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Ostschulden werden zum Problem für den Westen

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Der Westen steht vor einem neuen Scherbenhaufen. Die geradezu gigantische Verschuldung Moskaus und der Ostblockstaaten wird bis zum Jahresende, wie man glaubt, auf 40,2 Milliarden Dollar angewachsen sein und damit erstmals einen Umfang haben, der ernste Zweifel in die Zahlungsfähigkeit der kommunistischen Systeme angebracht sein läßt.

Die Schuldenlast dem Westen gegenüber war 1975 schon auf 33,4 Milliarden Dollar angestiegen, wobei die UdSSR mit 13,1 Milliarden den fraglos größten Anteil hatte, gefolgt von Polen und der DDR. Inzwischen hat sich das Volumen noch erhöht und bei den Gläubigern kommt langsam die Befürchtung auf, daß sich die Ostblockstaaten übernommen haben könnten (die größten Kreditoren etwa Moskaus sind - in dieser Reihenfolge - Frankreich, Deutschland, Italien und, mit geringeren Beträgen, Japan, Großbritannien und die USA). Recht deutlich jedenfalls ist schon die Forderung erhoben worden, der Kreml möge sich zur Deckung seiner Auslandsschulden der Goldreserven oder wenigstens gesteigerter Exportbemühungen bedienen.

Das letztere wird nicht nur von Moskau, sondern vom gesamten COME-CON versucht. Es ist dem Ostblock zwar gelungen - um nur ein Beispiel zu erwähnen -, die Ausfuhr in die Bundesrepublik im ersten Halbjahr 1976 um fast ein Drittel zu erhöhen und die Importe auf nur drei Prozent zu reduzieren. Doch letztlich kann das keine Lösung sein, weil 85,2 Prozent allein der UdSSR-Exporte Halbwaren- oder Rohstoff-Lieferungen sind; die Staaten Osteuropas lassen sich trotz aller Propagandaprahlerei nur als verleugnete Entwicklungsländer definieren.

Ihr Wunsch, sich weiterer Kredite zu versichern, ist gerade deshalb auch -trotz aller Zahlungsschwierigkeiten -nach wie vor gegeben. Und Banken, die noch immer Interesse zeigen - in' Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, in Japan und Amerika verschärfen vorerst nur die Konditionen, wiewohl sie sich im Sommer dieses Jahres strikt geweigert haben, der Außenhandelsbank in Moskau neuerlich 250,5 Millionen Dollar zu gewähren.

Das ist - in groben Zügen aufgehellt - der Tatbestand. Wie aber stellen sich, vom Wirtschafts- und Kreditmarkt abgesehen, die überdies politischen Zusammenhänge dar, wo lassen sich der Hintergrund, die größeren Dimensionen finden?

Es gibt vor allem in Amerika, doch auch in Großbritannien und in Deutschland Kreise, die der Version verhaftet sind, der Osten pumpe sich mit Geldern aus dem Westen auf (er habe nie die Absicht, sie zurückzuzahlen), um damit seine Rüstung hochzutreiben und seine Expansionsabsicht zu angemessener Zeit auch militärisch zu verwirklichen. Das scheint nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein, zumal sich Waffenplanung, Rüstungs-umfang und strategisches Konzept eindeutig als offensiv erkennen lassen. Der Osten präpariert auf breiter Front den Angriff, keineswegs die Verteidigung. Der Westen scheint sich dafür jenen Strick zu drehen (und ihn dem Osten zu verkaufen), mit dem die Kommunisten ihn, laut Lenin, hängen werden.

Dennoch spricht - im speziellen Fall - nicht weniges dagegen. Zunächst, daß sich die Staaten Osteuropas - trotz oder gerade wegen ihres COMECON und wegen der Beschneidung durch die UdSSR - als unfreiwillige Entwicklungsländer fühlen müssen und darauf angewiesen sind, auf leichte Art zu Geld und zu erprobtem technischen Know-how zu kommen. Das gilt vor allem für die UdSSR, die ja das letzte auch noch aus den Juniorpartnern preßt, weil sie den größten Rückstand aufzuholen hat, nichtsdestoweniger aber doch das Monopol der Macht besitzt.

Hinzu kommt, daß der Kreml, wie es scheint, der Meinung ist: „Je mehr Verschuldung (und Verkettung), desto weniger kalter Krieg“. Man will „Entspannung“. Bis auf weiteres. Krieg paßt - im Augenblick - nicht ins Konzept. Man hat deshalb sogar die gängigen Modelle, zum Beispiel der gemischten Kapitalgesellschaft, und die Zusammenarbeit auf den Märkten dritter Länder aktiviert. Das spricht tatsächlich gegen die Vermutung kriegerischer Ambitionen. Genau so wie das Treffen jener „Firmenkommission“ eines Gremiums von potenten Wirtschaftspraktikern der USA und der Sowjetunion -, das für Dezember in Moskau vorgesehen ist.

Bleibt, wie auch immer, die Verschuldung selbst. Sie muß in westlicher Betrachtung vorerst noch nichts Schlechtes sein, selbst wenn es Banken gibt, die sie aus Gründen des geschäftlichen Profits sogar forcieren. Trotz allem darf sie als bedenklich gelten, weil sie auf jeden Fall zu weiterer Verzerrung der Bilanzen und des Außenhandels führen und den Verdacht nicht gänzlich tilgen kann, daß die Milliarden auf die. Dauer eben doch Kanonen statt nur Butter finanzieren. Es sei denn, daß der Schuldenberg tatsächlich abgetragen wird und daß die Mittel künftig zweckgebunden sind, ihr Einsatz also kontrollierbar ist. Falls nicht, so könnte aus dem Scherbenhaufen in absehbarer Zeit ein Trümmerfeld vergessener Pflichten werden.

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