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Die Wiener Messe im Zeichen fortschreitender Liberalisierung

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Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, sind Messen die zweckmäßigsten Verteilungs- und Vertriebsinstrumente der Marktwirtschaft. Sie sind keine Erfindungen oder besonders erdachte Einrichtungen unserer Zeit, sondern vielmehr aus der Notwendigkeit einer Fühlungnahme zwischen Produzenten und Konsumenten organisch gewachsen. Ihre Aufgaben schöpfen sie aus dem Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage, indem sie die zahllosen Einzelangebote und Einzelnachfragen zweckmäßig zusammenführen.

Wenn eine Messe ihre Funktionen in der Marktwirtschaft erfüllen soll, dann sind das freie Spiel

• der Kräfte, die wirtschaftliche Initiative der einzelnen und der freie Leistungswettbewerb fundamentale Voraussetzungen. Nur in einer solchen freien Atmosphäre kann die Messe den in sie gesetzten Erwartungen gerecht werden.

Die wirtschaftliche Gesundung Oesterreichs in den letzten Jahren und der Durchbruch zur Marktwirtschaft haben endlich das gesunde Konkurrenzklima geschaffen, in dem auch die Wiener Messe ihren traditionellen Aufgaben wieder richtig nachkommen kann und in dem die Kriterien des Käufermarktes — Qualität, Leistungsfähigkeit und Preis — wieder in vollem Umfang zur Geltung gelangen. Die eisten Wiener Nachkriegsmessen, wiewohl sie auch Zeugen der wiedererstandenen Leistungskraft Oesterreichs waren, brachten doch nur ein verzerrtes Bild des Marktes. Sie waren vor allem Exportmessen, und der Inländer war mehr oder weniger bloß ein Zaungast. Wenn sich auch bald die Situation zum Besseren wandte, so konnten die Messen in der Aera der Importbeschränkungen und Außenhandelsreglementierungen noch lange nicht als Prüfstein des echten Wettbewerbes betrachtet werden. Vielfach wurden nämlich nur deshalb Messen beschickt. um im Rahmen der jeweils eingeräumten Messekontingente Export- und Importgeschäfte abzuwickeln, die sonst auf Grund des rigorosen Außenhandelsregimes überhaupt nicht oder nur im Wege eines komplizierten Bewilligungsverfahrens hätten abgewickelt werden können.

Erst die günstige Entwicklung unseres Außenhandels, die weitgehende Liberalisierung unserer Einfuhr gegenüber den Staaten der Europäischen Zahlungsunion, die erleichterte Abwicklung der Exporte und Importe und die jüngst erfolgte

Lockerung der Devisenbewirtschaftung haben grundsätzlichen Wandel geschaffen. So war zur Zeit der Frühjahrsmesse 1953 Liberalisierung noch ein unbekannter Begriff für Oesterreich. Die vergangene Herbstmesse stand im Zeichen der bescheidenen Einfuhrliberalisierung von 35 Prozent, bei der heurigen Frühjahrsmesse betrug dieser Satz 60 Prozent und heute sind bereits 75 Prozent der Einfuhr aus den OEEC-Staaten keiner mengenmäßigen Beschränkung mehr unterworfen. D i e Herbstmesse steht also erstmalig unter dem Aspekt eines freien, weitgeöffneten Marktes, auf dem der gesunde Wettbe w’e rb voll zur Entfaltung kommen kann.

Welche Funktionen haben nun Messen im allgemeinen und die Wiener Messe als maßgebendste österreichische und bedeutsame internationale Veranstaltung in der Aera der freien Marktwirtschaft zu erfüllen?

Vom Binnenmarkt her gesehen, erwartet man sich von der Wiener Messe wirksame konjunkturpolitische Impulse, die direkt und indirekt auf allen Gebieten der Wirtschaft zu einer Umsatz-Steigerung führen. Indirekt insofern, als durch das Angebot auf der Messe die Nachfrage im Inland ganz allgemein angeregt und das Interesse auf zusätzliche Bedürfnisse, insbesondere auf technische Neuerungen, gelenkt wird. Durch das Zusammentreffen der direkten und indirekten Wirkung hängt vom Erfolg der Wiener Messe vielfach die gesamte Konjunkturentwicklung der nächsten Monate ab.

Eine andere wichtige Funktion der Messe liegt in der Gegenüberstellung gleicher Artikel aus verschiedenen Erzeugungsstätten. Diese Gegenüberstellung liefert den einzelnen Produktionsbetrieben immer wieder neue Anregungen, die in der Folge zu einem reichhaltigeren, qualitativ besseren und ideenreicheren Angebot auf breiter Basis führen muß. Hinzu kommt noch, daß bei internationalen Veranstaltungen die gegenseitig befruchtende Leistungsschau nicht auf einen abgegrenzten Binnenmarkt beschränkt bleibt.

Für den Außenhandel werden von einer internationalen Messe gleich starke Impulse für den Export wie auch für den Import erwartet. Als Treffpunkt der in- und' ausländischen Geschäftswelt ist sie dazu prädestiniert, bestehende zwischenstaatliche Verbindungen zu vertiefen, neue Kontakte anzubahnen und diese Beziehungen durch den so wichtigen persönlichen Kontakt zu untermauern.

Im Hinblick auf das österreichische Aktivum bei der Europäischen Zahlungsunion und auch auf die Exportüberschüsse gegenüber anderen Staaten erwartet sich die Wirtschaft von der Wiener Messe nicht nur eine Belebung des Exportes, sondern auch einen erhöhten Anreiz für Importe. Damit kann die Wiener Messe nach langer Zeit wieder in vollem Umfang der Tatsache Rechnung tragen, daß der Handel keine Einbahnstraßen kennt und daß eine Exportausweitung nur gleichzeitig über eine Importsteigerung erreicht werden kann.

Unter dem Gesichtspunkt der Importsteigerung muß auch die starke Beteiligung von ausländischen Gruppenausstellungen auf der Wiener Messe begrüßt werden. Abgesehen von deren repräsentativem Gewicht, sind ausländische Gruppenausstellungen auch eine notwendige Konsequenz der weltweiten Umstellung auf dem Käufermarkt, der mit dem zunehmenden Warenangebot immer höhere Anforderungen an den Verkäufer stellt. Es erweist sich oft als erforderlich, daß die Ware dem Käufer nachgeht. Man wartet also nicht immer, bis ausländische Käufer zur eigenen Messe kommen, sondern sucht sie bei ihrer Messe auf. Dieser Praxis bedient sich übrigens auch die österreichische Wirtschaft, die alljährlich auf den wichtigsten internationalen Messen des Auslandes durch Gruppenausstellungen des Wirtschaftsförderungsinstitutes der Bundeshandelskammer vertreten ist.

Die rege ausländische Firmenbeteiligung, verstärkt durch die neun Gruppenausstellungen auf der Wiener Messe, dürfte einen Importsog bringen. Diesen erwarteten und erwünschten Importsog müssen allerdings als Gegengewicht entsprechende Exportabschlüsse, die auf der Messe zustande, kommen oder zuminde.st durch sie initiiert werden, gegenüberstehen. Damit ist die zweite, vom Standpunkt der österreichischen Wirtschaft besonders wichtige Aufgabe der Wiener Messe im Interesse des Außenhandels gegeben. Die exportfördernde Funktion kann jedoch nur dann zufriedenstellend erfüllt werden, wenn ausländische Käufer in entsprechender Zahl nach Wien kommen. Die Wiener Messe muß also so attraktiv sein, daß sich für ausländische Kunden die oft weite Reise und die damit verbundenen Kosten und Zeitverluste lohnen. Die Messen in Kleinstaaten dürfen nur dann mit einem regen Ausländerbesuch rechnen, wenn sie neben einer möglichst vollständigen Leistungsschau des heimischen Schaffens auch einen entsprechenden Querschnitt des internationalen Warenangebotes, zumindest des der benachbarten Wirtschaftsräume bieten können.

Und hier liegt eines der schwierigsten Probleme der Wiener Messe von heute. Das Fundament für die internationale Geltung der Wiener Messe bildete vor dem Krieg zweifellos der Handel mit dem Donauraum. Die günstige wir.schaftsgeo- graphische Lage Wiens als. Umschlagplatz für den Warenverkehr mit dem Osten und Südosten Europas war ein gewaltiges Aktivum, dank dem die Wiener Messe zu einer der hervorragendsten Veranstaltungen des europäischen Kontinents wurde.

Die Schrumpfung des Ost-West-Handels und der Niedergang des Eisernen Vorhanges an unserer Ostgrenze haben zweifelsohne die internationale Bedeutung der Wiener Messe herabgemindert. Immerhin ist die rege Beschickung der Messe durch Kollektivausstellungen der osteuropäischen Staaten ein ermutigendes Zeichen dafür, daß man der Bedeutung der Wiener Messe für den Warenverkehr zwischen Ost und West auch jenseits des Eisernen Vorhanges entsprechende Aufmerksamkeit schenkt und daß von Jahr zu Jahr mehr ausländische Aussteller und Einkäufer sich der Wiener Messe bedienen.

Der rege Ausländerbesuch ist aber nicht nur für den sichtbaren Export, sondern auch für den unsichtbaren, den Fremdenverkehr, von Bc !eu- tung. Vielfach wird nämlich ein Besuch bei der Wiener Messe mit einem Aufenthalt in Oesterreich verbunden. Aber auch dann, wenn der ausländische Geschäftsmann keine Zeit für einen Erholungsaufenthalt findet, wird durch seine Reis nach Wien eine wertvolle, indirekte Werbewirkung für Oesterreich als Reiseland erzielt.

Neben der Bedeutung für den Binnen- und Außenhandel erfüllt aber die Wiener Messe noch eine weitere wichtige Funktion: nämlich di direkte Produktions- und Marktbeeinflussung durch den Konsumenten. Der Messebesucher — hier ist nicht der kommerzielle Einkäufer, sondern der schaulustige Konsument verstanden — geht meistens mit ganz bestimmten Erwartungen auf die Messe und trägt eine große Anzahl von Wünschen mit sich, die er früher oder später einmal realisieren wird. Diese vielfach latenten Wünsche nehmen oft erst im Verlaufe des Messebesuches konkrete Formen an und können insbesondere bei Konsumgütern Produktion und Verbrauch in großen Grundzügen ganz maßgeblich beeinflussen. Der Konsument gibt auf der Messe direkt sein marktwirtschaftliches Votum ab, das sonst erst auf langwierigen Umwegen der Produktion zur Kenntnis gelangt.

Schließlich erfüllt die Wiener Messe auch noch eine soziale Aufgabe, ein Aspekt, der bisher nicht immer genügend beachtet wurde. Gerade in Oesterreich greifen soziale Belange stärkstens in die kommerziellen Dispositionen jedes Betriebes ein. Es ist deshalb psychologisch äußerst wertvoll, wenn die breite Masse der Arbeiterschaft auf der Messe Gelegenheit hat, die Produkte ihrer Hände Arbeit zu sehen und sie mit in- und ausländischen Konkurrenzerzeugnissen zu vergleichen. Von einem solchen persönlichen Augenschein wird der Arbeitnehmer mit den Erfordernissen seines Betriebes besser vertraut und sieht vielfach Fragen der Lohnpolitik aus einer wirtschaftsnaheren Perspektive. Er sieht, daß die Preispolitik seines Betriebes sich der jeweils vorhandenen Markt- und Absatzlage und vor allem den Konkurrenzverhältnissen anpassen muß und daß Leistungssteigerung der beste Garant für eine gesicherte Existenz und einen besseren Lebensstandard ist. Damit kann di Wiener Messe ohne Zweifel dazu beitragen, daß Leistung und Lohn in ein adäquates Verhältni gebracht werden, das letzten Endes in einem erhöhten Sozialprodukt seinen Niederschlag findet-

Die Wiener Messe, die nunmehr über drei Jahrzehnte im Dienste der Volkswirtschaft steht, ist heute zu einem unentbehrlichen Instrument für unseren Binnen- und Außenhandel geworden. Di österreichische Wirtschaft ist stolz auf ihre größte Messeveranstaltung und wird sich bemühen, daß die Wiener Messe ihre Funktionen immer erfüllen und im Einklang mit der wirtschaftlichen Expansion unseres Landes eine organische Weite»» entwioklung durchmachen kann.

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