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Auslandsschulden steigen, Währungsreserven sinken

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Die Entwicklung der österreichischen Zahlungsbilanz ist in dln letzten Monaten für viele, auch wirtschaftspolitisch interessierte und informierte Österreicher überraschend gekommen.

Worin liegen eigentlich die Schwierigkeiten, die österreichische Zahlungsbilanz zu verstehen? Ein Grund dafür sind vielleicht die in der Diskussion oft verwendeten verschiedenen Begriffe wie Handelsbilanz, Dienstleistungsbilanz, Bilanz der laufenden Transaktionen, Veränderung der Währungsreserven usw. Jeder dieser Begriffe wird in der wirtschaftspolitischen Diskussion oft einseitig verwendet. So argumentiert die Exportwirtschaft gerne mit der Handelsbilanz, wenn sie eine bessere Exportförderung durchsetzen will, denn die Handelsbilanz ist strukturell defizitär.

Die Fremdenverkehrswirtschaft wieder verwendet lieber die Leistungsbilanz, die strukturell aktiv ist, sobald sie zusätzliche Steuerabschreibungen für die Fremdenverkehrswirtschaft fordert.

Die Regierung schließlich argumentierte bis 1975 gerne mit den hohen österreichischen Währungsreserven, wenn diese dank großer Schuldenaufnahmen im Ausland stark anstiegen.

Was heißt nun beispielsweise, die österreichische Handelsbilanz ist strukturell defizitär?

In den letzten 30 Jahren übertrafen in Österreich die Importe immer den Wert der österreichischen Exporte. Im Jahre 1976 beispielsweise importierte Österreich Waren im Wert von 221,4 Milliarden Schilling und exportierte gleichzeitig Waren im Wert von 168,9 Milliarden, so daß ein Handelsbilanzdefizit von 52,5 Milliarden entstand. Nicht die Tatsache des Defizits ist dabei das Bedenkliche, sondern nur die Größenordnung der Zunahme. Noch 1975 betrug das Handelsbilahzdefizit nur 30,6 Milliarden, in einem einzigen Jahr wuchs es also um fast 22 Milliarden.

Ein wichtiger Grund dafür, warum Österreich immer mehr importiert als exportiert, liegt bei der österreichischen Leistungsbilanz, genauer gesagt, derem wichtigstem Aktivum, dem Fremdenverkehr. Um durch elfeinhalb Wochen eine Million Auslandsgäste zu beherbergen und zu verköstigen, das entspricht den im Jahre 1976 gezählten 79 Millionen Aus länderübernachtungen, bedurfte und bedarf es großer Importe nicht nur von ausländischen Lebensmitteln und Getränken, da die Gäste aus der BRD beispielsweise nicht auf ihr Spezialbier, ihre Zigaretten oder ihre Käsesorte im Urlaub verzichten wollen. Ins Gewicht fallen vor allem die Importe von Investitionsgütern, wie Küchenmaschinen, Waschmaschinen, Kühlanlagen, Transportmitteln usw. Diese Importe sind sozusagen die Voraussetzung dafür, daß Österreich Fremdenverkehrseinnahmen erzielt, die man auch als stille Exporte bezeichnen kann.

Solange das ebenfalls strukturell bedingte Aktivum in der Leistungsbilanz das Defizit in der Handelsbilanz wenigstens annähernd deckte, war daher das Handelsbilanzdefizit keineswegs so besorgniserregend wie heute. Seit aber immer mehr Österreicher ihren Urlaub im Ausland verbringen und die Zinsenzahlungen für die Auslandsschulden jedes Jahr um ein paar Milliarden steigen, wurde die österreichische Zahlungsbilanzsituation problematisch.

Um diese Entwicklung klar zu erkennen, muß man sich die Bilanz der laufenden Transaktionen ansehen. Die Transferbilanz enthält vor allem unentgeltliche Zahlungen an das und vom Ausland, wie Pensionen, Renten und Schenkungen. Sie war im Verlauf der letzten 20 Jahre ausgeglichen, einem leichten Aktivum bis 1970 folgte seit 1971 ein leichtes Passivum.

Man kann aus dieser Bilanz der laufenden Transaktionen klar erkennen, daß Österreich seit 1973 seine Waren- und Leistungsimporte aus dem Ausland nicht mehr mit Exporten von Waren und Dienstleistungen bezahlen kann. 1976 war das offene Defizit von 16 Milliarden beunruhigend hoch.

Rechnet man zu dieser bereinigten Bilanz der laufenden Transaktionen noch die lang- und kurzfristigen Kapitalimporte sowie auf- und abwertungsbedingte Wertänderungen der Währungsreserven hinzu, so kommt man zu der Veränderung der österreichischen Währungsreserven.

Die Währungsreserven sind somit jene letzte Reserve, mit der man Defizite der bereinigten Bilanz der laufenden Transaktionen decken kann, falls es dafür keine Auslandskredite gibt.

Die oft gegenläufige Entwicklung der Teilbilanzen der österreichischen

Zahlungsbilanz vorherzusehen und zu prognostizieren, ist schwierig. Noch Ende Dezember 1976 schätzte das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut das Defizit der Handelsbilanz auf 50 Milliarden, ein Defizit, das dann schon in den ersten elf Monaten realisiert worden war. Selbst im Frühjahr 1977 sah man der Entwicklung relativ optimistisch entgegen. Wirtschaftsforschungsinstitut und Ford-Institut sagten eine Stabilisierung des Handelsbilanzdefizits, leicht steigende Einnahmen aus dem Fremdenverkehr sowie, dank erhöhter Kapitalimporte des Bundes, einen geringeren Verlust an Währungsreserven voraus.

In der neuen Juni-Prognose wird dies alles wieder zurückgenommen. Eine Vergrößerung des Handelsbilanzdefizits um 6 bis 8 Milliarden erscheint wahrscheinlich. Die Fremdenverkehrseinnahmen stagnieren. Selbst die stark gestiegenen Deviseneingänge in den ersten vier Monaten 1977 (1,4 Milliarden) gehen nur mit 700 Millionen positiv in die Dienstleistungsbilanz, da im gleichen Zeitraum die Devisenausgaben der Österreicher im Reiseverkehr um 700 Millionen angestiegen sind.

Doch auch die letzten 700 Millionen an Mehreinnahmen bringen keine Entlastung für die Handelsbilanz, deren Defizit allein im ersten Jahresdrittel um 4,1 Milliarden angestiegen ist, da sich die Zinsenzahlungen an das Ausland in den ersten drei Monaten netto um 600 Millionen erhöht haben. Dies ist zweifellos eine Folge der hohen Auslandsverschuldung. Ende März 1977 erreichte Österreichs Auslandsverschuldung einen Stand von 100 Milliarden. Der Zinsendienst für diese 100 Milliarden verschlingt 1977 wahrscheinlich soviel, wie 500.000 Touristen ih zwei WocheYi in östetfeiCh aus-

Damit unsere Währungsreserven nicht zu rasch dahinschmelzen, muß die Auslandsverschuldung weiter steigen. Es wird 1977 aber voraussichtlich gar nicht möglich sein, das ganze Defizit der bereinigten Bilanz der laufenden Transaktionen durch Kapitalimporte zu decken. Daher werden Ende 1977 trotz steigender Auslandsverschuldung Österreichs Währungsreserven wieder stark abgenommen haben.

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