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Österreichs Außenhand elsdefizite laufen davon

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Ungünstige Prognosen tragen auch dann, wenn sie von der Wirklichkeit bestätigt werden, keine Zinsen. Im Gegenteil: dann erst recht werden Kassandras bemüht, aus völlig geänderten Situationen das Beste zu machen.

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Ungünstige Prognosen tragen auch dann, wenn sie von der Wirklichkeit bestätigt werden, keine Zinsen. Im Gegenteil: dann erst recht werden Kassandras bemüht, aus völlig geänderten Situationen das Beste zu machen.

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Kritiker an der parteipolitisch inspirierten Aufwertungspolitik des österreichischen Schillings hat es immer und genug gegeben. Das wurde zuerst von Regierungsseite belächelt. Der Konjunkturboom sollte seinen für alle Wähler sichtbaren Ausdruck finden, und der bestand nun einmal nach Auffassung der Bundesregierung in fortgesetzten Aufwertungen des österreichischen Schillings. Diese Währungspolitik fand auch ihre Befürworter, die meinten, daß auf diese Weise Stabilität herbeigezaubert und Wirt-ischaftsstrukturen angepaßt werden könnten. Einwände, jedenfalls der, daß es problematisch ist, mit Wechselkursänderungen Konjunkturpolitik zu betreiben, wurden beiseite geschoben. Heute ahnt man die Irrtümer der letzten Jahre. Ist man bereit, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen?

Zur politischen Doktrin der Bundesregierung und der derzeitigen Notenbankführung zählte die Auffassung, daß sich Österreichs Währungspolitik an jener der Bundesrepublik Deutschland zu orientieren hätte, koste es, was es wolle. Das führte konkret zu drei Schillingaufwertungen und — Anfang 1974 — zu einem großen Katzenjammer in Bonn und Wien. Die Mark und noch mehr der Schilling haben in den letzten Monaten gegenüber dem US-Dollar, dessen vernünftige Parität es herzustellen galt, viel, nämlich 20 Prozent, an Terrain verloren. An Terrain, das seine Auswirkungen auf die Entwicklung der Handels- und Zahlungsbilanz haben sollte.

Ende 1970 betrug das österreichische Handelsbilanzdefizit rund 18,8 Milliarden Schilling. Dieses Defizit, die Differenz zwischen den Exporten aus und den Importen nach Österreich, wurde in diesem Jahr zu fast 93 Prozent aus den Nettoeinnahmen des Fremdenverkehrs gedeckt. Das Handelsbilanzdefizit erhöhte sich im darauffolgenden Jahr auf 26,7 Milliarden Schilling und wurde nur noch zu 84 Prozent aus den Nettoeinnahmen aus dem Fremdenverkehr gedeckt. 1972 betrug das Handelsbilanzdefizit bereits 32 Milliarden Schilling und die Reiseverkehrsdeckungsquote des Fremdenverkehrslandes Österreich betrug nur noch 80 Prozent.

Per Ende 1973 dürfte das Handelsbilanzdefizit auf Grund vorläufiger Schätzungen rund 38 Milliarden Schilling betragen. Diesem hohen Defizit steht ein Reisebilanzaktivum von etwa 29 Milliarden Schilling gegenüber — woraus sich eine Dek-kumgisquote von etwa 75 Prozent errechnet.

Eine Reihe von Faktoren lassen fürchten, daß das Handelsbilanzdefizit im laufenden Jahr nahe an die 50-Müliarden-Schilling-Grenze kommen wird. Die externen Faktoren sind die spürbare Abkühlung der internationalen Konjunkturentwicklung, zu den internen Faktoren zählen der starke Preis- und Kostenauftrieb und die durch die Schilling-Aufwertungswelle verursachte Verschlechterung der Handelsbedingungen österreichischer Exporteure auf den Auslandsmärkten. Da anzunehmen ist, daß (auf Grund der verschlechterten Verkehrsbedingungen) der Reiseverkehr auch nach Österreich 1974 weiter ins Stocken geraten wird, muß damit gerechnet werden, daß erstens die Devisennettoeinnah-men aus dem Fremdenverkehr erstmals seit 1967 wieder rückläufig sein werden' und daß zweitens die Dek-kungsquote des Handelsbilanzpassi-vums weiter sinkt. Auf Grund vorläufiger Schätzungen dürfte sie in diesem Jahr nur noch 58 bis 60 Prozent betragen.

Diese äußerst ungünstige Entwicklung der ostertre^jchischen Handelsund Zahlungsbilanz ist nicht allein die Folge externer Einflüsse und struktureller Probleme, sondern auch das Ergebnis einer verfehlten Wechselkurspolitik.

Auch nicht seit 1970 werden Probleme der Schillingauf- oder -ab-wertung als ökonomische Probleme behandelt. Sie waren und sind vor allem ein Politikum. Eine solche Haltung der Parteien und Regierungen zu dieser Frage führte zwangsläufig zu Justamentstandpunkten und zu verhärteten Fronten: hier die Erfordernisse der Exportwirtschaft, dort das Prestige von Parteien und Regierungen.

Die Bundesregierung, das wurde schon gesagt, hat diese Haltung bis zum Äußersten kultiviert. Zugleich scheint sie aber bemüht, aus diesem wirtschaftspolitischen Fehler zu lernen, was sich darin ausdrückt, daß sie derzeit die Notwendigkeit exportfördernder Maßnahmen vertritt. Diese von Finanzminister Androsch versprochenen exportfördernden Maßnahmen dürften sich freilich nur auf Erleichterungen bei der Finanzierung, bei der Riskenabsicherung und auch bei der steuerlichen Hilfestellung für Exporte (und möglicherweise auch für die Fremdenverkehrswirtschaft) beziehen. Was darüber hinausgeht, nämlich eine Korrektur der Außenparität des österreichischen Schillings, darf nicht zur Diskussion gestellt werden. Und genau dort sollte die Diskussion beginnen.

Unabhängig von Parteistandpunkten und Propagandaformulierungen sollte daher geprüft werden, ob sich Österreich tatsächlich einen überbewerteten Schilling leisten kann. Die Entwicklung unserer Handels- und Zahlungsbilanz spricht das Gegenteil. Daraus sollten Konsequenzen gezogen werden.

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