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Westkredite für den Osten

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Sehen wir ab von der Sowjetunion, von der DDR und der CSSR, so handelt es sich bei den Staatswirtschaftsländern des Sowjetblocks, den sogenannten COMECON-Mitgliedstaaten, zum Teil um Entwicklungsländer. Läßt man wieder die weitreichenden Unterschiede der politischen Systeme und der Wirtschaftsordnungen in Ost und West beiseite — so klafft damit noch immer ein sehr nachhaltiger Unterschied zwischen dem zivilisatorischen Westen, den westeuropäischen Marktwirtschaften und der UdSSR sowie den Volksdemokratien, die sich in einer industriellen Aufbauphase befinden, die der industrialisierte Westen längst hinter sich gelassen hat.

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Sehen wir ab von der Sowjetunion, von der DDR und der CSSR, so handelt es sich bei den Staatswirtschaftsländern des Sowjetblocks, den sogenannten COMECON-Mitgliedstaaten, zum Teil um Entwicklungsländer. Läßt man wieder die weitreichenden Unterschiede der politischen Systeme und der Wirtschaftsordnungen in Ost und West beiseite — so klafft damit noch immer ein sehr nachhaltiger Unterschied zwischen dem zivilisatorischen Westen, den westeuropäischen Marktwirtschaften und der UdSSR sowie den Volksdemokratien, die sich in einer industriellen Aufbauphase befinden, die der industrialisierte Westen längst hinter sich gelassen hat.

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Bei dieser Beobachtung der sehr unterschiedlichen Industrialisierung, Technisierung, Modernisierung in West und Ost setzen daher auch die eigentlichen Schwierigkeiten für den Konkurrenzkampf, für die Kooperation zwischen westlichen Industrie-ländeni und den meisten COMECON-Staaten ein. Für die heutige Aufbauphase der Industrieapparate besteht in den COMECON-Staaten der Zwang zur beschleunigten technischen Ausstattung, zur Verbesserung der technologischen Prozesse, zur Kapitalinvestition, zum technischen und gleichzeitig sozialen Fortsehritt. Kein Flugzeugführer, kein leitendes und Wartungspersonal eines Computers, keine Belegschaft sogenannter „Zukunftsindustrien“ könnten zuverlässige, kontinuierliche und vor allem ergiebige Arbeit leisten, wenn sie gleichzeitig hinten herum Fleisch, Butter, Eier und „schwarze“ Qualitätstextilien für die Familie beschaffen müßten.

Diese Tatsachen sind den Chefs der COMECON-Länder bekannt. Modernere Investitionen nach dem neuesten Stand kauft man am günstigsten in westlichen Ländern, wo Erfahrung, das technische Know-how und Großserien eine Gewähr für rasche Lieferung, für eine sofortige technische Einweisung, und wo Ausgangsdaten zum Produktionsprozeß gewährleistet sind. Gerade auf diesem Sektor des West-Ost-Handels, der Fabrikeinrichtungen, Maschinensätze, neueste technische Errungenschaften umfaßt, hat der Westen den Nachweis erbracht, daß er bereit ist, die „politischen Barrieren“, die Diskriminierung der östlichen Partner abzubauen und zu beseitigen.

Damit befinden wir uns im Grunde schon inmitten wirtschaftspolitischer Gedankengänge. Man kennt aus dem Jahre 1968 das Bestreben tschechoslowakischer Planwirtschaftsstellen, von einem westeuropäischen Bankenkonsortium einen 500-Millionen-Dollar-Kredit für den Ankauf westlicher Anlagegüter zu erhalten, der zur Modernisierung der CSSR-In-dustriebetriebe dringend notwendig war. Man schätzt heute die westliche Devisenverschuldung Rumäniens für westliche Installationen auf rund Milliarden Dollar. Gegenwärtig sollen zwischen Bonn und Warschau außenwirtschaftliche Verhandlungen laufen, die eine Kreditmarge bis zu 1 Milliarde DM für polnische An-lagegüter-Importe vorsehen. Zweifellos handelt es sich auch bei den jüngsthin angebahnten ungarischbundesdeutschen Handelsgesprächen um die Lieferung deutscher Betriebseinrichtungen und Maschinenanlagen. Die Agramer Messe zeigte Mitte März auf jugoslawischer Seite die gleiche Interessenrichtung — Kapitalinvestitionen, moderne Technik, Know-how, entgegenkommende Zahlungsmodalitäten der schweizerischen, deutschen, österreichischen Lieferanten. Jugoslawiens Einbeziehung in das sogenannte GATT, die durchaus gewichtigen marktwirtschaftlichen Elemente in Jugoslawiens Wirt-schaftsstruktur und besonders im Bereich des Außenhandels haben die Kreditgewährung von westlicher Seite erleichtert und begünstigt. Die Möglichkeit, außenpolitische, ideologische und rein strategische „Nebenabsichten“ beiderseits auszuklammern, hat für Jugoslawiens Anlageimporte aus dem Westen günstigere Voraussetzungen geschaffen, als sie gegenwärtig für die COMECON-Staaten gegeben sind.

Auf dem Hintergrund der oft schlagartig gesteigerten Investitionsbedürfnisse der COMECON-Staaten erfahren auch die Wiener SALT-Ge-spräche zwischen den USA und der UdSSR ihre zusätzliche Begründung. Weder die UdSSR als zweiter Industriestaat der Weltstatistik noch andere COMECON-Partner können gleichzeitig modernste Rüstung, Weltrevolution auf sämtlichen Kontinenten, Hebung der Lebenshaltung und Modernisierung der Industrieapparate finanzieren. Die USA wünschen — ihren nationalen und Welt-aufgaben zuliebe — astronomische Ausgaben für neue und neueste Su-perwaffen ebenfalls zu reduzieren. Eine verbesserte Atmosphäre käme dabei zweifellos in erster Linie dem Import des COMECON-Raumes an westlichen Ausrüstungen und kompletten Anlagen zugute.

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