6836226-1975_16_06.jpg
Digital In Arbeit

Teures öl plus Ratschläge

19451960198020002020

Ein Jahr früher als geplant, beginnt sich das Preiskarussell in den Handelsbeziehungen zwischen den COMECON-Staaten zu drehen. Auslosender Faktor ist die Erhöhung des Rohölpreises durch die Sowjetunion von 15 auf 38 Rubel für die Tonne. Wenn man vom Abnahmevolumen des Jahres 1973 ausgeht, wird diese Preiserhöhung die östlichen Abnehmer von Sowjetöl mit zusätzlich insgesamt drei Milliarden Rubel allein in diesem Jahr belasten. Die vielgepriesene Preisstabilität der Planwirtschaft ist damit endgültig ins Reich der Illusionen verwiesen. Klar, daß sich das Handelsbilanzdefizit der rohstoffarmen Satellitenstaaten zugunsten der Sowjetunion verschiebt.

19451960198020002020

Ein Jahr früher als geplant, beginnt sich das Preiskarussell in den Handelsbeziehungen zwischen den COMECON-Staaten zu drehen. Auslosender Faktor ist die Erhöhung des Rohölpreises durch die Sowjetunion von 15 auf 38 Rubel für die Tonne. Wenn man vom Abnahmevolumen des Jahres 1973 ausgeht, wird diese Preiserhöhung die östlichen Abnehmer von Sowjetöl mit zusätzlich insgesamt drei Milliarden Rubel allein in diesem Jahr belasten. Die vielgepriesene Preisstabilität der Planwirtschaft ist damit endgültig ins Reich der Illusionen verwiesen. Klar, daß sich das Handelsbilanzdefizit der rohstoffarmen Satellitenstaaten zugunsten der Sowjetunion verschiebt.

Werbung
Werbung
Werbung

Ungarn war das erste Land des östlichen Wirtschaftsblocks, das die neuen Tarife für sowjetisches Rohöl publizierte und gleichzeitig damit den inflationären Effekt dieser Maßnahme eingestand. Istvän Földes schrieb darüber im Parteiorgan „Nepszabadsäg“ am 23. Februar 1975: „Die COMECON-Staaten werden als Basis für die Festlegung ihrer Preise den Durchschnitts-Weltmarktpreis der Jahre 1972 bis 1974 heranziehen. „Preiserhöhungen betreffen demnach 56 Prozent aller Importe Ungarns aus der UdSSR und 63 Prozent der Exporte dahin.

Die 70. Sitzung des COMECON-Exekutivrates hatte im Jänner 1975 beschlossen, Preiserhöhungen erst 1976 einzuleiten. Die Realität ist den Planern allerdings davongelaufen. Um zumindest nach außen hin den Schein der „profitunabhängigen Stabilität“ zu erhalten, hat man sich nun auf eine neue, kompliziertere Formel für die Zukunft geeinigt. Noch 1976 will man die Preise auf einer Fünf-Jahres-Durchschnittsebene kalkulieren, wobei der Weltmarktpreis der vergangenen fünf Jahre als Vergleichsgrundlage herangezogen wird.

So kaltblütig, wie es im ersten Moment zu sein scheint, haben die Russen den Rohölpreis jedoch nicht erhöht. Földes führt an, daß Ungarn zwar jetzt mehr als doppelt soviel für Rohöl bezahlen müsse wie im Vorjahr, der sowjetische Ölpreis aber immer noch um 52 Prozent unter dem arabischen Preis liege. (Vergleich: eine „OPEC-Tonne“ kostet 110 Dollar, eine „Sowjet-Tonne“ auf Basis des offiziellen Umrechnungskurses — Dollar gleich 0.7 Rubel — lediglich 52.48 Dorlar.) Moskau liefert mit dem teureren öl auch gute Ratschläge zur Importfinanzierung. Wieder ist das Beispiel Ungarn typisch.

Zusätzlich zu den vereinbarten sechs Millionen Tonnen Rohöl verpflichtete sich die UdSSR, noch 760.000 Tonnen in diesem Jahr nach Ungarn zu liefern. (Also nach dem Leitsatz: mehr Geld, mehr Ware, den auch die geschmähten „Multis“ gegenüber den europäischen Industriestaaten angewandt haben.) Das belastet die ungarische Wirtschaft mit Mehraufwendungen von 250 Millionen Rubel. Für' die Zusatzlieferung möchte der Kreml von Ungarn „Waren aus Drittländern“ beziehen. Im Klartext: Die Satellitenstaaten sollen westliche Investitions- und Konsumgüter kaufen, aus ihren eigenen Devisenbeständen bezahlen und dann an die Sowjetunion weiterliefern!

Bei Heranziehung aller verfügbaren Daten scheint es die Absicht der Sowjetunion zu sein, ihre Handelspartner an höhere ölpreise und Rohstoffpreise im allgemeinen zu „gewöhnen“. Denn — das bisherige Durchschnitts-Wirtschaftswachstum vorausgesetzt — schon in wenigen Jahren wird die UdSSR nicht mehr als der Hauptöllieferant des COMECON auftreten können.

1975 werden zwischen Ural und Sibirien rund 490 Millionen Tonnen öl gefördert werden. Davon gehen 135 Millionen Tonnen (oder 27,5 Prozent) in den Export. Gleichzeitig steigt aber die Inlandsnachfrage in hohem Maße an, nicht zuletzt wegen des Wachstums der petrochemischen Industrie und der Ausweitung des privaten Autoverkehrs.

Natürlich gibt es in der Sowjetunion Öl-Hoffnungsgebiete, wie etwa das klimatisch ungünstig gelegene Turnen in Westsibirien, von wo 1975 allein 147 Millionen Tonnen Rohöl kommen werden. Ebenso will der Kreml seine ölimporte aus dem Nahen Osten steigern, dies jedoch mehr aus politischen als aus wirtschaftlichen Motiven. Man schätzt, daß die COMECON-Staaten im Jahr 1980 150 bis 170 Millionen Tonnen Rohöl aus den Golfstaaten beziehen werden, schrieb Istvan Döböczy im • „Nepszabadsäg“.

Mit Ausnahme von Rumänien beziehen die COMECON-Länder rund 90 Prozent ihres ölbedarfes aus der Sowjetunion. Die Statistiken der letzten Jahre zeigen, daß die Importziffer vor allem in Bulgarien anstieg, während sie in der CSSR und in Polen einen Abwärtstrend zeigt.

Um dem Monopolkoloß UdSSR auszuweichen, haben östliche Manager zaghafte Vorstöße in Richtung Nahost unternommen. Eine öl-auktion in Libyen im Dezember 1973 erbrachte für Polen eine Million Tonnen, für Ungarn und Bulgarien je fünf Millionen Tonnen Rohöl, allerdings zum Superpreis von 128 bis 160 Dollar pro Tonne. Nach Verhandlungen mit der kuwaitischen Regierung stellte Ungarns Finanzminister Läjos Feluregi vor kurzem fest, man habe „potente Quellen zur Versorgung des Energiebedarfes“ gefunden. Hinzu kommt noch die Errichtung der Adria-Pipeline (die wesentlich von Kuweit mitfinanziert wird) mit dem Fertigstellungstermin 1977 und die politische Haltung der COMECON-Staaten in der Israelfrage als Indikatoren für die These, daß arabisches öl der eigentliche Schlüssel für die wirtschaftliche Zukunft des Ostblocks außerhalb der Sowjetunion sein wird.

Inzwischen müssen die COMECON-Staaten mit einer für sie völlig ungewöhnlichen Preisentwicklung fertig werden. Es ist unwahrscheinlich, daß sie ihre Exporte in die Sowjetunion in gleichem Maße steigern können, wie die dortigen Rohstoffpreise ansteigen. Die Konsequenz ist ein verstärktes Bemühen um westliche Devisen. Das bedeutet für die westlichen Industriestaaten einen verstärkten Importdruck von Ostware. Die Planwirtschaft ermöglicht es nämlich, Endverkaufspreise durch Lohn- und Investitionskontrolle so niedrig zu halten, daß (ohne Qualitätsvergleich) eine preisliche Konkurrenzierung überall und jederzeit möglich ist. In die Schere geraten lediglich agrarisch orientierte Länder wie etwa Bulgarien, das aber momentan ungeheure Anstrengungen unternimmt, um den Anschluß an das industrielle Zeitalter zu finden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung