzteilen zurückzuführen, und die Zunahme der Importe von Wolle, Textilien und Industriemaschinen hält sich in den normalen Grenzen einer Hochkonjunktur. Auffällt, daß trotz der scharfen Konkurrenz Westdeutschlands der Import von Kraftfahrzeugen aus Großbritannien noch stabil geblieben ist, während sich die britischen Lieferungen von Traktoren mehr als verdoppeln konnten. Noch interessanter gestalteten sich die Verschiebungen beim Export. Die Textilien, von denen annähernd die Hälfte auf Stickereien aus Baumwolle und synthetischen Spinnstoffen entfällt, sind zwar gestiegen, aber doch hinter der durchschnittlichen Exporterhöhung zurückgeblieben, während Motorräder, Molkereiprodukte, Industriemaschinen, Glas- und Schmuckwaren sogar in absoluten Zahlen einen Rückschlag erlitten. Diese Verluste wurden jedoch bei weitem übertroffen durch die Erfolge bei Eisen und Stahl, Optik und Feinmechanik, vor allem jedoch bei Magnesit. Allein in der ersten Hälfte des laufenden Jahres ist der Export von Sintermagnesit sowie von Magnesitziegel und -platten nach Großbritannien von 2260 Tonnen auf 30.301 Tonnen gestiegen.

Konvention von Stockholm in ruhigen Bahnen. Beide Staaten unternahmen zunächst nur den Versuch, verschiedene Lücken zu schließen, die von der Öffentlichkeit seit Jahren als ein empfindlicher Mangel kritisiert wurden. So ist auf der Importseite gerade die Schweiz trotz ihrer hohen Leistungsfähigkeit in Farbstoffen, medizinischen und pharmazeutischen Erzeugnissen weit im Rückstand geblieben, weil man das Netz der Vertretungen ungenügend ausgebaut hatte. Dagegen haben unter den Importen r.us der Schweiz die sogenannten „kleinen Güter“ zugenommen, darunter Kupfer und Kautschukwaren. Jedenfalls bildet der Import aus der Schweiz — wie überhaupt der gesamte Außenhandel der Eidgenossenschaft — geradezu ein klassisches Schulbeispiel für die nationalökonomische These, daß es nicht so sehr auf die Tendenzen einiger Hauptprodukte ankomme, als auf eine breite Streuung zahlreicher Warengruppen, weil kleine Positio-,nen die plötzliche Absatzstockung eines wichti-; gen Artikels auszugleichen vermögen. Beim Export nach der Schweiz wird man abermals daran erinnert, daß Österreich ein Montanland mit einer sehr leistungsfähigen Schwerindustrie geworden ist. Allein Eisen und Stahl erreichen zur Zeit 32 Prozent des Exports nach der Schweiz. Dem leichten Rückgang bei Bau- und Nutzholz steht der Erfolg der Zellulose gegenüber. Papier, Motorfahrräder, Glas- und Schmuckwaren erzielten eine gewisse Zunahme. Magnesit, Aluminium und Lederwaren bewegten sich auf einer absteigenden Linie. Allerdings fällt die Entscheidung über die Jahresergebnisse erst während der Herbstkampagne.

Die größte Überraschung, die die Freihandelszone bisher gebracht hatte, war die sprunghafte Entwicklung des Handels mit Skandinavien. Von Anfang Jänner bis Ende August 1960 sind, gemessen an der gleichen Zeitspanne des Vorjahres, die Importe um 42 Prozent auf 636,3 Millionen Schilling und die Exporte um 33 Prozent auf 818,8 Millionen Schilling gestiegen, wobei, wie aus der Warenliste hervorgeht, die Zunahme auf der Importseite im wesentlichen bei Erzen, Schrott, Eisen und Stahl, dagegen auf der Exportseite bei Textilien und Industriemaschinen lag. Eine Abnahme beklagte ausschließlich der Export von elektrischen Apparaten, weil ein Rückschlag in Schweden durch die Belebung des Absatzes in Dänemark und Norwegen nicht zur Gänze ausgeglichen werden konnte. Bisher enttäuschte auch der Export von Phantasieschmuck, während neben Aluminium besonders Optik und Feinmechanik ungewöhnlich gut abschnitten. Im übrigen zeigt der Handel mit Schweden, Norwegen und Dänemark nach beiden Richtungen einen durchaus individuellen Charakter. Schweden und Norwegen sind zwar in gleicher Weise an den Lieferungen von Schrott und Erzen sowie am Austausch von Eisen und Stahl interessiert, aber beim Import von Fischen steht Norwegen und von Industriemaschinen Schweden an. der Spitze. Bei den Bezügen aus Dänemark dominieren Pflanzenöl, Molkereiprodukte und pharmazeutische Erzeugnisse. Unbestritten ist der steigende Absatz österreichischer Textilien in Skandinavien, sehr auffallend — ähnlich wie beim Export nach Großbritannien — das plötzliche Interesse des europäischen Nordens für österreichisches Magnesit. Auch der Export von Motorfahrrädern verzeichnete eine sprunghafte Zunahme, besonders nach Norwegen. Schon während den sechs Monaten von Jänner bis Juni — noch vor Inkrafttreten der ersten Zollermäßigung — erhöhte sich der Export von Motorfahrrädern nach Skandinavien auf 11.284 Stück.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung