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Der Test

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Aus einzelnen offiziösen Kommentaren, die aus dem Westen der an Oesterreich gerichteten Note des Kremls gewidmet werden, spricht Mißtrauen. Eine leidenschaftslose französische Stimme — „Le Monde“ — hat nicht unrecht, wenn sie es für nützlicher ansieht, in Moskau zu erkunden, wie weit die in gewissen Zeichen angedeutete Entspannung reiche, anstatt sofort wieder nach machiavellistischen Manövern der Sowjetunion auszuschauen.

Nüchtern betrachtet — was ist geschehen? In ihrer Note ersucht die Sowjetregierung um Antwort, ob Oesterreich noch weiter den sogenannten Kurzvertrag unterstütze und Verhandlungen über den Staatsvertragsentwurf von 1947 für unmöglich halte, obwohl man schon über den größten Teil seiner Bestimmungen bereits übereingekommen sei. Es ist richtig, daß aus den ursprünglichen 55 Artikeln des Entwurfes durch Fallenlassen, Zurückziehungen und durch erzielte positive Vereinbarungen die Zahl der noch unerledigt und strittig gebliebenen sich auf einen zahlenmäßig kleinen Rest verminderte. Doch unter diesen acht befindet sich der umfangreichste und für Oesterreich drückendste Artikel 35, der aus den unglücklichen Bestimmungen der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 unter dem Titel „Deutsche Vermögenswerte in Oesterreich“ erwuchs.

Zwischen einem Vierteltausend Ministerund Beauftragtenkonferenzen hat es eine kurze Zeitspanne gegeben, in der Hoffnungen bestanden, daß man auch diese steilste aller Wegstrecken überwinden werde. Noch am 15. Juni 1949 hatte vor dem französischen Ministerrat Außenminister Schu-man sich zu der Zuversicht bekannt, daß bis zum nächsten 1. September die volle Einigung der vier Mächte um den Staatsvertrag erfolgen werde. Daß Schuman sich in seiner Annahme irrte, wurde für Oesterreich eine der herbsten Enttäuschungen. Gelungen ist damals, aus den gefährlichen Fanggruben des Vertrages, aus den fünf „Listen“ der von der Sowjetunion beanspruchten Vermögenswerte an Oelfeldern, Oelschurfgebieten, Raffinerien und Oellagern, eine Vereinbarung zu retten, welche die Verteilung der Oelfelder und die Zahlungsbedingungen der an die Sowjetunion für verbleibende Werte sogenannten „deutschen Eigentums“ zu leistenden 150-Millionen-Dollar-Ablöse betraf. Einer Verständigung über die 26 bis nach Mittelsteiermark hineinreichenden, sehr ausgedehnten sowjetischen Schurfrechtansprüche schien man sich zu nähern.

Doch die bescheidenen Hoffnungen verblaßten, als die ostasiatischen Ereignisse ihre grellen Lichter in die internationale Atmosphäre zu werfen begannen und namentlich in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten die Gegensätze sich verschärften.

Nf.ch drei Jahren vergeblichen Bemühens, sozusagen aus einem unlöslich scheinenden Konflikt geboren, entstand 1952 der Kurzvertrag aus amerikanischer Initiative. Er war ein aus vielen Mißerfolgen entsprungener müder Versuch, der Erstarrung der Materie zu entrinnen. Man hatte nicht nur ein österreichisches, man hatte ein eminent europäisches Problem nicht bewältigt.

Nun ist Oesterreich angesprochen, durch

seinen Verzicht auf eine Behandlung des Kurzvertrages eine Wiedereröffnung der Staatsvertragsverhandlungen zu erleichtern. Es wäre Leichtfertigkeit, die betonten Schlußfolgerungen der Moskauer Note zu überhören:

„Es ist selbstverständlich, daß ein Verzicht auf die Behandlung des Entwurfes des Kurzvertrages den vier Mächten ermöglichen würde, die Beratungen über die Frage des Staatsvertrages mit Oesterreich wieder aufzunehmen, um über die unerledigten Fragen, die mit dem Abschluß dieses Vertrages in Zusammenhang stehen, eine Einigung zu erreichen.“ Zum ersten Male ist Oesterreich, das bisher während aller Vertragskonferenzen nur ein Zaungast, ein nicht zum Konferenztisch zugelassener, vom unmittelbaren Austausch der Argumente, von der direkten Aussprache über seine Last, über sein Leid

und über seine Lebensrechte ausgeschlossener Außenseiter war, zu einer aktiven Mitwirkung an dem Fortgang der seinen Staatsvertrag und sein Schicksal betreffenden Verhandlungen ermuntert.

Der Kurzvertrag ist dem Fortgang der Verhandlungen im Wege. Niemandem fällt ein Fleck auf die Ehre, wenn das schon von allen als unbrauchbar erkannte Instrument auf die Seite gelegt wird. Der von den Westmächten verlangte Test an dem Aufrichtigkeitsgehalt des von Moskau angedeuteten Entgegenkommens — am Kurzvertrag ist er nicht anwendbar, weil dieser über die kardinalen Streitfragen des 35. Artikels schweigt — wird beweiskräftig versucht werden, wenn man ihn an den kritischen Stellen des Staatsvertrages von 1947 erprobt, an denen vor vier Jahren die Verständigung scheiterte.

Bei kühler Betrachtung der Dinge kann man sagen: Es ist möglich, daß sich an diesem Test große Dinge für den Weltfrieden entscheiden. £.

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