6854168-1977_08_04.jpg
Digital In Arbeit

Währungsreserven auf dem Niveau von 1966

Werbung
Werbung
Werbung

Plötzlich ist der österreichischen Öffentlichkeit ein neuer Problembereich bewußt geworden, den sie bisher vergessen oder verdrängt hatte, die österreichische Zahlungsbilanz. Schon Ende 1973, unmittelbar nach dem Ausbruch der Ölkrise, wären die ersten Kassandrarufe der Zahlungsbilanzexperten laut erklungen. 1973 schloß die Grundbilanz der österreichischen Zahlungsbilanz mit einem Defizit von elf Milliarden Schilling, das, bereinigt um die „Statistische Differenz”, mit noch fast sechs Milliarden Schilling negativ auf die österreichischen Währungsreserven durchschlug. Für 1974 rechnete man auf Grund der gestiegenen ölpreise mit einem Defizit von mindestens 15 Milliarden Schilling der Zahlungsbilanz.

Tatsächlich war 1974 die Zahlungsbilanz nahezu ausgeglichen, die Währungsreserven gingen nur um eine Milliarde Schilling zurück, und das Jahr 1975 brachte sogar einen Zuwachs der Währungsreserven um 20 Milliarden Schilling, so daß alle Sorgen um die österreichische Zahlungsbilanz überflüssig schienen.

Als sich dann plötzlich 1976 die Handelsbilanz wie die Zahlungsbilanz von Monat zu Monat verschlechterten, wollte niemand die Entwicklung so ernst nehmen. Ende 1976 wurde dann jedermann klar, daß wir 1976 ein Rekorddefizit auch in der Zahlungsbi lanz erwirtschaftet haben werden. Seit Mitte Februar 1977 wissen wir, daß das Defizit der Zahlungsbilanz 27 Milliarden Schilling beträgt und Österreich 1976 Währungsreserven in Höhe von 22 Milliarden Schilling verlor.

Was hatte sich 1976 so fundamental geändert? Alle für die Wirtschaftspolitik offiziell zuständigen Stellen zeigten sich doch zufrieden über ‘die wirtschaftliche Entwicklung! Sonderfaktoren, außerordentliche Ereignisse, wie etwa der Autoboom, Lagerkäufe der Ölgesellschaften, geringere Stromerzeugung auf Grund des trok- kenen Sommers, Mindereinnahmen im Sommerreiseverkehr, so zumindest die ersten offiziellen Erklärungen, hatten das beträchtliche Defizit verursacht.

Aber vielleicht waren es auch schon Sonderfaktoren, die 1974 zu einer fast ausgeglichenen Zahlungsbilanz und 1975 sogar zu einem Uberschuß der Zahlungsbilanz führten?

1974 stiegen die österreichischen Exporte um 35 Prozent, während der Anstieg der Importe mit 27 Prozent beträchtlich darunter lag. Das Handelsbilanzdefizit war daher 1974 um 1,5 Milliarden Schilling geringer als 1973. Die Oesterreichische Nationalbank hatte ihre Aufwertungspolitik, Erweiterung der Bandbreiten genannt, im Alleingang erst im Frühjahr 1974 begonnen. Währungspolitische Maß nahmen wirken nie sofort, der „time lag”, bis. die Maßnahmen richtig greifen, beträgt oft mehr als ein Jahr. Die Aufwertung brachte daher nicht sofort Exportverluste. Alle jene Exporteure, die in Schilling fakturiert hatten, erlitten keine Verluste, und angesichts der schwankenden Kurse des US-Dollar war der Anteil der Schillingfakturierung im Exportgeschäft seit 1972 gestiegen.

Im Krisenjahr 1975 gingen sowohl Exporte wie Importe zurück. Aber der Rückgang der Importe fiel stärker ins Gewicht als der der Exporte, so daß sich 1975 die Handelsbilanz abermals um 1,6 Milliarden Schilling verbesserte. Dazu kam, daß 1975 öffentliche Stellen massiv Kredite im Ausland auf- nahmen, netto 16,5 Milliarden Schilling. Schließlich stiegen 1975 auch die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr um vier Milliarden Schilling, die Arbeitslosigkeit in der BRD veränderte noch nicht die Reisepläne der deut- sehen Touristen, die großzügige Arbeitslosenunterstützung führte sogar zu einem Anstieg der Übernachtungen von Urlaubern aus der BRD.

Diese kurze Analyse verstärkt den Eindruck, daß nicht nur außerordentliche Einflüsse 1976 zu einer so starken Verschlechterung der Zahlungsbilanz beitrugen, sondern, daß die Ereignisse, die 1974 und 1975 den seit 1971 negativen Trend der Grundbilanz unterbrachen, ebenfalls außerordentlich waren.

Die Prognose der Oesterreichischen Nationalbank für 1977 schätzt das Leistungsbilanzdefizit auf 26 Milliarden Schilling (1976: 27 Milliarden) und rechnet mit einer Abnahme der Währungsreserven um 9 Milliarden Schilling. Bei Zutreffen dieser Prognose wären Ende 1977 die österreichischen Währungsreserven auf das Niveau des Jahres 1966 zurückgefallen. Damals, 1966, erreichten die Währungsreserven 30,5 Milliarden Schilling und die Jahreseinfuhr erreichte einen Wert von 60 Milliarden Schilling. Durch die Währungsreserven des Jahres 1966 waren 50 Prozent der Importe des Jahres 1966 gedeckt. Für 1977 werden die Importe von der Nationalbank auf 250 Milliarden Schilling geschätzt, die österreichischen Währungsreserven werden dann nur noch 12 Prozent der Importe des Jahres 1977 decken. Selbst diese 30 Milliarden werden de facto nur geborgte Reserven sein, da sich Österreich allein in den letzten zehn Jahren im Rahmen des langfristigen Kapitalverkehrs in Höhe von 33 Milliarden Schilling verschuldet hat!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung