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Zwischen Bonn und Wien

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Reden, Handlungen und Verträge können von verschiedenen Seiten her Impulse erhalten. Opportunitäts- und Utilitätsprinzip oder Rechtsgrundsätze sind — fast niemals vereinbar — die oft konkurrierenden Väter der Gestion und zeugen den politischen oder juristischen Wechsel-.balg, , ,

Das innerstaatliche Recht hat festgefügte Form und bestimmten Inhalt; es hat sowohl in fachlich geschulten Wahrern Stützen und Interpreten als auch durch Rechtsmittel und Instanzen Garanten, die, wenn auch nicht immer gemeinverständlich, so doch in der Entscheidung meist annähernd konform, das Rechtsbewußtsein stützen oder, von der negativen Seite her betrachtet, zumindest nicht desavouieren.

Diese eben aufgezählten Garanten der Rechtssicherheit fehlen dem Völkerrecht zum großen Teil. Hierzu kommen außer einer unpraktischen Durchsetzbarkeit vor allem die ungleichen Ausgangspositionen der Völkerrechtssubjekte, die ein politisches Handikap bewirken.

Es besteht nun gelegentlich die Chance, derartige Vorgaben zu nützen, es bestünde aber — bezogen auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze — die unmittelbare Verpflichtung, Treu und Glauben zu achten, ja zu forcieren. Wer diese Verpflichtung nicht mißachtet, wird sich wohl oder übel der Ueberlegung nicht verschließen können, daß Rechtsgrundsätze auch heute, da das Völkerrecht sich ohne sie noch nicht als reiner Quell der Gerechtigkeit erwiesen hat, bessere Pfeiler einer Ordnung sind als Opportunität und Utilität. Prüft man nun die aufgeworfenen Fragen, die Bonn und Wien beschäftigen, so mag es zunächst nach Auffassung und Rechtsmeinung zu vertreten sein, daß die deutsche Bundesrepublik Anspruch habe, deutsches Privateigentum rückzufordern oder nicht. Keinesfalls erscheint es jedoch mit dem Begriff vom Recht vereinbar, daß für dieses eine Obergrenze in Geld besteht.

Dem nüchternen Betrachter zwingen sich hinsichtlich der Berechtigung der deutschen Forderungen Parallelen auf, die an die für einen Rechtsstaat fragwürdigen Erscheinungen der ersten Nachkriegsjahre in Oesterreich gemahnen. Die Gemeinde Wien hat die Möbel bestimmter Personengruppen als Geschenk erhalten und verliehen, da sie sich als Eigentümer der Möbel betrachtete; die Republik Oesterreich erwirbt Vermögenswerte gegen Entgelt und beabsichtigt sie entweder (durch Verstaatlichung) selbst zu verwalten oder an Private abzugeben. Da nun Schenkung und Kauf in der Regel gültige Erwerbstitel sind, ist die Situation in beiden Fällen ähnlich. Die Frage, ob Schenkung oder Kauf vom Berechtigten erfolgten, ist hinsichtlich der Schenkung an die Gemeinde Wien bereits in Zweifel gezogen, hinsichtlich des Kaufes durch die Republik werden die Zweifel nicht ausbleiben. Oesterreichs Kauf von ehemaligem Staatseigentum des Deutschen Reiches von der UdSSR erscheint — zumal es sich dabei zum Großteil um ehemals österreichisches Vermögen handelt — nach Grundsätzen von Treu und Glauben einerseits, nach Völkerrecht anderseits, unbedenklich. Der Kauf von Privateigentum jedoch nicht; denn es ist fraglich, ob die Alliierten hinsichtlich Privateigentums zur Enteignung beziehungsweise Oesterreich zur Erwerbung die moralische und völkerrechtliche Deckung mit Erfolg behaupten können. Der nunmehrige Eigentümer im analogen Fall des innerstaatlichen Rechtsgefüges sähe sich wohl einer aussichtslosen Rechtslage gegenüber. Es käme — wieder innerstaatlich gedacht — dahin, wo es nach Abzug der Besatzungstruppen beim Beispiel der Gemeinde Wien kommen muß, nämlich, daß der ursprüngliche wirkliche Eigentümer entweder seine Sachen zurückerlangen oder aber eine angemessene Entschädigung erhalten muß. Recht als absoluter Begriff gestattet aber keine differenzierte Behandlung in innerstaatlicher öder zwischenstaatlicher Anwendung. Der Verfolg dieser These müßte der deutschen Bundesrepublik die Entschädigung für die Privateigentümer des in Oesterreich gelegenen Vermögens bringen.

Den Argumenten der Gegenforderungen ist mit dieser-Betrachtung kein Abbruch getan. Die Forderungen Oesterreichs übersteigen vermutlich sogar die Ansprüche, die die Deutsche Bundesrepublik aus welchen Titeln immer geltend machen könnte. Dennoch wäre die G e-g e n ü b erstellung der Forderungen korrekter und deren Kompensation für den Partner schlüssiger. Ein Inkasso auf Grund einer vorweggenommenen Zession wirkt peinlich, auch wenn die Peinlichkeit auf höherer Ebene dem einzelnen weniger zum Bewußtsein kommt. Ressentiments mögen überflüssigerweise gegenseitig, beziehungsweise gegenwärtig hier und dort bestehen, für eine noble Lösung von österreichischer Seite sprechen jedoch alle Gründe: das Opportunitätsprinzip, weil Oesterreich die Gelegenheit, mit Deutschland ins reine zu kommen, nützen, das Utilitätsprinzip, weil Oesterreich auf zukünftige Vorteile nicht verzichten und Nachteile vermeiden sollte, nebst vielen anderen Gründen aber last not least das Recht.

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