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Ketten über den Strom

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Zum letzten Male erhob sich die Gestalt des sowjetrussischen Außenministers Wy- sdiinski von seinem Vorsitzendenstuhl. Ohne Feierlichkeiten und ohne sichtbare Freude an der geleisteten Arbeit sprach er hier für Europa schicksalhafte Worte: „La session est terminee!“ Die Sitzung ist geschlossen. Damit hatte die Donaukonferenz zu Belgrad des Jahres 1948 ihren Abschluß gefunden. Ein neues Kapitel war den tragischen Ereignissen der Nachkriegszeit angefügt worden. Trotz der sommerlichen Wärme, die in der serbischen Hauptstadt herrschte, fegte der eisige Hauch unabwendbarer „m o i r a“ durch den Sitzungsraum und die einzelnen Delegierten erwachten erst auf der Stiege aus ihrer Starre. Der letzte Tag hatte besonders klar vor Augen geführt, daß die Vernunft hinter der unerbittlichen Logik politischer Zweckmäßigkeit hatte Zurückbleiben müssen. 44 Paragraphen waren einer nach dem andern unter dem Vorsitz des Außenministers der UdSSR zur Abstimmung gebracht worden und mit stereotyp-maschineller Regelmäßigkeit hatte sich 44 mal dasselbe Abstimmungsergebnis wiederholt. Sieben Stimmen für den Antrag Rußlands, drei dagegen. Mehr als hundert Zusatzanträge waren von den Weststaaten eingebracht worden. Alle waren sie dem gleichen Stimmenergebnis verfallen: sieben dagegen, drei dafür. Zuweilen schien es, als ob dieses Niederwalzen durch die von der Politik und nicht vom Donauinteresse gefügte Mehrzahl sogar den Siegern peinlich sei. Der Vorsitzende beeilte sich schließlich, die letale Operation so rasch wie möglich zu beenden: „La session est terminee.“ — Punktum … Gehen wir!

Die Folgen der neuen Donaukonvention sind so gewaltig, daß sie heute kaum noch in ihrer Gesamtheit überblickt werden können. Wissentlich wurde im Namen eines überspitzten Nationalismus und unter Hervorkehrung übertriebener Souveränitätsrechte das Rad der Geschichte völkerrechtlich bis auf die Zeit vor dem Wiener Kongreß zurückgedreht. Das Recht der freien Flußschiffahrt ist zerbrochen. Neben der neuen Donaukommission, die ihren Sitz noch nicht gewählt hat, deren Anordnungen aber Gesetz für den ganzen Strom darstellen werden, wurden drei Unterkommissionen gegründet, die unabhängig und willkürlich über das ihnen übertragene Stück des Stromes zu entscheiden vermögen. Die eine, bestehend aus Vertretern Ungarns und Jugoslawiens, ist für das Stück von Raab bis zum Eisernen Tor verantwortlich, die zweite, in der sich Bulgarien und Rumänien in die Kompetenz teilen, für das Stück vom Eisernen Tor bis zur Mündung, und die dritte, der Rumänien und die Ukraine angehören, für den Sulinakanal der Donaumündung — den einzigen der drei Mündungsarme, der für die internationale Schiffahrt freigegeben wurde. Diese Unterausschüsse haben nicht nur das Recht, Taxen „zur Erhaltung des Strombettes“ einzuheben, sie können auch die Befahrung des Stromes aus technischen oder anderen Gründen untersagen. Im Paragraph 1 wurde zwar der Strom für international erklärt, ein Zusazantrag des Westens auf Indiskriminierung der Flaggen wurde aber abgelehnt. Praktisch bedeutet das, daß die Ufergebiete nicht ebenfalls dem internationalen Recht in bezug auf die Schiffahrt unterliegen, und daß jeder Uferstaat jedem Schiff die Ladung in dem Hafen des Landes und die Ausnützung der Hafen fazilität en sowie das Ankerrecht versagen kann. Eine behauptete „Versandung“ der Sulinamündung würde sogar praktisch die Donau zu einem Binnenfluß degradieren, weil die Uferstaaten dieses Abschnittes befugt wären, die Einfahrt in die Donau unter diesem Titel zu verbieten.

Ein weiterer Schritt zur Abschnürung des Stromes wurde mit der Ablehnung der Internationalisierung der Nebenflüsse der Donau getan. So wird das ungarische Getreide, das auf dem billigen Wasserweg die Theiß abwärts zur Donau nach Österreich und dem Westen verschifft wurde, vielleicht nicht mehr diesen Weg nehmen können.

Auch Drau und March fallen nun aus dem internationalen Verkehrssystem aus.

Man kann noch nicht feststellen, wie der Westen endgültig auf diese Rechtsumwälzung reagieren wird. Die Vertreter der USA, Englands und Frankreichs waren der Einladung zur „Abfassung einer neuen Donaukonvention“ gefolgt und hatten damit dem Osten bereits ein äußerliches Argument zur Vernichtung der alten Konvention in die Hand .gegeben. Von diesem Ausgangspunkte konnte der Osten alle weiteren Runden für sich buchen. Da aber die alte Konvention nicht von allen Staaten gekündigt wurde — Griechenland, Belgien, Italien haben deswegen bereits Vorstellungen erhoben — und die Westmächte sich nicht gebunden haben, bestehen im Augenblick rechtlich zwei Konventionen. Dies läßt die Möglichkeit offen, daß eine neue Konferenz nach einem westlichen Donauhafen einberufen werden könnte, zu der der Osten wohl nicht erscheinen würde, eine Donaukonferenz, welche die Belgrader Beschlüsse als nicht bindend erklärt und auf Einhaltung des alten Vertrages besteht. Die Nichtanrainerstaaten werden aber auf jeden Fall ihre praktischen Konsequenzen ziehen und sich an diesem Lebensstrom Mitteleuropas, so weit es ihnen möglich ist, desinteressieren. In dem Augenblick, wo durch die Fertigstellung des bereits begonnenen Baues des Rhein-Main- Donau-Kanals oder des geplanten Rhein - Bodensee - Donau - Kanals dem Strome der Anschluß an ein anderes als das Schwarze Moer gegeben wird, kann sich die Lage ändern und die Offensive des Ostens in eine Defensive verwandelt werden. Sicherlich ist aber für alle weiteren Fluß- und Meerengenfragen ein böser Präzedenzfall geschaffen worden.

Wer Sitzung um Sitzung der Konferenz aufmerksam verfolgte, konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, daß hier eine Saat aufgegangen ist, deren Samen in den letzten 25 Jahren ausgeworfen wurde. Die Fehlkonstruktion der ehemals vom Westen betriebenen Kleine-Entente-Politik brach in sich selbst und diesmal endgültig zusammen. Die außenpolitische Mannschaft des Ostens unter Führung Rußlands spielte in ihren massiven Angriffen gut gegen den Westen zusammen. Der Osten kam zur Konferenz besser vorbereitet, versehen mit unerschöpflichem Aktenmaterial, die Rollen der einzelnen Staaten waren bis ins kleinste Detail verteilt. Der Westen konnte sich nur auf eine nicht sehr sattelfeste Verteidigung verlassen. Neben Wyschinski war die zentrale Figur des Ostens der Experte für Völkerrecht der russischen Delegation, Professor Turdenjewsky. Sein umfangreiches Wissen und die erstaunlichen Dokumentationen, die er der Konferenz vorlegte, machten den Weststaaten die Vertretung ihrer Argumente schwer. Es wäre falsch, anzunöhmen, daß nah den ersten konzentrierten Angriffen eine Malaise gegen die österreichische Delegation Platz gegriffen hätte. Die Delegierten der Uferstaaten anerkannten gerne die überragende und verdienstliche Rolle, die die alte Monarchie für den Donauverkehr gespielt hatte. Man mähte — eine einfahe Lösung — die Weltgeschichte für den unfreundlichen Wandel verantwortlich, durch den der bedeutendste Donaustaat ausgeschlossen wurde vom Mitbestimmungsreht, so daß seine Interessen in keiner Weise gewahrt ersheinen.

Die shweren Türen zu den Belgrader Konferenzsälen sind geschlossen. Weißgekleidete Gardesoldaten Titos erwiesen zum Abschied die Ehrenbezeigung. „Ex Oriente lux?“ Ein neues Liht des Völkerrechtes aus dem Osten? Der Blick folgte von der Semliner-Brühe dem silbernen Band stromaufwärts bis zu den Shlössern, die einmal zerstört werden mußten, weil ihre Herren die Donau mit eisernen Ketten absperrten und sich das alleinige Reht über eine der Lebensadern Europas anmaßten. An die Burgen und ihre Ritter erinnern nur mehr die zerfallenen Denkmäler der Geshihte. Nun werden die Ketten über den Strom erneut gezogen. In den Ohren der abreisenden Delegierten klang noch die Rede des Franzosen, der temperamentvoll aussprah, was viele gedaht hatten: „Daß ihr neue Taxen verhängt, daß ihr die Schifffahrt unmöglich mäht, daß ihr die Freiheit des Wassers zerbrecht, das ist vielleicht unbegreiflich, aber möglich. Aber, in Gottes Namen, hört doch endlich auf, diese Handlungen im Namen der Freiheit zubegehen!“

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