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Lohnt sich der Osthandel?

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Während sich nach der Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monarchie die Handelsbeziehungen zu den Oststaaten abschwächten, waren sie in der Zwischenkriegszeit doch immer noch bedeutend und umfaßten fast die Hälfte des österreichischen Gesamthandels. Nach dem zweiten Weltkrieg allerdings kamen sie beinahe gänzlich zum Erliegen, die sowjetische USIA regierte in Wien und tätigte Geschäfte, die nicht kontrolliert werden konnten. Aber auch nach Abschluß des Staatsvertrages, als die Grenzen nach dem Osten geschlossen werden konnten, entfielen stets nur zirka 10 bis 20 Prozent des österreichischen Gesamthandels auf die Länder des Rubelblocks. Obwohl Oesterreich mit allen diesen Ländern zum Teil langfristige Handelsverträge abschloß — mit der UdSSR das „Handels- und Schiffahrtsabkommen“ im Jahre 1955 —, erfüllten sich die in sie gehetzten Hoffnungen nicht.. Im Lichte nüchterner Tatsachen verliert das auf einen Ausspruch des weiland ehrwürdigen Knickerbocker zurückgehende geflügelte Wort vom „Roten Handel, der lockt“, viel an Wert.

Folgende Punkte sind es vor allem, die bisher einen Aufschwung des österreichischen Osthandels verhinderten:

• Die Oesterreich angebotenen Importkontingente können nicht voll ausgenützt werden, da die Ostwaren oft qualitativ und preislich den westlichen unterlegen sind.

• Der Rubelblock weigert sich, ein multilaterales Handelsabkommen zu schließen, hält hartnäckig am zweiseitigen Handelsverkehr fest und vergibt sich dadurch die Chance voller Kontingentausnützung.

• Derzeit sind die Zahlungsbedingungen bei Ostausfuhren noch weit ungünstiger als bei Westausfuhren. Kredite und Zahlungserleichterungen werden kaum offeriert; die Rubelländer haben im Gegenteil selbst ein großes Bedürfnis nach Krediten.

• Infolge der ständigen österreichischen Exportüberschüsse weisen die Oststaaten meist chronisch passive Verrechnungskonten auf und nehmen daher laufend einen zinsenlosen „technischen Kredit“ — wie der Terminus techni- cus heißt — von etwa 250 bis 500 Millionen Schilling jährlich in Anspruch.

• Die Landwirtschaft der Ostländer wird mit zunehmendem Maße auf eine höherwertige Produktion spezialisiert (tierische Erzeugnisse), die aber gerade Oesterreich infolge der eigenen Erzeugung nicht abnehmen kann.

• Letztlich dürfte aber das Haupthindernis jedes österreichischen Ostgeschäftes die Schwerfälligkeit der zahlreichen Export- und Importorganisationen des Sowjetsystems sein. Eine direkte Verbindung zwischen Produzenten und Abnehmer ist fast unmöglich, auch wird sich daran wohl in der nächsten Zeit nichts ändern, da nach Mikojan das auf das Jahr 1918 zurückgehende Außenhandelsmonopol als Maxime gilt, an dem nicht gerüttelt werden darf.

Trotz dieser Schwierigkeiten hat Oesterreich ein begründetes Interesse, mit seinen östlichen Nachbarn in Geschäftsverbindung zu bleiben. Und dieser Wunsch ist nicht nur politisch zu motivieren. —

• Im österreichischen Osthandel ist die Ausfuhrstruktur als günstig anzusehen. Der Rohstoffanteil an der Ostausfuhr beträgt nur sechs Prozent, in der Gesamtausfuhr dagegen 21 Prozent. Halb- und Fertigwaren sind zwar etwa in gleichem Ausmaß wie im Gesamtexport mit

48 Prozent, dagegen sind Maschinen mit 32 Prozent, in der Gesamtausfuhr aber nur mit 14 Prozent vertreten.

• Der Ostmarkt bietet oft günstige Gelegenheit zum Absatz von Fertigwaren, vor allem Maschinen, die im Westen schwer oder gar nicht absetzbar sind.

• Wichtige Rohstoffe können aus den Rubelstaaten im Verrechnungsverkehr (also bis zur Höhe der österreichischen Ausfuhr) ohne Devisenzahlung bezogen werden.

• Für Oesterreich liegt der Osten frachtgünstig; vor allem in den Nachfolgestaaten der Donaumonarchie sind noch viele Handelsbeziehungen aus der Vorkriegszeit vorhanden.

• Als Hoffnung für die Zukunft kann angesehen werden, daß es wohl möglich sein wird, die Ablöselfeferungen nach’ ihrem Atisklingen zum Teil in den kommerziellen Verkehr überzuleiten.

Wie steht nun der neue russische Siebenjahrplan (1959 bis 1965) zum Handel mit dem

Westen? Er hat die hemmenden Autarkiebestrebungen' der Stalin-Epoche abgeschüttelt und sieht eine Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen auch mit den nichtsozialistischen Ländern vor. (Die kürzlich abgeschlossenen englischrussischen Wirtschaftsverhandlungen sind wohl symptomatisch.) Das will allerdings nicht besagen. daß die nachstalinistische Aera andere Ziele verfolgt. Lediglich die Wege sind anders. Der XXI. Parteitag der Kommunistischen Partei der UdSSR fand, daß zur angestrebten wirtschaftlichen Weltherrschaft — bis 1965 soll mehr als die Hälfte der gesamten Industrieproduktion der Erde von der UdSSR erzeugt werden und der Rubel den Dollar verdrängen — eben der Handel mit dem Westen notwendig ist.

Sind wir aber sicher, daß ein XXII. oder XXIII. Parteitag nicht plötzlich wieder das Gegenteil für richtig hält und zur Autarkie und dem Abschluß von außen zurückkehrt? Ein solcher Entschluß ist sogar zu erwarten, als Rückschlag des Pendels, wenn die hochgesteckten Ziele dieses Siebenjahrplanes nicht erreicht werden sollten. ,

Wird aber der jetzige Siebenjahrplan erfüllt, dann soll, gemäß dem XXI. Parteitag, der Schritt nicht mehr fern sein, da der Sozialismus in den Kommunismus übergeht, das heißt, die Ablösung des Ware-Geld-Verkehrs durch die unentgeltliche Verteilung der Güter nach den Bedürfnissen der Gesellschaft; eine Aussicht, die für einen westlichen Geschäftsfreund auch nicht gerade beruhigend wirken dürfte.

Wie immer die Pläne des Ostblocks ausgehen mögen, es wird für einen westlichen Handelspartner, also auch für Oesterreich, gut sein, nie dessen Wege und Ziele aus dem Auge zu verlieren. Der östliche Wirtschaftspartner hat viele Gesichter. Das ist die Gefahr.

Wenn dies aber stets beachtet wird, kann der Handel mit dem Osten recht nützlich sein. Schließlich haben einst auch die christlichen und mohammedanischen Länder in Zeiten größter Feindschaft nicht auf den Güteraustausch verzichtet. Und heute lugen selbst die Dollar- und Sterlingländer nach dem Ostgeschäft aus.

Für ein neutrales Land wie Oesterreich ist der Handel mit jedem Block wichtig, also auch mit dem, in dem der Rubel rollt; selbst wenn er den statistischen Zahlen nach derzeit noch wenig ins Gewicht fällt und es völlig im dunkeln liegt, ob sich dies bald ändern wird. Seine Bedeutung liegt mehr auf dem politischen als auf dem kommerziellen Gebiet.

So wird Oesterreich seine Bemühungen um den Osthandel fortsetzen müssen, denn er ist derzeit eine reale Notwendigkeit, und wir sind nicht gewöhnt, eine solche zu ignorieren. Um uns aber zukünftige Enttäuschungen zu ersparen und vor allem um unserer eigenen Sicherheit willen, dürfen wir nicht vergessen, daß er eine reale Notwendigkeit auf tönernen Füßen ist.

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