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Achtung: Bombenschaden!

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In der Einleitung zum österreichischen Kriegssachschadengesetz vom 25. Juni 1958 heißt es: Das Komitee ist „auf Grund seiner Beratungen zur Auffassung gelangt, daß ungeachtet der Tatsache, daß eine staatsvertragliche Verpflichtung zur Regelung der Kriegssachschäden nicht besteht, aus sozialen Erwägungen wenigstens für gewisse Kategorien Entschädigungsleistungen aus Bundesmitteln erbracht werden sollen".

Mit dieser Einschaltung: „ungeachtet der Tatsache, daß . ..“ scheinen die Väter dieses Gesetzes wie mit einer leichten Handbewegung über etwas hinwegzugehen, was für das Gesetz von höchster Wichtigkeit ist. Diese Erwähnung gibt unmittelbar Anlaß, sie auf ihre Stichhältigkeit hin näher zu untersuchen. Es ist nämlich von grundlegender Bedeutung, ob die Entschädigung auf einem Rechtsanspruch beruht oder aus einem freien Akt sozialen Mitempfindens hervorgeht.

Die Geschädigten waren in Oesterreich nach dem Kriege von der Regierung mit ihren Ansprüchen an (las Deutsche Reich verwiesen worden. Begründet wurde dies sowohl mit der alleinigen Verantwortlichkeit des Reiches hierfür als auch mit der deutschen Kriegssachschadenverordnung vom November 1940. Oesterreich hat diese Verordnung im §33 des Wohnhauswiederaufbaugesetzes vom 16. Juni 1948 aufgehoben. Die Aufhebung wurde mit Rückwirkung auf den 27. April 1945 (Tag der Proklamation der Wiederaufrichtung Oesterreichs) ausgesprochen. Die schweren Folgen dieser rückwirkenden Aufhebung näher zu beleuchten, wäre einer eigenen Behandlung wert. Für uns ist es interessant, daß gerade durch diese Aufhebung das Vorhandensein dieses Rechtsanspruches der Geschädigten seine Bestätigung erfährt. Was nicht besteht, bedarf keiner Aufhebung. Diese Aufhebung wird zwar von manchen Juristen wegen formaler Einwendungen und besonders wegen der Rückwirkung als rechtsunwirksam bestritten, hat aber auf gar keinen Fall eine Wirkung auf die Rechtsansprüche aus ' dieser 'Verordnung gegenüber dem Deutschen Reich.

Eine zweite Bestätigung für das Bestehen dieses Rechtsanspruches auf Entschädigung findet sich im Staatsvertrag. Im Artikel 23, § 3, verzichtet Oesterreich auf alle Forderungen der Oesterreicher gegenüber Deutschland. „Dieser Verzicht umfaßt alle Forderungen hinsichtlich der während der Annexion Oesterreichs durch Deutschland erlittenen Verluste und Schäden.“ Darin sind unbestreitbar auch die Schäden durch die Hineinziehung in den Krieg inbegriffen mit dem Rechtsanspruch aus der deutschen Kriegssachschädenverordnung. Bestünde der Rechtsanspruch nicht, wäre der Verzicht überflüssig.

Was es zu diesem Verzicht Oesterreichs im Artikel 23 des Staatsvertrages zu sagen gibt, hat in der „Oesterreichischen Juristenzeitung“, 1958, Nr. 10 11, Universitätsprofessor Dr. Pfeifer dargelegt. Er hat hierbei zahlreiche Stellen aus Arbeiten angesehener Rechtsgelehrter des In- und Auslandes als Unterstützung seiner Ausführungen herangezogen. Für unseren Bedarf genügt es, einige Kernsätze aus dieser Abhandlung herauszuheben.

• Der Entschädigungsanspruch aus der deutschen Kriegssachschadenverordnung gegenüber Deutschland wird durch die Aufhebung im Wohnhauswiederaufbaugesetz nicht berührt. Dieser Rechtsanspruch auf Entschädigung stellt einen Vermögenstitel der Geschädigten dar.

• Die Verzichtserklärung im Artikel 23, § 3, des Staatsvertrages ist eine Enteignung der geschädigten Oesterreicher.

• Nach § 365 des ABGB ist aber eine Enteignung nur zulässig gegen eine angemessene Entschädigung. Durch die zwischenstaatlich abgegebene Verzichtserklärung übernimmt also der österreichische Staat ipso facto die innerstaatliche Verpflichtung zu angemessener Entschädigung der also enteigneten Bürger.

Diese Verzichtserklärung im Artikel 23 des Staatsvertrages begründet also im Einklang mit dem Staatsgrundgesetz, mit den Menschenrechten und der Europäischen Konvention als neuer Völkerrechtsauelle im Zusammenhang mit dem § 365 des ABGB die Verpflichtung der Re-

gierung, die durch die Verzichtserklärung enteigneten Staatsbürger angemessen zu entschädigen.

(Der Hinweis darauf, daß nur im Artikel 24 des Staatsvertrages eine Entschädigungspflicht Oesterreichs ausgesprochen wird, kann die obige Beweisführung nicht beeinflussen; denn im Artikel 24 ist nicht von Ansprüchen gegenüber Deutschland, sondern von Ansprüchen aus der Zeit nach Beendigung des Krieges die Rede.)

Wir erlauben uns an das Komitee der Regierungsparteien die Frage: Kann angesichts dieser Beweisführung noch die Auffassung aufrechterhalten werden, daß eine „staatsvertragliche Verpflichtung zur Regelung der Kriegsschäden“ nicht bestehe?

Es würden zwar diese Hinweise auf die Rechtsausführungen von Prof. Dr. Pfeifer vollends genügen die Verpflichtung Oesterreichs zu angemessener Entschädigung zu beweisen. Aber diese Verpflichtung erfährt noch eine recht eigenartige Beleuchtung durch die Tatsache, daß Oesterreich diesen Verzicht geleistet und gleichzeitig eine hohe Gegenleistung dafür angenommen hat. Oesterreich hat bekanntlich im Staatsvertrag die Milliardenwerte des Deutschen Eigentums zugesprochen bekommen. Wie soll man das verstehen: Einerseits ein solches Riesen vermögen als Gegenleistung für den Verzicht annehmen und anderseits den Enteigneten einen Rechtsanspruch auf die Gegenleistung absprechen?

Doch nicht nur die Verzichterklärung und die llebernahme des Deutschen Eigentums dienen dem Beweise für die Verpflichtung zu angemessener Entschädigung. Der Staatsvertrag enthält noch eine dritte Stelle, welche die Geschädigten als Beweis eines Rechtsanspruchs aus dem Staatsvertrag heranziehen können. Es wird nämlich im Art. 26, Abs. 1, den aus Oesterreich Ausgewanderten dieselbe Entschädigung zugesichert, „welche die österreichischen Staatsbürger generell bekommen“. Auch las;Kjiegs- sachschadengesetz vom 25. Juni 1953 nimmt im Abschnitt I, § 1 b, darauf Bezug. Diese Stelle im Staatsvertrag bedeutet eine Zusage, und für die Zusage ist ein bestimmtes Ausmaß festgesetzt: sie bekommen „dieselbe Entschädigung, welche die Oesterreicher generell bekommen". Diese lapidare Kürze läßt keine andere Erklärung zu, als daß bei Abschluß des Staatsvertrages zumindest auf Seite der Fordernden die generelle Entschädigung der Oesterreicher als eine solche Selbstverständlichkeit galt, daß sie keines wei-

teren Wortes bedurfte. Wie müßte die Vertragsklausel lauten, wenn ihr auch nur im entferntesten der Sinn einer eventuellen Möglichkeit gegeben werden könnte? Es handelt sich beim Staatsvertrag auch nicht um einen Handelsvertrag, so daß bei dieser Vereinbarung die Auslegung im Sinne einer Meistbegünstigungsklausel denkbar wäre. Wie müßte in solchem Falle die Textierung lauten? Uebrigens wird die Bedeutung dieser Zusage als Verpflichtung durch die Schaffung des KVSG vom 25. Juni 1958 selbst bewiesen.

Es ist kein Zweifel möglich, daß dieser Artikel 26, Absatz 1, die Entschädigung der Oesterreicher zur klaren Voraussetzung hat. Somit hat diese Zusage die Wirkung, daß damit die generelle Entschädigung der Oesterreicher vertraglich als Pflicht festgelegt worden ist. Selbst wenn Oesterreich keine andere Verpflichtung gegenüber den Geschädigten hätte, so hat es mit dieser Zusage an die Emigranten, also auf einem Umweg, eine Verpflichtung zur generellen Entschädigung der österreichischen Staatsbürger übernommen. Da bleibt nicht nur Platz offen für „soziale Erwägungen oder gewisse Kategorien".

Es ist gewiß nicht von ungefähr, daß gerade dieses Gesetz vom 25. Juni 1958 eine in' der Geschichte des österreichischen Parlamentarismus wohl einzig dastehende Kritik erfahren hat. In der Parlamentssitzung vom 15. Dezember 1958 hat NR Marchner (Mitglied des Komitees) laut stenographischem Protokoll in umfangreicher Rede den Versuch unternommen, sich von dem Gesetz zu distanzieren und es der Ministerialbürokratie anzulasten. Er muß aber zugeben: „Wir Nationalräte tragen allerdings dafür die Verantwortung.“ Und er fügt hinzu: „Wir müssen in uns die Einsicht wecken, daß diese Gesetze nicht bestehen bleiben können.“

Wenn es aber nun nicht möglich wäre, das Nationalratskotpitee dreifach aus dem Staatsvertrag selbst zu widerlegen, ja, wenn es einen Staatsvertrag gar nicht gäbe, wie stünde es dann um den Rechtsanspruch der Geschädigten auf Vergütung?

Noch lange vor dem Staatsvertrag hat ,der Verband der Bombengeschädigten auf den § 1044 des berühmten ABGB hingewiesen. Er lautet: „Die Verteilung von Kriegsschäden wird nach besonderen Vorschriften von der polit. Behörde bestimmt.“ Mit diesem Paragraphen trifft der Gesetzgeber die Verfügung, daß der Kriegsschaden nicht dem unmittelbar Betroffenen allein aufgelastet bleiben soll, sondern daß der Schaden des einzelnen auf die breiten Schultern der Allgemeinheit zu erteilen ist. Damit wird das gesetzmäßige Vorgehen in solchem Falle klar festgelegt. Es obliegt der Regierung die Pflicht, die besonderen Vorschriften für die Verteilung der Lasten zu erlassen.

Die geschädigten Oesterreicher können also sowohl aus dem Staatsvertrag als auch aus dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 einen Rechtsanspruch auf Entschädigung folgern.

Aber auch das ungeschriebene Recht, das Naturrecht, steht mit der ganzen Kraft aller unverbildeten Gewissen ganz auf seifen des Anspruches der Geschädigten auf Vergütung.

Der Bedeutung dieses naturrechtlichen Anspruches auf Vergütung ist in unserer Zeit ein Denkmal von weltgeschichtlicher Größe gesetzt worden. In Deutschland ist der Schaffung des Lastenausgleichsgesetzes eine breite Debatte über den Rechtsanspruch nach der Kriegs- schädenverordnung vom November 1940 vorangegangen. Dem ganzen Meinungsstreit, ob diese Verordnung für die neue Bundesrepublik verbindlich ist oder nicht, wurde von den Rechtsgelehrten ein Ende gesetzt mit der einmütigen Erklärung, daß unabhängig von jener Verordnung eine Verpflichtung des Staates, den Geschädigten zu helfen, bejaht werden müsse, soweit es die finanziellen Mittel erlauben. Und wie hoch hat die deutsche Regierung und die Volksvertretung diese Verpflichtung eingeschätzt? Sie haben dem deutschen Volk die Abgabe des halben 1948 gehabten Vermögens in 25 Jahresraten an einen Fond auferlegt, aus dem die Geschädigten Hilfe erhalten. Die Fondseinnahmen sind mit 84 Milliarden D-Mark präliminiert. Eine größere Leistung ist weder möglich noch denkbar.

Es berührt schmerzlich, wenn man daneben an die Einleitung zum österreichischen Kriegsschadenvergütungsgesetz denkt: „ . .. zwar keine vertragliche Verpflichtung, aber aus sozialen Erwägungen…"

Deutschlands Beispiel beweist es klar: Es gibt nur eine Schranke für diese Verpflichtung, das ist die Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit. Dem diesbezüglich in Oesterreich beliebten Einwand, daß hierfür kein Geld vorhanden sei, muß in erster Linie der Hinweis auf die Gegenleistung für den Verzicht im Staatsvertrag entgegengehalten werden.

Die Verpflichtung ist unbestreitbar. Die Gerechtigkeit fordert ihre Erfüllung.

Angesichts des Versagens des gesetzgeberischen Apparates wurde seitens der Bombengeschädigten unternommen, selbst einen entsprechenden Gesetzentwurf auszuarbeiten. Der Entwurf ist auch mit einer Berechnung des Erfordernisses ausgestattet und mit dem Vorschlag der möglichen Bedeckung. Möge also der Bombenschaden am Fundament des Staates raschest gründlich behoben werden.

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