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Europas „politische Ströme“

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Der Aufschwung des Wirtschaftslebens verlangt mehr zwischenstaatlichen Warenaustausch, und dieser benötigt billige Transportmöglichkeiten. Daher baut und plant man überall in Europa, im Osten und im Westen, neue Wasserstraßen. Nicht diese allein werden aber neu sein, wenn alle Projekte zur Durchführung gelangen, sondern auch die Möglichkeit, Waren durchgehend von Braila an der Donaumündung bis Rotterdam oder Nantes zu verschiffen.

Erst jetzt „international“

Für die Schiffahrt war die Donau seit 1858 international. Politische Wirren störten diese Internationalität zeitweise, aber die Donau durchbrach solche Hindernisse immer wieder, ebenso wie das große Naturhindernis des Eisernen Tores, wo sie aus der ungarischen in die russische Ebene gelangt, und dabei einen Höhenunterschied von etwa sechzig Metern bewältigt. Allerdings tauchte dort das unzulänglich gemeisterte, technische Hindernis wieder auf, weil beim Bau des Eisernen Tores vor der Jahrhundertwende nicht mit dem heutigen Verkehr gerechnet werden konnte. Vor dem ersten Weltkrieg dachte man an einen Umbau und an die gleichzeitige Ausnützung der Wasserenergie für die Stromgewinnung.

Das neue rumänisch-jugoslawische Projekt sieht mehr als das Fünffache

dieser Energiemenge (10,7 Milliarden Kilowattstunden) vor. Sie soll vom Jahre 1971 an verfügbar werden. Hinter einem Staudamm von 1,2 Kilometer Länge und 54 Meter Höhe soll sich ein 110 Kilometer langer und stellenweise vier Kilometer breiter

Stausee bilden, auf dem die Schiffe in 13 Stunden eine Strecke bewältigen werden, für die sie jetzt etwas über vier Tage benötigen (bei niedrigem Wasserstand vor dem Eisernen Tor sogar Tage, wenn nicht Wochen warten müssen).

Von der Ostsee nach Wien

Die Oder ist seit Jahrzehnten von Stettin bis Kosel, hart an der polnischtschechoslowakischen Grenze, schiffbar. Diese Wasserstraße wird nach dem Süden weitergeführt, und der Durchbruch nach Mähren soll in wenigen Jahren fertiggestellt werden. Die Schlepper werden dann über den March-Kanal zur Donau weiterfahren können. Das ergäbe eine Wasserstraße von der Ostsee in das Zentrum des Festlandes, und im Prinzip bis zum Schwarzen Meer. Ferner wird die Fahrt aus der Ostsee nach dem Westen bis nach Regensburg schon heute möglich sein und später über den Rhein-Main-Donau-Kanal in das Hauptnetz von Wasserstraßen des Rheins einmünden können. Sollte dieser — was noch sehr umstritten ist — bis zum Bodensee schiffbar gemacht werden, könnte finnisches Holz die Schweiz auf dem Wasserwege ohne Umladung erreichen. (Schiffe mit Spezialbau für See- und Binnenwasserfahrten verkehrten schon in der Zwischenkriegszeit auf der Strecke Budapest—Gibraltar!)

Französische Pläne

In Frankreich müssen zunächst alle Binnenwasserstraßen modernisiert werden. Sie sind nur für Schlepper bis zu 300 Tonnen befahrbar. Geplant sind Verbindungsstrecken, um die Rhone mit dem Rhein bei Basel, und mit dem neuen Mosel-Kanal bei Metz zu verbinden. Letztere Strecke soll eine Abzweigung nach Givet erhalten, wo die Schleuse erreicht werden soll, und dieser neue Verbindungskanal würde eine Abzweigung nach dem Westen haben, die in den Kanal des Ourcq münden und eine Verbindung mit dem größten Binnenhafen Frankreichs, Paris, schaffen würde. Daneben soll Paris durch eine zweite Verlängerung des Ourcq-Kanals einen Wasserweg zum neuen Verhüttungs- und Industriezentrum von Dünkirchen erhalten. Schließlich untersucht man ein Projekt, das die Loire schiffbar machen soll, damit von deren Mündung in den Atlantischen Ozean bei Nantes ein kontinentaler Wasserweg nach Chalons-sur-Saöne und zum Netz des Rheins und der Rhone entsteht.

Integration in neuer Gestalt

Allnas sind Pläne; “die früher in das Land der Träume gehörten. Heute sind aber die politischen Voraussetzungen für den Bau einiger Strecken dieses Netzes erfüllt. Frankreich bildet ja einen Teil der EWG. Sein lothringisches Industriegebiet wurde durch den Mosel-Kanal an das Transportsystem des Rheines angegliedert, und jetzt sollen die übrigen großen Industriereviere des Landes die gleichen Vorteile erhalten.

Unabsehbar wären die Folgen auf den Ost-West-Handel, wenn das ganze vom Rhein beherrschte Kanalnetz durch die Donau eine Fortsetzung nach der Ostsee und dem Schwarzen Meer erhielte. Das Projekt de Gaulies „Vom Atlantischen Ozean bis zum Ural“ erhielt seinen transporttechnischen Unterbau bis zur baltischen und zur Südküste Sowjetrußlands.

Technisch sind die Probleme lösbar, sobald es gelungen ist, die Donau beim Eisernen Tor zu disziplinieren. Ob sie sich kommerziell rechtfertigen würden, hängt von der weiteren politischen Entwicklung des Kontinents ab.

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