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Dubioser Ost-Handel
Lenin wird der Spruch zugeschrieben: „Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, an dem wir sie aufhängen." Wir tun noch mehr, wir finanzieren ihn sogar vor.
Lenin wird der Spruch zugeschrieben: „Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, an dem wir sie aufhängen." Wir tun noch mehr, wir finanzieren ihn sogar vor.
Seit der Polenkrise vor drei Jahren ist es um die Ostschulden stiller geworden. Stiller, jedoch deshalb nicht weniger dramatisch.
Zur Jahresmitte 1984 standen die Länder des Ostblocks bei den österreichischen Geldinstituten mit 140 Milliarden Schilling in der Kreide, während es ganz Lateinamerika auf rund achtzehn Milliarden Schilling bringt. Mit rund 42 Milliarden Schilling führt die DDR den Reigen an, ihr Schuldenstand erhöhte sich seit dem Jahresende 1983 um zwanzig Prozent.
Es folgt mit knapp 35 Milliarden Schilling die Sowjetunion, rund 22,5 Milliarden Schilling beträgt die Verschuldung Ungarns. Polen ist mit knapp 22 Milliarden Schür ling erst am vierten Rang zu finden. Es konnte seinen Schuldenstand seit Ende 1983 um fast ein Drittel abbauen.
Der Generaldirektor der Kontrollbank AG, Helmut Haschek, auf das Ostschuldenproblem angesprochen, reagiert verärgert: „Ich weiß nicht, was Sie wollen. Der Schuldenstand ist stabilisiert, teilweise sogar gesunken. Dafür wurden aber auch die Importe eingeschränkt. Handel ist eben keine Einbahnstraße."
Er wird es aber insofern immer mehr, als es längst nicht mehr getan ist, die Waren (zumeist Industrieanlagen) selbst zu verkaufen. Langfristige Finanzierungen zu günstigen Zinsen gehören ebenso dazu wie die Abnahme- oder Auslastungsgarantien und Kompensationen.
Wird dann auch noch, wie im Fall Polen, „umgeschuldet" — werden alte Kredite durch neue ersetzt —, dreht sich das Rad vollends im Kreis. Zum Unterschied von den OECD-Exporten bezahlen wir unsere Ostausfuhren teilweise aus eigener Tasche.
Dies hat insofern Aktualität, als der Osthandel sich seit Jahresanfang wieder kräftig belebt hat. Die Einfuhren aus Osteuropa (inklusive UdSSR) stiegen in den ersten neun Monaten 1984 um 25,7 Prozent auf 32,5 Milliarden Schilling. Die Exporte stiegen um 18,8 Prozent auf fast 27 Milliarden Schilling. 1983 dagegen erhöhten sich Exporte um 3,9, die Importe um 13,2 Prozent.
Die Ostpolitik ist klar: Man versucht die Importzuwächse klein zu halten und möglichst teuer (mit Zusatzleistungen) zu „verkaufen", gleichzeitig die Exporte der teilweise aus den vom Westen aufgebauten und finanzierten Industrien zu intensivieren. Der Erfolg ist beachtlich. Bereits fünf der sieben RGW-Länder (RGW = Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) exportieren mehr nach Österreich als sie importieren: die Sowjetunion, Ungarn, die Tschechoslowakei, Rumänien und Polen.
Auch insgesamt ergibt sich für uns bereits ein Defizit im Handel mit den Ostländern von rund fünf Milliarden Schilling.
Dabei spielen allerdings die Energieimporte — Erdgas und Erdöl — aus der Sowjetunion eine bedeutende Rolle. Diese werden übrigens bar und beim Erdgas in Form von langfristigen Verträgen bezahlt.
Das Beispiel der Oststaaten macht schon seit einigen Jahren in den Entwicklungsländern Schule. Die Folge: Der Transit-nanaei (Handel mit Kompensationen) blüht. Die Entwicklungsländer schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe — sie müssen für Lieferungen der Industriestaaten weniger neue Schulden machen und ersparen sich durch die Kompensationen den Aufbau eigener Vertriebswege und Absatzmärkte.
Durch die Finanzkrise einiger osteuropäischer Staaten und Entwicklungsländer haben sich die österreichischen Exporte in der allprletzten Zeit etwas in Richtung OECD-Staaten verlagert, einige Betriebe haben auch den großen Hoffnungsmarkt Ubersee, vor allem Fernost erkannt und den Sprung gewagt.
Der Berg „dubioser" Forderungen bleibt dennoch beachtlich, obwohl man erkennen muß, daß die Kontrollbank durch geschicktes Agieren auf dem Kapitalmarkt bisher außer den Exportstützungen keine Rettungsaktionen aus dem Budget benötigt hat.
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