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Es ist was los mit der Zahlungsbilanz…

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Es ist was los mit der Zahlungsbilanz.“ Dieser Ausspruch des für die Zahlungsstatistik der österr. Nationalbank verantwortlichen Direktors Dr. Philipp Rieger, anläßlich der Veröffentlichung der Daten für das erste Halbjahr 1977, zeigt mehr als alle anderen offiziellen Erklärungen, wie rasch sich die Krise der österreichischen Zahlungsbilanz von Monat zu Monat verschärft.

Als in der „Furche“ bei der Besprechung der Ergebnisse der Zahlungsbilanz vom Mai 1977 vorhergesagt wurde: „Sollte sich diese Entwicklung im Juni fortsetzen, würde das Handelsbilanzdefizit des ersten Halbjahres 1977 fast so hoch sein wie das Handelsbilanzdefizit des ganzen Jahres 1975 (30,6 Milliarden),“ schien dies manchem als pessimistische Schwarzmalerei. Jetzt da die Junidaten bekannt sind, das Handelsbilanzdefizit des ersten Halbjahres 1977 erreichte 31,6 Milliarden Schilling, ist dies eine optimistische Schätzung gewesen.

Noch im Februar 1977 schätzte die Österreichische Nationalbank das Leistungsbilanzdefizit für das gesamte Jahr 1977 auf 26 Milliarden Schilling, heute beträgt das Leistungsbilanzdefizit der ersten sechs Monate des Jahres 1977 bereits 21 Milliarden Schilling und die zentralen Währungsreserven gingen um 9,1 Milliarden Schilling zurück. Soviel glaubten im Februar 1977 höchstens die Pessimisten, bis Ende 1977 zu verlieren.

Wie man auch die verschiedenen Teilbilanzen der Zahlungsbilanzstatistikzerlegt und untersucht, keine zeigt eine ins Gewicht fallende Verbesserung.

Die Nettoeingänge aus dem Reise verkehr stiegen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 400 Millionen Schilling auf 12,6 Milliarden Schilling an. Gleichzeitig verschlechterte sich aber die Kapitalertragsbilanz um eine Milliarde Schilling. Die Zinsenzahlungen für die steigende Auslandsschuld reißen eben ein immer größeres Loch in die Kapitalertragsbilanz, die eine Teilbilanz der Dienstleistungsbilanz ist.

Daher deckte der Uberschuß der Dienstleistungsbilanz im ersten Halbjahr 1977 nur mehr ein Drittel des Handelsbilanzdefizits. In früheren Jahren wurden 80 bis 90 Prozent der

Handelsbilanzdefizite durch die Dienstleistungsbilanz verdient und so abgedeckt.

Allen Fachleuten und Experten ist klar, daß diese Entwicklung, selbst eine so entscheidungsschwache Regierung wie das gegenwärtige Kabi-, nett Kreisky, zu raschem und damit wahrscheinlich falschem Handeln zwingt.

Typisch dafür ist die geplante Einführung einer Autosondersteuer. Sie ist die beste nur denkbare Förderung der Autoimporte in den nächsten Monaten. Statt einer Autosondersteuer wäre auch eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Autoreparaturen von derzeit 18 auf 8 Prozent denkbar. Dies würde die Nutzungsdauer der Kraftfahrzeuge verlängern, damit die Neuwagenimporte vermindern und gleichzeitig österreichische Arbeitsplätze sichern. Eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Autoreparaturen wäre selbst bei Einführung einer Autosondersteuer vorteilhaft für die Zahlungsbilanz und die Verkehrssicherheit. Eine andere steuerliche Maßnahme gegen zu raschen Automodellwechsel wäre eine stärkere Staffelung der Kraftfahrzeugsteuer. Man könnte etwa die Kraftfahrzeugsteuer für Neuwagen in’ den ersten zwei Jahren verdoppeln, aber ab dem 6. Jahr der Zulassung überhaupt auf diese Steuer verzichten.

Einen anderen wichtigen Bereich zur Entlastung der österreichischen Handelsbilanz stellt der Nahrungsmittelsektor dar. Wenn im ersten Halbjahr 1977 Nahrungsmittel für 7,5 Milliarden Schilling importiert, aber nur für 2,6 Milliarden Schilling exportiert werden konnten, so ist dafür zu einem guten Teil die Regierungs politik verantwortlich, die den Preisindex argwöhnischer beobachtet hat als die Sicherheit der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft. Auch bei den Verhandlungen mit der EG in Brüssel waren die landwirtschaftlichen Exporte nie ein so dringendes Anliegen, zumindest wurde zu wenig politischer Druck eingesetzt.

Während die österreichische Nahrungsmittelindustrie immer mehr Auflagen zum Verbraucherschutz nachkommen muß, die für die Kon sumenten durchaus begrüßenswert sind, übersieht man die Einhaltung dieser Auflagen bei importierten Lebensmitteln, obwohl die genaue Überprüfung der Einhaltung dieser gesetzlichen Vorschriften die wirkungsvollste Importbremse wäre.

Schließlich wären besonders jene Exportbranchen zu fördern, die den geringsten Importanteil an ihren Exportwaren haben. Eine Untersuchung der Bundeskammer an Hand der In- put-Output-Tabelle zeigte beispielsweise, daß jeder Export von Textiloder Lederwaren einen Importgehalt von über 40 Prozent hat, selbst bei Eisen- und Stahlexporten beträgt der Importgehalt noch mehr als 30 Prozent. Jeder zusätzliche Export von Eisen- oder Stahlwaren im Ausmaß von 1 Million Schilling induziert somit einen Import von 300.000 Schilling. Landwirtschaftliche Exporte, aber auch die Exporte von Büchern und graphischen Erzeugnissen, haben dagegen nur eine Importquote von unter 10 Prozent. Wieviele Bücher österreichischer Autoren werden heute in der BRD oder in der Schweiz verlegt und müssen importiert werden?

Die Hauptursache der krisenhaften Entwicklung der österreichischen Zahlungsbilanz ist aber das permanent wachsende Budgetdefizit. Eine Budgetsanierung kann aber, wie schon Dr. Schmitz in der „FURCHE“ vom 22. Juli 1977 feststellte, nur von einer Koalition der Großparteien durchzogen werden. Sollte die gegenwärtige Regierung dennoch glauben, sie schaffe es alleine, dann bestimmt nicht in der gegenwärtigen personellen Zusammensetzung.

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