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Österreich — Umschlagplatz

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Während die Zeit zwischen dell’- beiden Weltkriegen unter dem Zeichen der Autarkiebestrebungen der großen wie auch zum Teil der kleineren Staaten stand, haben die bitteren Erfahrungen der letzten zehn Jahre nun wieder ein Streben nach Abbau der künstlichen Hemmungen eines weit wirtschaftlichen Verkehrs hervorgerufen. Parallel den politischen Bemühungen für einen engeren Zusammenschluß Europas gehen daher auch solche um die Belebung des internationalen Wirtschaftsverkehrs. Besonders kleinere Staaten, die auf Grund ihrer relativ schmalen Produktionsbasis einen hohen Importbedarf haben, sind an einem möglichst beweglichen und ungehinderten Außenhandel interessiert.

So ist es nicht überraschend, daß in Österreich gleich an vier verschiedenen Stellen, in Wien, Linz, Innsbruck und Villach, die Schaffung von Zollfreizonen geplant und in die Wege geleitet wurde. Denn die Einrichtung einer Zollfreizone kann unter gewissen Voraussetzungen ein wirksames Mittel für die Belebung des Außenhandels des betreffenden Landes und damit des internationalen Handels überhaupt sein. Zu diesen Bedingungen gehören vor allem eine günstige Verkehrslage, ein entsprechend aufnahmefähiges Hinterland und die Nähe einer Staats-, beziehungsweise Zollgrenze.

Den Sinn einer Zollfreizone für eine Belebung des Außenhandel zeigen folgende Erwägungen: Die Nachfrage auf den einzelnen Märkten verändert sich oft sehr rasch. Es ist daher von Wichtigkeit, daß die Waren dann möglichst kurzfristig lieferbar sind, wenn die Marktlage für ihren Absatz günstig ist. Dieser Forderung wird durch die Zollfreizone dadurch Rechnung getragen, daß der ausländische Exporteur seine Waren in der Zone einlagert, bevor er noch weiß, wo und wann er sie im einzelnen verkaufen wird. Die Zollfreizone bildet somit eine Art vorgeschobenen Stützpunkt der ausländischen Exporteure, der ihnen eine schnellere und damit bessere Bedienung ihrer Abnehmer ermöglicht. Ein anderer Vorteil liegt darin, daß die Importeure des umliegenden Absatzgebietes ihre Geschäfte oft nicht nur auf Grund von Prospekten abschließen müßten, sondern nach Besichtigung der Ware in der Zollfreizone. Da die Lieferung in die Zollfreizone noch nicht für einen bestimmten Abnehmer und in festgesetzten Mengen erfolgt, kann man Transporte zusammenstellen, die so groß sind, daß die niedersten Frachtsätze angewendet werden können. Die auflaufenden Lagerkosten sind weit geringer als der Vorteil ersparter Frachtspesen.

Dazu kommt, daß die in der Zollfreizone -gelagerten Waren nicht in dem betreffenden Staatsgebiet beziehungsweise Zollgebiet zum Absatz gelangen müssen, sondern vielleicht in ein drittes Land überführt werden. Bei Nichtbestehen einer Zollfreizone müßte also neben die schon durchgeführte Einfuhrzollbehandlung eine weitere Transitzollbehandlung treten. Werden die Waren aber erst dann verzollt, wenn ihre Bestimmung schon genau festgesetzt ist, dann bedeutet dies natürlich eine Ersparnis an Zeit und Kosten und ermöglicht eine niedrigere Preiseinstufung. Aus solchen Gründen vermag — bei günstiger Abfassung der Zoll- und Lagerordnung und wohlabgestimmter Tarife — eine Zollfreizone eine bedeutende Anziehungskraft für den internationalen Handel zu bilden und zugleich die Frequenz der inländischen Verkehrseinrichtungen zu steigern. Da die Nachbarstaaten unseres Landes alle Anstrengungen machen, den Durchfuhrverkehr über ihr Gebiet zu lenken, muß Österreich alles tun, um sich den

Transitverkehr zumindest zu erhalten, wenn nicht zu steigern. Der Durchgangsverkehr war in den Jahren vor 1938 einer unserer hauptsächlichsten Aktivposten des Außenhandels. Bei der verhältnismäßig geringen Ausdehnung unseres Staatsgebietes ist der Auslandsverkehr unter Umständen in der Lage, unser Gebiet zu umfahren. Günstige Transportbedingungen, vor allem herbeigeführt durch eine Herabsetzung der relativ hohen, von den Bundesbahnen eingehobenen „Nebengebühren für Verwaltung und Verzollung“, sind unerläßlich, um der Ausschaltung Österreichs aus dem Transitverkehr Europas, einer sehr ernstzunehmenden Gefahr, zu begegnen.

Für den Staat, in dessen Gebiet eine Freizone liegt, entsteht eine Reihe von wirtschaftlichen Vorteilen; ihm fließen die Einnahmen aus den Lagergebühren, die erhöhten Zolleingänge infolge des gesteigerten Handelsverkehrs, die größeren Einnahmen der Bahn oder sonstiger Verkehrsmittel durch die Heranziehung des internationalen Güterverkehrs an eigene Verkehrslinien zu. Auf die Belebung der Produktion und des Arbeitsmarktes durch die Errichtung von Veredelungsindustrien, die sich an Freihandelszonen aus naheliegenden Gründen anzusiedeln pflegen, sei hier nicht näher eingegangen. Wohl aber besonders betont sei der k u 11 u r- politische Vorteil: ein wirtschaftlicher Umschlagplatz wird leicht auch zu einem Umschlagplatz des Geistes und der Kultur: Venedig, London, Hamburg verdankten einst ihre europäische Bedeutung dieser Verbindung.

Einen wesentlichen Schritt zur Verwirklichung dieser Ideen stellt das Ergebnis einer Tagung dar, die von den Vertretern de österreichischen Zollfreizonenplanes in der zweiten Oktoberwoche in Innsbruck unter Teilnahme des Bundesministers für Handel und Wiederaufbau Dr. Kolb abgehalten wurde. Einstimmig wurde der von einem Unterausschuß vorgelegte Gesetzesentwurf zur Begünstigung der Zollfreizonen angenommen. Darin wird unter anderem verlangt, daß entsprechende Vergünstigungen für den Verkehr mit den Zollfreizonen und eine Zoll- und Lagerordnung für diese erlassen werden; Rechtsgeschäfte, die mit der Errichtung der Zollfreizone im Zusammenhang stehen, sollen stempel- und gebührenfrei sein; alles, was an Material zur Errichtung der Zollfreizone selbst nicht aber der in ihr erstehenden Industrien erforderlich ist, soll Zollfreiheit genießen; um bei der Begründung des Freizonengebietes wucherischen Bodenspekulationen vorzubeugen, sollen gesetzliche Bestimmungen für die in Aussicht genommenen Grundstücke ein Enteignungsrecht sichern.

Die große Bedeutung des Planes für die österreiÄische Wirtschaft und nicht zuletzt für die mitteleuropäische Stellung österr eichs läßt erwarten, daß für dieses weitschauende Unternehmen das österreichische Parlament bald die rechtlichen Unterlagen schafft. Gelingt diese Planung frei von bürokratischem Formalismus und großzügig gestaltet, so kann sich die vielfältige Tragweite des Erfolges noch gar nicht ganz abschätzen lassen.

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