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Englische Vermgensbilanz am Kriegsende

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Im Zusammenhang mit dem britisch-amerikanischen Finanzabkommen, das den Engländern die Aufnahme eines Kredits von 4,4 Milliarden Dollar in den USA. ermöglicht, veröffentlicht die „Times“ Angaben über die Einbußen, die der zweite Weltkrieg dem britischen Nationalvermögen gebracht hat: 1939 bis 1945 mußten aus der Masse der englischen Kapitafanlagen im Ausland nicht weniger als 1,1 Milliarden Pfund Sterling abgestoßen werden. Was an Gold, Dollarguthaben und anderen Devisen versilbert wurde, kann auf 200 Millionen Pfund veranschlagt werden. Noch weit schwerer wiegt aber die V e r s c h u bei u n g, die England gegenüber den Ländern des Sterlingblocks sowie gegenüber anderen überseeischen Staaten, wie zum Beispiel Argentinien, auf sich nehmen mußte und deren Gesamtbetrag mit 2 8 7 9 Millionen Pfund angegeben wird. Zu den Vermögenseinbußen wird auch der kriegsbedingte Rückgang d er Ausfuhr gezählt, die im Jahre 1944 nur noch in Drittel des Wertes vom-Jahre 1938 erreichte, sowie die schwere Hypothek,“ die sich Großbritannien zufolge der amerikanischen und kanadischen Pacht- und Leihlieferungen auflasten mußte. Der Wert der im Rahmen „Lend-lease“ von USA. und Kanada an England gelieferten Güter und die sonstigen damit zusammenhängenden Dienstleistungen werden in 5, beziehungsweise 6,5 5 Milliarden Pfund angegeben. Dem stehen britische Gegenleistungen nur in Höhe von 1 Milliarde gegenüber, so daß ein riesiger Debetsaldo von 4,5 Milliarden Pfund zu Lasten Englands verbleibt. I

Um einen verläßlichen Maßstab dafür zu e. halten, was die eben angeführten Summen für das englische Volk bedeuten, ist das englische Nationalvermögen sowie die Handelsund Zahlungsbilanz zum“ Vergleich heranzuziehen. Nach einer Berechnung von Professor H. Cämpion erreichte der Globalwert de privaten Vermögens in Großbritannien in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg 11,1 bis 12,9 Milliarden Pfund. Für die Jahre 1926 bis 1928, die mit einer ausgesprochen günstigen Wirtschaftskonjunktur zusammenfallen, schätzt es Campion auf 21,1 bis 23,5 Milliarden und für die Jahre von 1932 bis 1934, also für die Zeit nach der Abwertung des Pfundes, auf 20,8 bis 24,5 Milliarden. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch — und dies ist wichtig — die Preise der neuen Währungsrelation noch nicht durchgehend angepaßt. Man kann daher behaupten, daß der Wert des gesamten britischen Privatvermögens im Verlaufe von zwei Jahrzehnten durch die Steigerung der nationalen Produktivkräfte ungefähr um 60 bis 70 Prozent zugenommen hat, wobei die Abwertung des Pfundes mitberücksichtigt ist.

Im Einklang mit dieser Entwicklung konnte England auch in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zu seinen Auslandanlagen, die einen Hauptpfeiler seiner finanziellen Stellung in der Welt darstellten, noch ansehnliche Summen hinzufügen. Allerdings gilt diese Feststellung nicht für die Jahre nach 1934. Vor dem ersten We'tkrieg vermochte England seinen Kapitalanlagen im Ausland Jahr für Jahr 100 bis 200 Millionen .Pfund hinzuzufügen, so daß diese kurz vor Kriegsausbruch mit rund 4 Milliarden Pfu.nd (davon 1 Milliarde in Dollarbons) einen Höchststand erreichten. London war damals die finanzielle Zentrale eines stark nach Ausbreitung strebenden Gläubigerlandes.

Verschlechterung der Handelsbilanz In einem hohen Grad gefördert wurde dabei der Prozeß der Kapitalansammlung durch eine günstige Gestaltung des Außenhandels. So wurden im Jahre 1913 noch rund 80 Prozent der Einfuhr durch die Ausfuhr allein gedeckt.

In den seither verflossenen Jahren hat sich nun aber die britische Handelsbilanz mehr und mehr verschlechtert. Besonders ungünstig waren die Jahre 1934 bis 1938. Nach einer Aufstellung des Londoner Board of Trade schloß die Zahlungsbilanz 1938 vftr Ausbruch des zweiten Weltkrieges mit einem Defizit von 55 Millionen und der Gesamtabgang seit dem Jahre #1930 hat den Betrag von 259 Millionen Pfund erreicht.

Ursache dieser Entwicklung war das rasche Absinken des Außenhandels, der schon 1938 bei einer Einfuhr in Höhe von 860 Millionen Pfund (fast ein Fünftel des Nationaleinkommens) und einer Ausfuhr von nur 470 Millionen mit einem Defizit von 390 Millionen Pfund abschloß. In den Jahren 1939 bis 1945 verdüsterte sich dann das Bild ganz außerordentlich: Der Export ging auf ein Drittel des Niveaus vom Jahre 1938 zurück, die Einfuhr aber erfuhr eine ungewöhnliche Steigerung. Während, des Krieges schwoll das Defizit in der Zahlungsbilanz von 55 Millionen (1938) auf durchschnittlich 7 50 Millionen pro Jahr.

Diese riesenhaften Beträge mußten irgendwie beglichen werden. Dies geschah anfänglich durch Liquidierung von Kapital-, anlagen. In der Praxis wickelte sich der Prozeß in der Weise ab, daß die überseeischen Lieferanten ihre Sterlingguthaben zur Rückzahlung alter Schulden benützten. So hatte Indi.en um die Mitte 1943 seine gesamten Sterlinganleihen bis auf einen Rest von 14 bis 15 Millionen (Gemeinde- und Hafenanleihen zurückgezahlt.

Die geschilderten Tatsachen dürfen nicht so verstanden werden, als ob England heute von seinen finanziellen Reserven entblößt sei. Sein Vorrat an Gold und Devisen konnte wieder auf über 400 Millionen Pfund hinaufgebracht werden. Die Kapitalanlagen im Ausland erreichen auch jetzt noch einen hohen Betrag. Doch stimmen alle Fachleute in England darin überein, daß jetzt nach dem Kriege die englische Ausfuhr um mindestens 50 Prozent gesteigert werden muß, wenn die Zahlungsbilanz wieder ins Gleichgewicht gebracht werden soll. „Financial News“ sprach sogar von der Notwendigkeit einer hundertprozentigen Exportsteigerung. Die „Times“ ist der Ansicht, daß mindestens ein, halbes Jahrzehnt vergehen wird, bis das Gleichgewicht in der Zahlungsbilanz wieder erreicht ist. Bis dahin braucht die britische Wirtschaft eine Atempause, die jetzt durch den amerikanischen Milliardenkredit gesichert wird. Allerdings unter Bedingungen, die für eine Weltmacht schwer erscheinen müssen. Wer sich in einer Zwangslage befindet, muß sich in sie schicken. Diese Erfahrung hat auch Österreich machen müssen. In Wien ist 1922 gegen Seipel und zehn Jahre später gegen Dollfuß von der Opposition wegen der Finanzabkommen von Genf und Lausanne, die dem Lande Verpfändungen auferlegte, aber es aus ärgster Bedrängnis retteten, schwerstes Geschütz aufgefahren worden. Dabei war Österreich im Vergleich zu England nur ein Zwerg. Selbst das siegreiche England hat jetzt zu einem Vertrag ja sagen müssen, der — wenn auch in anderer Form als dies gegenüber Österreich geschah — sehr ernste Bindungen beinhaltet.

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