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Polnische Brücken

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Polens Parteiführer, Edward Gie-rek, verhandelte in Brüssel mit den Spitzen der EWG. In der polnischen Hauptstadt mißt man der Visite große Bedeutung bei. Giereks Propaganda für die Europäische Sicherheitskonferenz ist der Paravent, hinter dem leichter eine Brücke zwischen der sowjeteuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft COMECON und Westeuropas EWG geschlagen werden könnte. ' '

Eine Delegation des polnischen Zentralkomitees hat Giereks Brüsseler Besprechungen vier Tage lang vorbereitet. Sie wurde vom Leiter der Außenpolitischen Abteilung des ZK-Sekretariats, Ryszard Frelek, geführt. Ihr Hauptanliegen: bessere Wege zur Wirtschaftkooperation ausfindig zu machen, sowohl in belgischpolnischer, bilateraler Relation, als auch in multilateraler, zwischen den EWG-Staaten und den osteuropäischen COMECON-Ländern. Dieses letztere Ziel wird in Polen als von „vitaler Wichtigkeit“ bezeichnet. Man möchte vor allem die industrielle Kooperation ankurbeln. Politische, wissenschaftlich-technologische und kulturelle Zusammenarbeit rangieren erst an späterer Stelle. Im selben Sinn sondierte bereits im November 1962 der polnische Außenminister Stefan Olszowski in Brüssel. Er argumentierte damit, daß die Zugehörigkeit zu verschiedenen militärischen und politischen Blöcken und zu

verschiedenen internationalen Wirtschaftsorganisationen, ebenso wie die Verschiedenheit der sozialen Struktur beider Länder, kein Hindernis bilden dürften.

Sowohl in Brüssel als auch in Warschau ist man der Ansicht, daß „ansehnliche Möglichkeiten“ für eine weitere Expansion bestehen. Schon anläßlich der beiden ersten polnischen Besuche in Belgien hatte man polnischerseits auf derartige Möglichkeiten zwischen COMECON und

EWG hingewiesen. Vor GiereksJtei-se wurde hervorgehoben, daß dies die zweite westliche Fahrt des Parteichefs sei — die erste führte ihn nach Frankreich — und daß ihr Ziel obendrein ein Land sei, in welchem die EWG-Kommission ihren ständigen Sitz habe. Dabei spielen persönliche Motive Giereks mit. Die französische Sprache ist die einzige westliche Sprache, die er beherrscht. Dazu kommt, daß er in früheren Jahren als Hauer in französischen und belgischen Kohlenbergwerken gearbeitet und eine Rolle in den kommunistischen Parteien beider Länder gespielt hat. Die polnischen Massenmedien haben auch darauf hingewiesen, daß Gierek diesmal eine konstitutionelle Monarchie besucht.

Die geplante polnische Kooperationsoffensive wurde auf verschiedenen Verhandlungsgebieten vorbereitet. Mitte Oktober 1973 befand sich noch eine weitere Delegation aus Warschau in Brüssel. Sie stand unter der Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden der staatlichen Planungskommission, Minister Henryk Kisiel. Ein Abkommen über die Zusammenarbeit der beiderseitigen chemischen Industrien, den Austausch von Lizenzen, den Verkauf von Ausrüstungen und über das gemeinsame Marketing auf Drittmärkten wurde unterzeichnet.

Das französische Beispiel lockt die Polen. Im Oktober 1972 konnte Gierek in Paris ein ähnliches Zehn-Jah-res-Abkommen über künftige Kooperation paraphieren, das nebenbei mit einem französischen Kredit von 300 Millionen US-Dollar verbunden war.

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