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Neue Blüte

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Die Eröffnung der Wiener Frühjahrsmesse ist ein wichtiges Wirtschaftsereignis, stehen wir doch ohne Zweifel an der Wende der europäischen Wirtschaftsentwicklung.

Die ursprüngliche Einteilung der Ausstellungsmöglichkeiten: Konsumgüter im Messepalast, Investitionsgüter auf dem Messegelände, ist durch die Entwicklung der letzten Jahre schon einigermaßen verschoben worden. Praktisch umfaßt die Ausstellung im Messepalast, der durch den historischen Rahmen des Gebäudes eine Grenze für weitere Ausdehnungsmöglichkeiten gesetzt ist, nur mehr kurzlebige Konsumgüter, während die dauerhaften Konsumgüter durch ihre Verbindung zu der technischen Seite immer mehr auf dem Gelände konzentriert sind und an Ausstellungsraum zunehmen.

Einen Anziehungspunkt der Frühjahrsmesse bildet die Internationale Automobilausstellung. Im Nordwesten des Geländes wurde an Stelle der Halle A, die mit ihrem Zeltdach den Veranstaltern öfter große Sorgen bereitet hat, eine stabile Halle in Stahl, Beton und Glas von 355 Meter Länge errichtet. In dieser Halle mit 10.000 Quadratmeter Bodenfläche sowie in dem benachbarten US-Pavillon und der Halle 22 wurden die Aussteller der Automobilgruppe untergebracht. Unter Führung der fünf österreichischen Erzeuger — Steyr-Daimler-Puch-AG., Graf & Stift, Saurerwerke, Oesterreichische Automobilfabrik-AG. und Perl-Auhof — zeigen die österreichischen Importeure praktisch alle wichtigen Weltmarken auf dem Gebiete der Personenwagen und Nutzfahrzeuge.

Infolge des höheren Lebensstandards war in den letzten Jahren sehr deutlich eine Abwendung der Interessenten von den schweren Motorrädern auf die Klein- und Mittelwagen zu beobachten. Dies zeigt sich auch in einem verringerten Interesse der Aussteller der Zweiradgruppe. Daneben wurden in einer eigenen Halle die zahlreichen Autozubehörfirmen untergebracht, die für den steigenden Komfort und die technische Ausrüstung der Wagen den Beweis liefern. Im volkswirtschaftlichen Sinne bedeutet die Steigerung der Motorisierung eine Ausdehnung des Absatzes an Konsumgütern.

Der höhere Lebensstandard bedingt aber auch das außerordentliche Interesse für die Technisierung des Haushaltes. Auf dem weiten Gebiete der Haus- und Küchengeräte war noch nie ein so großer Andrang der Erzeuger aus dem In-und Ausland zu beobachten. Es war ausstellungstechnisch einfach unmöglich, die Nachfrage nach Plätzen auf diesem Sektor auch nur annähernd zu befriedigen. Dabei muß als Prinzip festgehalten werden, die Erzeuger der gleichen Sparte, unabhängig vom Herkunftsland, nebeneinander zu stellen, um den Interessenten und Beschauern die Möglichkeit des Vergleiches zu geben. In diesem Sinne ist die Wiener Messe das Eingangstor für den österreichischen Markt, da nicht nur das breite Publikum, sondern auch der gesamte Großhandel aus Oesterreich die einzelnen Erzeugnisse besichtigt.

Der große Sektor der Maschinen aller Sparten hat Antwort auf die Frage nach der Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Produktion zu geben. Wenn unsere Erzeuger in den kommenden Jahren den Wettbewerb mit den anderen Staaten mit Erfolg aufnehmen wollen, so ist die erste Voraussetzung die technische Ausrüstung nach den modernsten Gesichtspunkten. Es ist eine Lebensfrage für die Betriebe, die neuesten Fertigungsanlagen zu besitzen, um den Wettbewerb mit Aussicht auf Erfolg bestehen zu können. Wir müssen uns bei Betrachtung dieser Probleme immer vor Augen halten, daß Oesterreich auf Grund seiner Randlage frachttechnisch ein doppeltes Handikap zu überwinden hat. Der lange Transportweg einerseits für unsere Rohstoffe, anderseits für unsere Exportgüter, bildet eine Belastung, die nur unter Anspannung aller Kräfte und Ausnützung aller Möglichkeiten überwunden werden kann.

Neben den gewerblichen Betrieben muß auch die Landwirtschaft energisch darangehen, ihre Betriebe weiter maschinell auszustatten, um auf diesem Gebiet vor allem dem Mangel an Arbeitskräften entgegenzutreten. Nicht umsonst ist rund ein Drittel des Messegeländes den landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln, von der Maschine bis zum Kraftfutter und der Sämerei, vorbehalten. Dem gleichen Ziele der Stärkung der bäuerlichen Betriebe dient die Sonderausstellung „Verbesserung der Agrarstruktur durch Kommassierung“, denn die Kommassierung bedeutet wesentliche Erleichterungen bei Bearbeitung der Grundstücke und Steigerung des Boden ertrages.

Als Hauptaufgabe haben die Gründer der Wiener Messe den Export angesehen. Es sollte dem ausländischen Interessenten das österreichische Angebot konzentriert vorgeführt werden. Diese Aufgabe ist während der vergangenen 37 Jahre des Bestehens der Messe nicht geringer geworden, sondern im Gegenteil noch größer. Oesterreich muß einen bedeutenden Anteil seiner Produkte exportieren, um die notwendigen Rohstoffe und Dienstleistungen an das Ausland zu bezahlen und der Bevölkerung den hohen Lebensstandard zu erhalten oder diesen womöglich noch zu steigern. Es gilt die Exportbeziehungen mit dem Ausland in jeder Weise zu vertiefen und zu fördern. Zu diesem Zweck hat das Gremium der Handelsvertreter eine eigene Auskunftsstelle im Vorgebäude der Südhalle eingerichtet, wo jeder Interessent aus dem Ausland die notwendigen Auskünfte, aber auch die Unterstützung erhält, um begonnene Geschäftsgespräche bis zur Durchführung der Exporte zu erhalten.

Die Auswirkung der Freihandelszone auf die Messen hat die Union der Internationalen Messen bereits stark beschäftigt und wurde in einer Reihe von Enqueten behandelt. Eine Ansicht geht dahin, daß jeder Erzeuger, ähnlich wie in USA und Großbritannien, eine weit umfassende Absatzorganisation schaffen und durch seine Vertreter den persönlichen Kontakt mit den Kunden pflegen muß. Nun ist es die einhellige Auffassung aller Fachleute, daß der Aufbau einer solchen Organisation nur für die ganz großen Unternehmungen finanziell tragbar ist, daß aber die mittlere und kleinere Industrie, vor allem aber das Gewerbe, nicht in der Lage sind, diese Organisation zu schaffen und zu bezahlen. Für diese zahlenmäßig außerordentlich starke Gruppe besteht der finanziell einzig mögliche Ausweg, durch Beschickung der Messen den persönlichen Kontakt mit den Abnehmern zu pflegen und neue Kunden zu gewinnen. Es ist ein Symptom dieser Entwicklung, daß beispielsweise mit dem Beginn der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft per 1, Jänner dieses Jahres die Zahl der französischen Aussteller auf der Messe Hannover sprunghaft in die Höhe geschnellt ist. Die gleiche Problematik gilt für Oesterreich. Nur ganz wenige Unternehmen unseres Landes sind in der Lage, ihre eigene weltumspannende oder auch nur mehrere Länder umfassende Absatzorganisation aus eigenen Mitteln aufzubauen. Der überwiegende Teil der österreichischen Erzeuger, bis in die mittelgroßen Industriebetriebe hinein, ist auf die Messebeteiligung angewiesen. In diesem Sinne ist festzustellen, daß an der heurigen Frühjahrsmesse, neben der Bundesrepublik Deutschland mit mehr als 1000 Firmen, fünf Staaten, nämlich Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweiz und USA, mit mehr als je 100 Firmen vertreten sind. Aber auch kleinere Länder, wie die Benelux-Wirtschafts-gemeinschaft und Scjiweden, sind mit weit mehr als 50 Firmen vertreten.

Wenn man Aussichten und Ergebnisse der verschiedenen Messen Europas unter Berücksichtigung der vorerwähnten Ueberlegungen' analysiert, muß man feststellen, daß der Beginn der wirtschaftlichen Integration Europas auch der Beginn einer neuen Blüte der internationalen Messen sein wird.

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