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Wie immer auch die österreichischen Großparteien ihre Gegensätze herausstellen, so wird doch von den politischen Kräften Oesterreichs die Außenpolitik als eine Einheit aufgefaßt, deren Grundzüge und Richtung nicht zur Diskussion stehen.

Trotzdem wird sich Oesterreich in Zukunft mehr als bisher mit außenpolitischen Problemen beschäftigen müssen. Die Außenpolitik eines kleinen Staates besteht darin, die Interessen des Volkes so wahrzunehmen, daß sie in Einklang mit den Nachbarvölkern gebracht werden und dem Zuge der internationalen Politik der Großen folgen können. Diese Interessen sehen wir in erster Linie durch die Sicherung des Friedens gewahrt. Der kleine Staat weiß nur zu gut, daß jede kriegerische Verwicklung zu einer Bedrohung der eigenen Existenz führt. Deshalb muß er sein höchstes Augenmerk darauf legen, daß die Prinzipien des internationalen Völkerrechts als unantastbar anerkannt werden. Die Verletzung der Rechtsnormen in den entlegensten Gegenden Asiens ist genau so gefährlich wie die an den eigenen Grenzen. Jenseits des Gleichgewichts des Schreckens Bundesminister Kreisky besteht die Aufgabe eines Kleinstaates darin, durch Beispiel und ständige Hinweise auf die Lebensrechte der kleinen Nationen die Großmächte davon zu überzeugen, daß Macht ohne sittliche Verantwortung zu schweren Konflikten führen muß.

Der österreichische Außenminister sprach kürzlich vor den Parteienvertretern über die Notwendigkeit, der österreichischen Außenpolitik ein neues Konzept zu geben. Er meinte damit offenbar, daß die zweite Phase der österreichischen Außenpolitik abgeschlossen sei und die Linien für die nächste Zeit in ihrem weltpolitischen Zusammenhang festgelegt werden sollen. Oesterreich sah seit Kriegsende nur das einzige Ziel, die endgültige Freiheit zu erringen, um das Lebe.n und die Arbeit des Staatsvolkes zu sichern. Durch die Erklärung einer immerwährenden Neutralität ist es gelungen, .dem Staat die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch mögliche Souveränität zu erringen. Diese Neutralität ist anfänglich nicht ohne weiteres und restlos anerkannt worden. Zahlreiche westliche Staatsmänner glaubten in der Neutralität Oesterreichs nichts anderes als eine verschleierte Eingliederung des Landes in die östliche Hemisphäre zu sehen. Es war daher die zweite, ebenso wichtige Verpflichtung der österreichischen Außenpolitik, der Welt zu beweisen, daß diese Neutralität echt ist und in keiner Weise die Stellung Oesterreichs als pluralistische Demokratie berührt. Diese ebenso delikate wie notwendige Aufgabe ist von der österreichischen Diplomatie glänzend gelöst worden.

Obwohl die beiden Regierungsparteien die Einheit der Außenpolitik betonen, zeigen sich doch in ihren Vorstellungen gewisse Nuancen, ja im Stil des Handelns zeichnen sich gewisse Divergenzen ab. Die Volkspartei sieht in Oesterreich nicht nur einen Staat, der 1918 im Zusammenbruch des Vielvölkerstaates entstanden ist. sondern stellt den kontinuierlichen Wert einer Geschichte in den Vordergrund, der in staatspolitischer Hinsicht eine besondere Form des abendländischen Geistes darstellte. Daraus ist die Verpflichtung abzuleiten, unabhängig von wirtschaftlichen Ueberlegungen an die Zukunft Mitteleuropas zu denken, eine Zukunft, die nicht nur in den Grenzen einzelner Staaten ihre Bestimmung finden soll. Was Oesterreich für Europa zu tun vermag, ist, durch die eigene Existenz als Beispiel für die Werte einer freien Ordnung zu dienen. Darüber hinaus ist die OeVP strenge Wahrerin der österreichischen Neutralität. Nicht umsonst kam von dieser Seite die Anregung zur Ausarbeitung eines Neutralitäts-Schutzgesetzes. Die gleich guten Beziehungen nach Washington und Moskau sind demnach jede- österreichischen Außenpolitik zugrunde zu legen.

Die SPOe erwartet, daß sich in Oesterreich eine gleiche Entwicklung wie in den skandinavischen Ländern anbahne, wo sozialistische Parteien mit Unterstützung der Agrarier seit Jahrzehnten die Regierungsverantwortung tragen. Die österreichischen Sozialisten würden es daher begrüßen, wenn Oesterreich sich in der Verwirklichung des demokratischen Sozialismus m die Front jener Staaten einreihte, die, bedingt durch eine technische Entwicklung, die wirtschaftliche Freiheit in das weite Feld staatlicher Planung einordnen. Die Sozialisten sehen daher Oesterreich in den großen Zusammenhängen der Gegenwart und wollen keine Verpflichtungen übernehmen, die aus der Vergangenheit resultieren. Gerade diese Momente jedoch optieren für eine österreichische Außenpolitik, die, bei aller Wertschätzung des skandinavischen Bereiches, den Donauraum in seiner Vielfalt anerkennt und die Stellung Oesterreichs als einen Bestandteil desselben nicht ignoriert.

Obwohl die Möglichkeiten der österreichischen Außenpolitik beschränkt wurden, haben sich die Aufgaben vermehrt. Die Rolle der Gesandten ist vermindert, während die Stellung der Delegierten in den internationalen Körperschaften aufgewertet wurde. Es war daher sinnvoll, daß Oesterreich mit der letzten Regierungsbildung die seit 26 Jahren geübte Praxis aufgegeben hat und ein eigenes Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten ins Leben rief. Leider wurde die Gelegenheit versäumt, die gegensätzlichen Auffassungen über die Verteilung der Zuständigkeiten auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten eindeutig zu klären. Rechtsgutachten Nr. 5 der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Wien I, Freyung 6, über das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten. Es erscheint daher unbedingt erforderlich, in diesem Punkte volle Klarheit zu schaffen, so u. a. auch die Stellung des Staatssekretärs innerhalb des Ministeriums neu zu definieren. Da beispielsweise Südtirol ein gesamtösterreichisches Problem ist, müßte hinter den Forderungen nach Einhalten des Gruber- de-Gasperi-Abkommens auch das Gewicht der gesamten Bundesregierung stehen. Es wäre also symbolisch wie auch praktisch wirkungsvoller, wenn der gegenwärtige Staatssekretär künftighin im Range eines Bundesministers allein mit allen Südtirol betreffenden Fragen beschäftigt wäre. Auch an einen Staatssekretär im Kanzleramt wäre zu denken. Dagegen könnte ein Staatssekretär im Außenministerium eine andere ebenso wichtige Funktion erfüllen: die Kontakte zu den internationalen Institutionen auszubauen, um der Stimme unseres Landes ein Forum zu sichern, von dem nicht zu überschätzende Ausstrahlungen auf die Gestaltung der Außenpolitik sämtlicher Staaten ausgeht. Weiter sei auf die Notwendigkeit hingewiesen, Oesterreich nicht allein durch rein politische Beamte international vertreten zu lassen. Die wirtschaftliche Integration setzt derartige Fachkenntnisse voraus, daß mehr als bisher Praktiker des Wirtschaftslebens zu den internationalen Diskussionen herangezogen werden müßten. Es wäre auch zu erwägen, leitenden Politikern entsprechende diplomatische Posten anzuvertrauen. Der Vorteil wäre ein ständiger lebendiger Kontakt zu dem innenpolitischen Geschehen des Landes.

Wie soll nun die dritte Phase der österreichischen Außenpolitik beschaffen sein? Der neue Bundesminister hat ein Erbe übernommen, das auch die Handlungen seiner Vorgänger bestimmte: Südtirol, das Wiener Memorandum und die Verhandlungen mit den Oststaaten über die seit 1945 beschlagnahmten Vermögen österreichischer Staatsbürger. Die Punkte 2 und 3, in denen sich vielfache finanzielle Voraussetzungen mit juridischen und politischen Aspekten vermengen, können nur in zähen Verhandlungen gelöst werden. Die Regelung bezüglich des Wiener Memorandums erscheint vordringlich, ist doch die Freigabe der für die österreichische Wirtschaft wichtigen ERP-Kredite daran geknüpft. Die Vermögensverhandlungen stehen unter dem Gesichtspunkte der österreichischen Beziehungen zu den Volksdemokratien in ihrer Gesamtheit. Der Beitritt Oesterreichs zur Belgrader Donaukonvention vom 18. August 1948 wurde im Westen sehr aufmerksam vermerkt. Er gibt Oesterreich zum erstenmal wieder Gelegenheit, eine aktive Donaupolitik zu eröffnen.

Nach der Normalisierung der Beziehungen zur Sowjetunion steht einer Ausweitung der Handelsbeziehungen mit den Oststaaten nichts mehr im Weg. Oesterreich redet sich ein, eine besondere Rolle im Osthandel zu spielen. Wie aber berufene Beobachter des österreichischen Wirtschaftslebens feststellen Internationale Wirtschaft Nr. 38, kann „die oft berufene Brückenfunktion und Drehscheibe des Ost-West-Handels bestenfalls als wohlwollende Uebertreibung bezeichnet werden“. Der Handel Oesterreichs mit den Oststaaten liegt bisher noch immer größtenteils in der Hand kommunistisch orientierter Firmen, und die dazu berufenen Gremien sind noch zu selten in Erscheinung getreten. In diesem Zusammenhang könnte jedoch die kürzlich von russischer Seite errichtete Gesellschaft für Export-Rückversicherung „Garant“ wie die projektierte russische Bank in Wien gewisse Dienste erweisen — unter der Voraussetzung, daß eine paritätische Besetzung der leitenden Posten auch in der Tat erfolgt. Oesterreich sollte aber nicht nur seine Handelsbeziehungen, sondern auch seine kulturellen Aufgaben nach dem Osten hin ausbauen. Oesterreich wird auch nicht umhin können, seinen Beitrag zu den neuen Formen des mitteleuropäischen Staatenlebens zu leisten. Linser Land kann auf die Dauer nicht schweigen und jeder Diskussion über den Wert oder Unwert des Rapacki-Planes ängstlich ausweichen. Seitdem Bundeskanzler Raab seine Idee einer Neutralisierung Ungarns vorgebracht hat, ist von österreichischer Seite so gut wie nichts geschehen, um die Interessen der Weltmächte in diesem Bereich richtig zu deuten und einen eigenen, wenn auch bescheidenen Beitrag zu leisten. Da Oesterreich keinem Block angehört, wird es kaum in den Verdacht geraten, bestellte Vorschläge zu erstatten.

Die Welt steht vor den Bestrebungen der sogenannten unterentwickelten Gebiete, geistig, politisch und wirtschaftlich selbständig zu werden. Wir sollten diesen Wünschen schon deshalb größte Aufmerksamkeit schenken, da Oesterreich neue Absatzmärkte gewinnen muß. Die Berichte der Delegierten der österreichischen Bundeshandelskammer reden eine sehr eindrucksvolle Sprache. Die Position Oesterreichs verstärkt sich durch den Umstand, daß es nicht mit dem Odium der Kolonialherrschaft behaftet ist. Die wohl einmalige Chance in geistiger wie wirtschaftlicher Hinsicht, in den Entwicklungsländern eine Rolle zu spielen, wurde von den Verantwortlichen unserer Politik bisher nur ungenügend erkannt. Wäre Oesterreich nicht in der Lage, zur Ausbildung der wissenschaftlichen und technischen Elite dieser Länder beizutragen?

Der neue Chef der österreichischen Diplomatie sieht sich schließlich vor Fragen gestellt, die vitale Interessen der österreichischen Wirtschaft und des Staates betreffen. Die Stellung Oesterreichs gegenüber dem wirtschaftlichen Zusammenschluß Westeuropas bedarf einer Prüfung aller Elemente, um die an und für sich schwache Stellung Oesterreichs nicht noch mehr zu schwächen. Es , sei nicht vergessen, daß Oesterreich über 50 Prozent seiner Exporte in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft führt. Die Freihandelszone ist für Oesterreich eine Verlegenheitslösung. Mit größtem Nachdruck sollte dagegen untersucht werden, ob eine Assoziierung an die EWG nicht in Formen erfolgen kann, die mit der Neutralität Oesterreichs in Einklang zu bringen sind. Auch die Schaffung einer zentralen Stelle zur Koordinierung aller dieser Bemühungen wird notwendig sein.

Im Zeitalter der Mondrakete, planetarer Auseinandersetzungen der zweiten industriellen Revolution hat Oesterreich der Welt nicht weniger und nicht mehr zu bieten als seinen guten Willen und den Wunsch, ein ganz klein wenig zu vermitteln. Unter diesem Gesichtspunkt wird die österreichische Außenpolitik nicht nur dem Lande die gewollte ruhige Entwicklung sichern, sondern auch als ein Sprecher der Vernunft und der Menschlichkeit auftreten. Damit öffnen sich ihr neue, weite Perspektiven — sie zählen noch in einer Welt, die nicht nur durch große Mächte und unendliche Zahlen beherrscht wird.

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