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Die Reblaus zieht nicht mehr

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Die österreichische Handelsbilanz ist nicht mehr das, was sie einmal war: Noch vor wenigen Jahren, als die nach Österreich importierten Waren den Export um „nur“ 20 oder 30 Milliarden Schilling übertrafen, konnten wir darauf vertrauen, daß sich genügend Urlaubsgäste fanden, um die Zahlungsbilanz nicht aus den Nähten platzen zu lassen. Jetzt ist sie aber geplatzt: Weil Österreichs überforderter Fremdenverkehr sogar den Bundeskanzler nach Mallorca vertrieben hat und vor allem aber, weil in diesem Umfang bisher nicht dagewesene Importe den heimischen Markt überschwemmen, während Österreichs Wirtschaft auf den internationalen Märkten mit zunehmend zitternden Knien ihren Mann steht.

Als 1976 das Handelsbilanzdefizit von 35,5 Milliarden (1975) auf 54 Milliarden Schilling zunahm, war das ein erstes Alarmsignal, das viele aus Zweckoptimismus einfach nicht hören wollten: Die jüngste Alarmsirene haben selbst die größten Optimisten gehört, ob sie wollten oder nicht. Ein Handelsbilanzdefizit von 73 Milliarden Schilling ist Anlaß zu echter Besorgnis - nicht zur Panik.

Das 73-Milliarden-Loch in Österreichs Handelsbilanz hat viele Väter: Auf der Import-Seite steht einmal außer Zweifel, daß das in den letzten Jahren angestiegene Einkommensniveau der österreichischen Haushalte zu einer stark erhöhten Konsumnachfrage geführt hat. Der Großteil der Konsumzuwächse kam jedoch nicht der österreichischen Wirtschaft direkt zugute, er betraf vielmehr Konsumgüter des gehobenen Bedarfs, die aus dem Ausland kommen und in Österreich entweder nicht billig genug oder überhaupt nicht produziert werden.

Dies allein aber hätte nicht notwendig die aktuelle Handelsbilanz-Malaise bescheren müssen. Dies unterstreichen auch die OECD-Wirtschaftsberichte, in denen es heißt: „Grundsätzlich hätten die realen Effekte des unterschiedlichen Nachfragewachstums auf die Handelsbilanz durch eine Verbesserung der relativen Konkurrenzfähigkeit - zumindest teilweise - ausgeglichen werden können. Im Durchschnitt haben sich jedoch die Preise der österreichischen Warenexporte gegenüber den Preisen ausländischer Industrieprodukte erhöht, während die Preise der österreichischen Importe im Vergleich zu jenen der inländischen Industrieerzeugnisse gefallen sind.“

Da haben wir es also: Die österreichischen Waren - nicht alle, aber doch eine ganze Reihe - sind nicht mehr konkurrenzfähig. Sie sind zu teuer. Im Wahlkampf, wir erinnern uns dunkel, wurden uns Österreichern einst Europalöhne in Aussicht gestellt Zugegeben: Die Einkommen sind seit 1970 wirklich in respektablem Ausmaß gestiegen. Mit ihnen aber auch die Lohnstückkosten, vor allem die Lohnnebenkosten.

Jetzt haben wir halt nicht nur Europalöhne, sondern auch noch Europapreise ...

Ein weiterer, sicher nicht unerheblicher Grund für das große Loch in der Handelsbilanz ist sicher auch in dem Umstand zu sehen, daß eine ganze Reihe von sogenannten intelligenten Produkten in Österreich stark gekauft, aber oft aus unerfindlichen Gründen nicht produziert wird. Das Auto ist zwar ein Beispiel für dieses Gebiet, aber gar nicht einmal ein besonders typisches. Schon eher kommen die Bereiche Elektrotechnik, Un-terhaltungs- und Freizeitindustrie, aber auch Qualitätsmöbel in Frage.

All diese despektierlichen Umstände haben Bruno Kreisky letzte Woche bewogen, ein Rettungsboot in Richtung Moskau zu besteigen. Warum in Richtung Moskau? Das ist vielen Wirtschaftsfachleuten bis heute nicht klar. Österreich hat zwar gegenüber der UdSSR ein Handelsbilanz-passivum von 3,8 Milliarden Schilling das sich im Vergleich zu jenem der EG gegenüber (73 Milliarden) aber als zwergenhaft ausnimmt und das im Gegensatz zu anderen bilateralen Defiziten fast ausschließlich durch Waren verursacht wird, die nicht durch österreichische Eigenproduktionen substituiert werden könnten. Die Rede ist vom russischen Erdgas,

Den Handelspartnern in den anderen Oststaaten etwas vorwerfen zu wollen, kann nur ein Witz sein: Mit Ausnahme von Albanien und eben der UdSSR hat Österreich mit allen Oststaaten aktive Handelsbilanzen.

Um auf die Sowjetunion zurückzukommen: Das Geschäft macht nicht der Bundeskanzler, sondern die österreichische Wirtschaft Denn aus politischer Courtoisie allein machen allen voran auch die Russen keine Geschäfte. Die 56 von der österreichischen Delegation verhandelten Projekte waren durchaus Projekte, die schon seit einiger Zeit auf dem Verhandlungstisch liegen. Frohlocken ob des Kanzlers Verhandlungsgabe ist also diesmal fehl am Platze. Allerdings sei nicht bestritten, daß in den Fällen, wo ein österreichisches Produkt mit einem aus einem anderen Land kommenden Angebot gleich liegt, der Besuch des Kanzlers als politische Geste durchaus auch Geschäfte sichern kann.

Die Moral aus der Geschieht': Mit milden Gaben hat Österreich im Exportgeschäft nicht zu rechnen. Den Ausschlag für wirtschaftlichen Erfolg gibt nicht ein freundliches Lächeln, sondern ausschließlich der Preis. Das haben die marxistischen Genossen im Osten ihren sozialistischen Gästen aus Österreich mit aller Deutlichkeit gesagt.

Die Reblaus allein zieht nicht mehr!

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