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EIN BUNDESLAND RUCKT AN ZWEI MEERE

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Ein europäischer Traum wurde realisiert. Mit dem Festakt an der europäischen Wasserscheide in Hipoltstein in Bayern, mit dem am 25. September symbolisch der Rhein-Main-Donau-Kanal freigegeben wurde, ist der 3.500 Kilometer lange Wasserweg zwischen Nordsee und Schwarzem Meer Wirklichkeit geworden.

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Ein europäischer Traum wurde realisiert. Mit dem Festakt an der europäischen Wasserscheide in Hipoltstein in Bayern, mit dem am 25. September symbolisch der Rhein-Main-Donau-Kanal freigegeben wurde, ist der 3.500 Kilometer lange Wasserweg zwischen Nordsee und Schwarzem Meer Wirklichkeit geworden.

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Schon Kaiser Karl der Große hatte vor 1.200 Jahren diese Verkehrsader geplant. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, vor allem von Bayern, intensiv die Vollendung der bisher offenen Lücken angegangen. Nach gut 30 Jahren Bauzeit und etwa -umgerechnet - 42 Milliarden Schilling Kosten ist mit dem Kanal zwischen Kelheim und Bamberg der alte Traum Wirklichkeit geworden. Und Oberösterreich rückte damit faktisch an zwei Meere. Nun können Schiffe von Rotterdam an der Nordsee bis Ismail am Schwarzen Meer auch Linz passieren.

Die Fertigstellung dieser großen europäischen Wasserstraße war von manchen kritischen Stimmen begleitet worden. Ein früherer sozialistischer deutscher Verkehrsminister nannte den Kanal „das dümmste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel", und als durch Jahre die Wasserstraße am Hafen von Nürnberg endete und wenig Benutzer zu sehen waren, ätzten Gegner des Kanals mit dem Spott: „Wenn man an Meereshäfen ein Schiff sieht, heißt es Schiff ahoi", in Nürnberg aber ruft man: „Ahoi, ein Schiff!"

Da mag Mißgunst und Neid mitgewirkt haben, Neid etwa von anderen Nordseehäfen außer Rotterdam, die um ihre zukünftige Bedeutung bangen, Mißgunst von manchen Bahnstellen, die ein Abwandern des Güterverkehrs von der Schiene zum Wasser befürchten.

In Oberösterreich freilich hat man die Fertigstellung des Rhein-Main-Donau-Kanals mit Freude begrüßt. Wirtschafts-Landesrat Christoph Leitl bringt es auf den Punkt, wenn er feststellt: „Der Rhein-Main-Donau-Kanal ist ein Glücksfall für die Verkehrspolitik in Oberösterreich!" Durch die Ostöffnung hat sich doch der Druck auf die Verkehrswege, gerade auch in Oberösterreich, weiter erhöht. Die Wasserstraße gibt die Chance zur Entlastung und vor allem ist der Gütertransport auf dem Wasser nicht nur billiger, sondern auch sauberer. Die Schiene ist dreimal und der Transport auf der Straße sechsmal teurer als die Wasserstraße. „In den kommenden Jahren werden wir 10.000 LKWs von der Straße auf den Schiffsweg bringen!", versichert der Wirtschaftslandesrat.

Die Erwartungen sind hoch. Bis 1955 ist laut Prognosen ein Anstieg des gesamten Güteraufkommens der oberösterreichischen Wirtschaft von derzeit 64 Millionen auf 74 Millionen Tonnen zu erwarten, auf dem Wasserweg könnte sich der Gütertransport von derzeit etwa vier auf etwa 3,2 Millionen Tonnen steigern.

Noch ist freilich viel zu tun.

Als das erste Schiff nach der Feier bei Nürnberg Richtung Osten durch den Kanal startete, mußte befürchtet werden, daß das derzeitige Niederwasser, das freilich auch sonst in wasserarmen Jahreszeiten droht, die Fahrt behindert oder gar stoppt.

Der Geschäftsführer des Wasserstraßen- und Schiffahrtsvereins, Josef Kugler, fordert daher den zügigen Ausbau der Wasserstraße etwa durch Errichtung weiterer Staustufen an der Donau. Auch die Anbindung der Häfen an der Donau an Straße und Bahn müsse verbessert werden. Laut Leitl sieht das oberösterreichische Hafenkonzept den Ausbau der bestehenden Häfen Linz und Enns sowie eine Lände in Aschach-Hartkirchen vor.

Die Europakähne mit 1800 Tonnen

Frachtkapazität können vorerst nur bis Melk fahren. Doch da zeigt man sich gerade in Oberösterreich optimistisch und sieht bereits eine noch viel weitreichendere Zukunft vor sich. So hat Leitl mit Minister Klima verhandelt, um die früher so ideale Bahnverbindung Berlin-Prag-Linz wieder zu aktivieren. So könnten große neue europäische Verkehrs ströme an den Kanal angebunden werden, was die Bedeutung der Wasserstraße für Oberösterreich besonders beleben würde.

Die Erwartungen des Tourismus sind freilich derzeit noch begrenzt, da viele Schleusen (50 allein zwischen Frankfurt am Main und Oberöster-* reich) die Passage mühsam machen. Doch der Ennser Stadtrat Gottfried Kneifel erfuhr bei einem Besuch in Würzburg, daß dort Jachtbesitzer für Donaufahrten rüsten.

Schon sieht man große Betriebsansiedlungen im Raum des Industrieparks Ennsdorf am Horizont und Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Ratzenböck erwartet, daß Oberösterreich eine „Zentralregion Donaueuropas" wird. Hier hakt auch Raif-feisen-Generaldirektor Ludwig Scharinger ein, der frühzeitig und bankentechnisch die Wirtschaftsregion Ober-

österreich-Bayern und Südböhmen initiiert hat. Der Rhein-Main-Donau-Kanal wird dieser Europaregion einen zusätzlichen wirtschaftspolitischen Impuls geben, ist Scharinger gewiß.

Eine besondere Bedeutung für die Belebung des oberösterreich-südböh-mischen Raumes mißt der internationale Wirtschaftsberater und Präsident des Ennshafens, Klaus Czempirek, dem raschen Ausbau des Hafens Enns-Ennsdorf und der Errichtung eines modernen und intermodalen Güterverkehrszentrums zur Entlastung des Ballungsraumes Linz bei.

Wenn der „Jahrhundertraum" des Kanals trotz mancher Widerwärtigkeiten letztlich nun doch Wirklichkeit geworden ist, so haben sicherlich Parteien ihren Anteil. Besonders verdient gemacht um die Vollendung des Kanals hat sich dabei ein weiterer Oberösterreicher: Das Präsidiumsmitglied des Wasserstraßen- und Schifffahrtsvereins Franz Pisecky aus Linz, der sich jahrzehntelang unbeirrt für diesen „Europakanal" eingesetzt hat.

Mit dem Eröffnungstag konnte er sich über die Vollendung eines Lebenswerkes freuen.

Der Autor war stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „Neues Volksblatt".

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