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Die Donau fließt von West nach Ost

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In den letzten zehn Jahren haben sich viele Leute angewöhnt, die Donau als einen mehr oder weniger verödeten Strom anzusehen. Wenn man sich heute etwa bei Hainburg an das Ufer setzt und auf vorüberziehende Schiffe wartet, will einem tatsächlich scheinen, sie hätten recht. Abgesehen von den Tankern, die österreichisches Erdöl nach Osten transportieren, kommt hier wenig vorbei. Obwohl sich der Verkehr zwischen 1953 und 1955 immerhin verdoppelt hat, ist er im Vergleich zur Vorkriegszeit noch immer recht kümmerlich.

Trotzdem ist der Güterverkehr aijf der ganzen Donau zwischen Regensburg und Braila-Galatz seit 1936 um 44 Prozent gestiegen, von 5,7 auf 8,2 Millionen Tonnen im Jahre 1954. Und seit 1954 hat er noch beträchtlich zugenommen. Allerdings: Der Eiserne Vorhang schneidet die Donau in zwei Teile, in eine blaue und in eine rote Donau, wenn man so sagen darf. Erst seit kurzem beginnen die beiden Ströme zaghaft, sich wieder zu vermischen. Man. darf mit Neugierde erwarten, welche neue Farbe sich aus dieser Vermischung ergeben wird.

In einem Vortrag vor der Herbsttagung des „Forschungsinstituts für Fragen des Donauraumes“ erklärte Professor Dr. Hermann Gross aus Kiel, daß der interne Verkehr auf dem Strom hinter dem Eisernen Vorhang ebenso stark angewachsen ist wie davor, von 2,8 im Jahre 1936 auf (1954) schätzungsweise 4,1 Millionen Tonnen.

Die Donau ist der Verkehrsweg in und zwischen den Staaten des Südostens; vor allem in Rumänien und Bulgarien, aber auch in Jugoslawien muß man das schlechte und wenig dichte Straßennetz entlasten und ersetzen. Besonders Bulgarien leidet seit 1948 durch die Abschneidung des Landweges über Jugoslawien; es baut daher den Donauverkehr' besonders intensiv aus und hat als einziger Südoststaat seine Donauflotte nach dem Krieg vermehrt und modernisiert. . .

Uebermächtiger Außenhandelsrjartner auf der östlichen Donau ist heute Rußland, das 1954 in der Talfahrt 40 Prozent, in der Bergfahrt ein Drittel des gesamten Transitverkehrs bestritt. Durch die forcierte Industrialisierung der vier östlichen Donaustaaten sind die Verladungen von Agrarprodtikten zugunsten von Rohstofftransporten stark zurückgetreten. Der gewaltig angestiegene Transitverkehr der Sowjetunion durch Jugoslawien deutet darauf hin: Erzliefe-rungen für .Ungarn (Stalinvaros) und die CSR stromauf, Bauxit aus 'Ungarn stromab nach Rußland.

Auch österreichische Waren spielen im Donauverkehr des Ostens eine Rolle, freilich eine unfreiwillige. Das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut besitzt ziemlich genaue Zahlen über die Zwangsexporte der letzten Jahre, obwohl sie begreiflicherweise in der offiziellen österreichischen Schiffahrtsstatistik nicht aufscheinen. In den letzten Jahren dürften allein auf der Donau alljährlich gegen 900.000 Tonnen Erdöl von Oesterreich nach Osten verschifft worden sein. Die länderweise aufgeschlüsselten Zahlen über den Transitverkehr durch Jugoslawien, die für 1954 im Westen vorliegen, lassen darauf schließen, daß davon kaum mehr als 50.000 Tonnen wirklich in die Sowjetunion gingen. Der weitaus größere Teil, das weiß man schon lange, blieb in ungarischen und tschechischen Raffinerien (Szöny, Preßburg) hängen. Dorthin schickt Oesterreich jetzt auch seine Reparationslieferungen für russische Rechnung, monatlich durchschnittlich 50.000 Tonnen, via Strom. Im Jahre 1955, nach Anlaufen der Zahlungen, waren es insgesamt etwa 200.000 Tonnen, im gleichen Jahr, in den Monaten vorher, wurden illegalungefähr 50 0.0 00 Tonnen in den Osten verschifft. Nicht berücksichtigt ist hier das in Tankwagen abtransportierte Rohöl, ebenfalls eine beträchtliche Menge, über die demnächst genauere Aufstellungen veröffentlicht werden sollen.

75 Prozent vom gesamten Verkehrsanstieg auf der westlichen Donau gehen auf das Konto des Verkehrs zwischen Deutschland und Oesterreich, der vor dem Kriege nur etwas über 6 Prozent des Gesamtverkehrs ausmachte. In Deutschland hat sich der Verkehr auf dem

Strom verdreifacht, in Oesterreich ist er auf das Doppelte angewachsen, aber immer noch dichter als in der Bundesrepublik.

Der Transitverkehr auf der Donau ist eine erfreuliche Gutpost in der österreichischen Zahlungsbilanz. Er ist von Jahr zu Jahr gestiegen: 1953 auf 108.000 Tonnen, 1£54 auf 360.000 Tonnen, 1955 auf 473.000 Tonnen. Teils handelte es sich dabei um direkte Durchfuhren, teils um Waren, die in Wien von östlichen auf österreichisch Schiffe umgeladen wurden. Der Wiener Hafen wird 1956 mit einer Million Tonnen voraussichtlich zwei Drittel des Güterumschlages der Vorkriegszeit wieder erreichen.

Der Donaühafen des Westens schlechthin ist heute allerdings Regensburg. Er konnte seinen Güterumschlag im Vergleich zur Vorkriegszeit verdoppeln. 195 5 hat er 2,6 Millionen Tonnen überschritten, 1956 wird eine Zunahme um eine weitere Million Tonnen erwartet. 80 Prozent aller talwärts abgehenden Güter Werden für Linz gefahren, 70 Prozent aller stromauf ankömmenden Ladungen kommen aus Linz. Regensburg lebt also von Linz (mit einem Güterumschlag von 2 Millionen Tonnen der größte österreichische Hafen), genauer gesagt hauptsächlich von den VOeEST und den Stickstoffwerken. Keine reine Freude für die Schifffahrt, die sich dadurch auf „Werksschiffahrt“ festgelegt sieht und die überdies an der Unausgeglichenheit des Verhältnisses zwischen den-stromauf und den stromab transportierten Gütern (66:34 gegen 46:54 vor dem Krieg) leidet.

Trotzdem wird der Verkehr auf der Donau in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch beträchtlich zunehmen. Im Osten ist der Schiffsraum bereits so knapp, daß österreichische und deutsche Schiffe für interne Transporte zwischen Ostblockländern gechartert wurden. Irr Oesterreich ist ein Schiffsbauprogramm angelaufen, in Deutschland wird gleiches gefordert. Aber auch die Häfen genügen nicht mehr dem Ansturm des Verkehrs. Wien hat mit dem Ausbau seines Hafens bereits begonnen, Jugoslawien will den Hafen von Belgrad zum größten des Südostens njachen, in Regensburg trägt man sich mit dem Gedanken an ein neues Hafenbecken.

Freilich, gerade dieses letztere Projekt könnte sich eines Tages als unrentabel erweisen, dann nämlich, wenn Regensburg seine beherrschende Stellung als Kopfstation des internationalen Donauverkehrs verliert. Dies tritt ein, wenn der

Rhein-Main-Donau-Kanal, von dem man schon lange spricht, eines Tages Wirklichkeit wird. Und damit muß man rechnen.

Politische Ereignisse, die das Gefüge des Ostblocks verändert haben, machen sich auch im Donauverkehr zunehmend bemerkbar. 195 5 bahnte sich ein bemerkenswerter Strukturwandel an: Der Verkehr mit dem Westen gewinnt langsam wieder an Bedeutung, bleibt aber schwach, verglichen mit der Vorkriegszeit. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der UdSSR etwas ab. Im eisten Quartal 1956 wird diese Tendenz noch deutlicher: Der Anteil Rußlands am internationalen Donauhandel des Ostens, der 1955 auf ein Drittel (von 40 Prozent 1954) gesunken war, fällt weiterhin, absolut und relativ. Der Handel mit Westeuropa und Uebersee dagegen nimmt stetig zu. Der Eiserne Vorhang, der zehn Jahre lang nur für österreichisches Erdöl durchlässig war, ist nicht mehr dicht. Der Handel mit dem Osten hat wieder Chancen. Und damit der Frieden.

Zwischen Polen und der CSR wurde schon 1947 ein Vertrag über den Bau eines Donau-Oder-Kanals unterzeichnet. Rumänien begann 1949 mit dem Bau eines Donau-Schwarzmeer-Kanals, der die Strecke Cernavoda—Schwarzes Meer bedeutend verkürzen und nachts befahrbar machen sollte. Der Bau wurde unter gewaltigem Aufwand an Material und Zwangsarbeitern vorangetrieben, 195 3 jedoch eingestellt, weil die Sowjetunion mit ihren anfangs sehr großzügigen Unterstützungen aufhörte. Warum? Um die Donaumündung unter ihrer Kontrolle zu halten? Wir wissen es nicht.

Wir müssen aber damit rechnen, daß die Kanalprojekte des Ostens eines Tages wieder ausgegraben werden. In diesem Falle, und auch sonst, wäre ein Rhein-Main-Donau-Kanal ein gewaltiger Trumpf im Handel mit dem Osten. Seeschiffe könnten dann, erklärte Professor Gross, bis Linz und vielleicht noch weiter fahren, wenn die Ostblockländer die stellenweise stark vernachlässigte Fahrrinne in einen besseren Zustand setzten. Die technischen Schwierigkeiten, die einem derartigen Kanalbau entgegenstehen, sind heute viel geringer als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die finanzielle Seite: Ein Rhein-Main-Donau-Kanal würde sich gewiß bezahlt machen. Für alle. Vor allem jedoch Oesterreich, zum Vermittler berufen wie kein anderer Staat, und Wien, das stillgelegte Zentrum des gesamten Donauverkehrs, hätten allen Grund, ihn zu begrüßen.

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