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Lateinamerika ist noch nicht verloren

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Robert S. Leiken, der gescheite nordamerikanische Sowjetologe, hat in einer seiner jüngsten Publikationen über Mittelamerika mit dem Satz „Die Sowjetunion hat in Lateinamerika in strategischer Hinsicht bereits mehr erreicht als seinerzeit der Nationalsozialismus” Aufsehen erregt. Aber wie realistisch sind solche apodiktischen Sätze?

Es dauerte bis Anfang der siebziger Jahre, bis die Lateinamerikaner im Rahmen der von der allgemeinen Entspannung begünstigten handelspolitischen Diversifizierung mit den sozialistischen Staaten beständigere diplomatische und wirtschaftliche Bande knüpften. Natürlich nahm dabei Kuba eine Vorreiterstellung ein, das damals nach der Aufgabe eigener Experimente auf die orthodox-sozialistische Position einschwenkte und 1972 als erster -und bisher einziger — lateinamerikanischer Staat Vollmitglied des sozialistischen Wirtschaftsblok-kes COMECON wurde.

Die sich ausweitenden Handelsbeziehungen führten dazu, daß Mexiko 1975 ein Kooperationsabkommen mit dem COMECON schloß und Guyana mit seinem „kooperativen Sozialismus” in ein Nahverhältnis mit dem Ostblock zu treten suchte. Außerdem begannen sich die führenden Integrationsorgane des großen Subkontinentes, die UN-Wirtschaftskommission Cepal und das lateinamerikanische Wirtschaftssystem Sela, um diese Beziehung zu kümmern.

Nikaragua und Grenada wurden Anfang der achtziger Jahre zusätzliche Interessenten am COMECON. Während Grenada inzwischen wieder ausgeschieden ist, formalisierte Nikaragua 1983 seine intensiven Beziehungen zum Ostblock durch den Beobachterstatus beim COMECON.

Im Laufe des vergangenen Jahres wurden die genannten Einzelbeziehungen mehrfach verknüpft: Die Cepal veranstaltete im Juli das erste umfassende Seminar zu diesem Thema. Als Gastgeber fungierte die argentinische Kapitale, denn Buenos Aires ist mit seinen Getreide- und ölsaatenlieferungen der Menge nach noch immer der wichtigste Handelspartner des Ostblockes in Lateinamerika (dies ohne ein besonderes Abkommen).

Auf dem Seminar wurde nachdrücklich der Wunsch geäußert, die Wirtschaftsbeziehungen Lateinamerikas zum Ostblock weiter auszubauen. Das ist kein Zufall, gilt doch der von Devisenproblemen geplagte COMECON-Raum als bevorzugter Ort für Kompensationsgeschäfte, eine Form des Warentausches, auf die ein überschuldetes Lateinamerika heute wohl oder übel stärker ausweichen muß.

Tatsächlich ergeben jich die Beschränkungen bei dieser Art von Geschäft nur aus dem begrenzten Angebot seitens der sozialistischen Staaten, die für Flußkraftwerke, Fischerei, Gesundheitswesen, Textilien und Zement zuliefern können, während der hochentwickelte Konsumgüter- und Technologiebereich weitgehend ausfällt.

Besonders Nikaragua forcierte in den vergangenen beiden Jahren die Wirtschaftsbeziehungen zum COMECON-Raum. Der Beobachterstatus Managuas kam also nicht überraschend. Die bisherigen Hilfen und Lieferungen, von Lebensmitteln über Maschinen und Fahrzeuge bis zu militärischer Ausrüstung dürften bereits 200 Millionen Dollar übersteigen.

Dabei kristallisierte sich innerhalb des Ostblockes eine Art Arbeitsteilung heraus. Die DDR etwa ist für Technologiekooperation, Bulgarien für den agrarischen Bereich zuständig. Bei einem neuen nikaraguanischen Tabakprojekt zum Beispiel, stellt Bulgarien die Finanzierung, um dann den Vertrieb der Ernte im COMECON und auf dem freien Weltmarkt zu übernehmen.

In Kuba fand im vergangenen Herbst das wichtigste Treffen für die südamerikanischen Beziehungen zum Ostblock statt: Die COMECON-Ratstagung, bei der neben Mexiko und Nikaragua auch Cepal und Sela anwesend waren. Natürlich gab Lateinamerika dabei nur eine Fußnote unter anderen ab, aber das Treffen wurde besonders von den sowjetischen Vertretern genützt, um den kompensatorischen Warenaustausch ohne jede politische Vorbedingung zu propagieren.

Für das Gastgeberland Kuba war die Tagung ein handfester Erfolg. Das bestehende Kooperationsabkommen (Zucker, Erdöl, Kernenergie, Nickel betreffend) wurde bis zur Jahrtausendwende verlängert. Dies bedeutet unter anderem, daß die kubanische Verschuldung in COMECON-Währungen, die ab 1986 fällig wäre, einmal mehr gestreckt wird und so den drückenden Schuldendienst Kubas gegenüber Hart-währungsländern nicht belastet.

Sieht man von den Zugpferden Kuba, Nikaragua und Argentinien ab, ist die Größenordnung des Warenaustausches zwischen dem COMECON und Lateinamerika noch gering. Die Tendenz ist allerdings ständig steigend, der Handel hat sich seit 1960 immerhin verachtzehnfacht.

So muß man Robert S. Leiken entgegenhalten, daß der Ostblock zwar in wirtschaftlicher Hinsicht in Lateinamerika auf dem Vormarsch ist, daß diese Entwicklung jedoch diplomatisch und strategisch trotz Kuba und Nikaragua noch keinen Anlaß zur Sorge gibt.

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