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Osterreich am Tor der Weltpolitik

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Die Berliner Konferenz, in der als Verhandlungspunkt auch der österreichische Staatsvertrag auf der Tagesordnung stand, ist Mitte Februar 1954 an der von Außenminister Molo-tow gestellten Forderung gescheitert, im österreichischen Staatsvertrag sei zur Verhinderung eines neuen Anschlusses der Abzug der Besatzungstruppen der vier Mächte aufzuschieben „bis zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland“. Durch dieses Verlangen und durch kein anderes ist die Berliner Konferenz gesprengt worden, obwohl man so weit gekommen war, daß Außenminister Dulles erklärte, daß ohne jene ominöse Zeitbestimmung „der Staatsvertrag jetzt und an dieser Stelle unterzeichnet werden kann“. Die Verquickung des österreichischen Staatsvertrages mit dem Friedensvertrag für Deutschland, also mit einem der größten weltpolitischen Probleme, hatte das Ende der Konferenz herbeigeführt.

In der nunmehrigen Initiative der Sowjetregierung zur Wiederaufnahme des Oesterreichthemas ist die in Berlin erhobene Forderung fallengelassen und durch die Erklärung ersetzt, im Fall durch ein Mächteabkommen die Möglichkeit eines neuen Anschlusses Oesterreichs an Deutschland ausgeschaltet würde, könnte der Abzug der Truppen der vier Mächte aus Oesterreich erfolgen, ohne den Abschluß des Friedensvertrages mit Deutschland abzuwarten.

Diese Veränderung ein Jahr nach der niederschmetternden Enttäuschung von Berlin ist ein großes Ereignis, wenn sich in den Falten dieser Erscheinung nicht etwas Unwahres verbirgt, eine auf Täuschung berechnete Taktik, eines der vielen Spiele, in denen die friedenssehnsüchtige Menschheit genarrt wird. Auch gegenüber einem unbarmherzig harten Partner, wie Moskau es sein kann, wäre eine solche Annahme ein Affront, solange nicht ein Beweis für ihre Begründung vorliegt. Doch verknüpfte Molotow schon vor wenigen Wochen vor dem Obersten Sowjet seinen mehrere Aspekte in die Weltpolitik eröffnenden Vorschlag mit Voraussetzungen. Er verlangt die Sicherung, daß Oesterreich nicht irgendwie dem Anschluß verfalle.

In Moskau ist man sehr wohl darüber unterrichtet, daß in Oesterreich kein ernst zu nehmender politischer Faktor an den Anschluß denkt. Wenn trotzdem — auch für Oesterreich höchst erwünschte — Sicherungen gegen den Anschluß verlangt werden, so sind sie von anderen Adressen anzufordern. Es würde keine diplomatische Zauberei verlangen, daß unter den vier Mächten eine Konvention geschlossen werde, die eine gemeinsame Bürgschaft der territorialen und politischen Unantastbarkeit unseres kleinen Landes ausspricht. Dieses Oesterreich ist wirklich für die Erhaltung des europäischen Friedens keine Kleinigkeit, um die man sich zu bemühen hätte. Eine solche Viermächtekonvention wäre eine Friedensgarantie von allgemeiner Bedeutung. Sie kann durch den Artikel 4 des Staatsvertrages nicht ersetzt werden, denn dessen Textierung verpflichtet nur Oesterreich, „eine politische und wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland“ zu unterlassen, aber nicht die anderen Unterfertiger des Staatsvertrages. Für Oesterreich könnte es nur erwünscht sein, wenn durch die Mächte eine solche Bürgschaft seiner Unabhängigkeit und Freiheit zustande käme. Was es bedeutet, im Gefecht der Großmachtinteressen augenblicklichen Konstellationen überantwortet zu sein, hat unser Land 1938 bitter genug erfahren. Allerdings erwuchs daraus ein europäisches Geschick, das alle europäischen Mächte zu Teilhabern machte. Es würde auch künftig nicht anders sein. — Die Sowjetregierung verlangt aber auch von Oesterreich die Verpflichtung, keine Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen gegen irgendeinen Staat, der an der Befreiung Oesterreichs beteiligt war, und die Schaffung fremder Militärstützpunkte auf seinem Boden nicht zu dulden. Oeffentliche, mit Präzision gemachte Feststellungen, die Bundeskanzler Raab in der gleichen Richtung gemacht, haben den Willen Oesterreichs schon außer Streit gestellt. Abgesehen davon, daß die vieldeutige Bezeichnung „Koalition“ noch einer Definition bedürftig ist. Das begonnene Gespräch zwischen Wien und Moskau wird den Begriff zu klären haben.

Ohne einem rosaroten Optimismus zu verfallen, darf man darin, daß diese Gespräche um sehr konkrete Dinge begonnen haben, nach langer, tief beschatteter Zeit eine Erhellung der Horizonte erblicken. Wenn etwa noch in Bälde die Pariser Verträge ausnahmslos gefertigt würden, hält Churchill in seiner am 14. März im englischen Unterhaus gemachten vielsagenden Eröffnung eine Viererkonferenz der Mächte auch auf breiter Basis für möglich.

Es ist trotz aller bitteren Erfahrungen nicht vorstellbar, daß dann die Aufgabe, die endliche Befreiung Oesterreichs herbeizuführen, abermals beiseite geschoben werden könnte.

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