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Wirklich identisch?

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Die Besucherfreude war von einem Ereignis ein wenig überschattet, das mit dem Besuch eigentlich nichts zu tun hatte: Gastgeber Tito, 81, bekam einen leichten Schwächeanfall. So etwas ist bei einem Einundachtzigjährigen niemals ungefährlich, und bei einer so zentralen politischen Figur, wie Tito eine ist, ist es das noch weniger. Immerhin — Ende gut, alles gut —, der Besuch kam klaglos über alle Runden.

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Die Besucherfreude war von einem Ereignis ein wenig überschattet, das mit dem Besuch eigentlich nichts zu tun hatte: Gastgeber Tito, 81, bekam einen leichten Schwächeanfall. So etwas ist bei einem Einundachtzigjährigen niemals ungefährlich, und bei einer so zentralen politischen Figur, wie Tito eine ist, ist es das noch weniger. Immerhin — Ende gut, alles gut —, der Besuch kam klaglos über alle Runden.

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Bevor Gierek Belgrad verließ, wurde eine schriftliche Erklärung von ihm an die Presse verteilt. Offenkundig, um fragenstellender Neugier auszuweichen. Die Erklärung besagte, man sei sich in „allen wesentlichen internationalen Fragen“ einig. Da die Frage der Beziehungen beider Staaten und der beiden sozialistisch-marxistischen Parteien zu Moskau zweifellos auch internationalen Charakter hat, läge der Schluß nahe, man sei auch darin eines Sinnes. Hat Tito hier die „Unterschiedlichkeit des Weges zum Sozialismus“ also aufgegeben? Schwenkt er ein?

Das amtliche Kommunique spricht eine andere Sprache. Es betont die „Verschiedenheit der Wege“, aufweichen man zu einer „sozialistischen Gesellschaftsordnung“ zu gelangen gedenkt und es verzeichnet, daß man diese Unterschiedlichkeit, die ziemlich groß ist, gegenseitig respektiere.

Beiden Gesprächspartnern ist dieser Respekt klassisch vorgezeichnet: Polens Arbeiterpartei ist wohl kaum in der Lage, einen wesentlich anderen Weg zu gehen als jenen, den die KPdSU vorzeichnet. Ob Gierek in Polen die Zügel locker hält oder strafft, es gibt keinen wirklichen Wesensunterschied zwischen der polnischen und der sowjetischen Parteiideologie, wohl aber gibt es sehr wesentliche Unterschiede zwischen der jugoslawischen und der sowjetischen.

Zwar hat sich die Politik Belgrads in den zurückliegenden zwei Jahren sehr deutlich darum bemüht, den Abstand zu Moskau zu verringern, aber diese Bemühungen haben — bis jetzt — nicht den Kern des „jugoslawischen Modells“ berührt, das „rätegenossenschaftliche System“, von dem man sowohl in Moskau als auch in Peking stets argwöhnt, es enthalte ursächlich „kapitalistische Elemente“, jedenfalls sei es nicht ein

System des „Staatsspzialismus“, sondern gleiche mehr einer parakommunistischen Häresie.

Freilich ist das „jugoslawische Modell“ zur Zeit in schwere ökonomische und auch ideologische Nöte gekommen. Superinflation, strukturelle und sogar darüber hinausgehende Arbeitslosigkeit, massenhaftes Aufsuchen von Arbeitsplätzen dn fremden, kapitalistischen Ländern, schwere Versorgungslücken, ungeheure Liquiditätsschwierigkeiten zahlreicher Groß- und Mittelbetriebe haben diesem „Modell“ einiges an Attraktivität gekostet. Eine Art von „hauseigener Kulturrevolution“, verbunden mit der augenfälligen Rückkehr der Partei in alle Bereiche des öffentlichen Lebens, soll nun Abhilfe schaffen. Unverkennbar mit im Spiel ist eine — wohl auch von Moskau ventilierte — Intensivierung der bislang beinahe brachliegenden Geschäftsbeziehungen Jugoslawiens mit den sozialistischen Ländern des COME-CON. Polen und Jugoslawien wollen demnach „Schwerpunkte für gemeinsame Investitionen und Kooperationen“ ausfindig machen.

Daß — zu Europa gewendet — Gierek und Tito die Sicherheitskonferenz zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ veranstaltet sehen wollen, ist eine überraschend zurückhaltende Formulierung. Bisher hat vor allem Belgrad ganz besonders gedrängt. Die eigentliche Überraschung aber geht von dem Passus aus, daß die europäischen Staaten sich für „Lösungsmöglichkeiten des Nahostkonflikts“ engagieren sollen. Man erinnert sich: einer der ersten, der das in die Debatte warf, war, damals zum Mißvergnügen der Sowjetunion, Österreichs Bundeskanzler Kreisky. Die sowjetische Rüge folgte prompt. Was, so fragte man in Moskau sich und die Welt, habe eine europäische

Sicherheitskonferenz denn mit Nahost zu tun? Was könnten die europäischen Staaten denn dazu beitragen? Dies alles erwecke den Verdacht eines Stör- und Verzögerungsmanö-vers.

Jugoslawien, stets ein blockfreier Anwalt arabischer Standpunkte, schloß sich Kreiskys Ansichten, von Nahost gingen Konfliktimpulse aus, die ganz besonders Europa betreffen, zunächst nicht an. Man schwieg in Belgrad zur Kreiskyschen Formel, die nun in einem Besuchskommunique plötzlich, wenn auch in vager und modifizierter Form, auftaucht.

Da kaum anzunehmen ist, daß der Pole Gierek sich hier von Moskaus Problemschau öffentlich distanziert, muß man darauf schließen, daß der Sinneswandel, der in Belgrad Ausdruck erlangte, zuvor in Moskau stattgefunden hat. Ein Grund dafür könnte sein, daß sowohl die Sowjetunion als auch die USA am Vorabend ihrer nächsten, großen Verhandlungsrunde sich nach einem Dritten umzusehen beginnen, der die Nahostprobleme, in denen die beiden Supermächte tiefer verwickelt sind als ihnen lieb sein mag, „unverdächtig“ zu entspannen und zu entwirren beginnt. Dieser Dritte könnte „Europa als Ganzes“ sein.

Freilich, das weiß man in Warschau und Belgrad gleich gut, ist „Europa als Ganzes“ in dieser Frage geteilter Meinung. Der französische Standpunkt etwa ist nicht auch der britische, obschon beide den Arabern nicht unfreundlich sind; der italienische ist nicht dem deutschen gleich, dazu sind die Interessensla-gen des Mittel- und Nordmeer-NATO-Staates jeweils zu unterschiedlich. Kündigt sich nun ein „sozialistischer Lösungsvorschlag“ an, eine Art von „psychologischer Kompromißbereitschaft“, die Israel (und die USA) in die Isolation drängen könnte?

Das Kommunique mit seiner protokollarischen „Geheimsprache“ schwieg dazu; und Gierek, den man vielleicht hätte fragen können, teilte seine Erklärungen, die zum Thema nichts Näheres enthielten, schriftlich aus. So muß man auf die Antwort warten. Gar so bald wird sie wohl nicht erfolgen.

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