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Japan und Österreich

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Ueber den Pol geht der Flug, dem Lande der Sonnenkönigin zu. Sonnenaufgangsland, Nihon, auch Nippon, heißt das Land, das seine Gründung auf den 11. Februar 660 vor Christus durch einen Sproß der Sonnenkönigin, den ersten Tenno, Kaiser, zurückführt.

Nun lädt der Nachkomme der Sonnenkönigin den österreichischen Kanzler zum Diner.

Oesterreich ist nicht mehr ein Reich,'in dem die Sonne nicht untergeht. Japan ist ein Reich, das für seine rund 90 Millionen Menschen schwer kämpfen muß um das tägliche Brot: auf erdbebenerschüttertem, von Springfluten bedrohtem Grund, zwischen der roten Sonne Chinas und den mächtigen kreisenden Sternen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Wiener Bundeskanzler kommt aus einem Lande, dessen Krisen seit Jahrhunderten seismo- graphisch die Erdbeben unseres Kontinents, Europas, angezeigt haben. Im Hochmittelalter, als Päpste und Kaiser um die Vorherrschaft in Europa rangen, im 16. Jahrhundert, im Zeitalter Napoleons, 1914 und 1938. 1955 wies der österreichische Staatsvertrng, der erste internationale Vertrag der großen, rivalisierenden Weltmächte unserer Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, auf das Morgenrot eines neuen Tages hin.

Es gibt viel Unvergleichliches zwischen dem großen Japan und dem kleinen Oesterreich. Zwischen den beiden Nationen liegen Kontinente, rauschen Weltmeere. Japans Inseln atmen Asien ein und aus. Kunst, Kultur und Religion der Japaner erheben sich im Lichte der großen Mutter Asien über die Niederungen des täglichen Lebens, das überall grau und schwierig ist, wie der Fudschijama über den Dunst der Ebene, schneeigen Hauptes, in reinere, höhere Sphären. Oesterreich hat an allem Anteil, was im Gedränge der eng sich berührenden europäischen Völker verschuldet und geschaffen wird.

Dem Unvergleichlichen gesellt sich das Vergleichbare, ja Verwandte. Weder Japan noch Oesterreich, können ihre Sorgen und Nöte überfliegen. Hart ist der Daseinskampf für das japanische Volk, dem die nahen Großmärkte in China versperrt sind und in anderen Kontinenten durch schwere Konkurrenz erst erkämpft werden müssen. Exportsorgen bekümmern die größere japanische ebenso wie die kleinere österreichische Industrie, die in das neue Jahr 1959 nicht ganz ohne Bedenken gehen kann. Von einer gesunden Wirtschaft und einer weitblickenden, voraussehenden Wirtschaftsführung hängt unendlich viel ab für das Schicksal beider Völker. Japans Wirtschaftsführer haben es verstanden, nach dem Debakel des zweiten Weltkrieges und dem Scheitern der vorhergehenden Versuche, einen großjapanischen Wirtschaftsraum in Südostasien zu schaffen, erstaunlich schnell umzuschalten und das Beste aus einer erschwerten Situation herauszuholen.

Der österreichische Bundeskanzler trifft als ein Mann der Wirtschaft und der Staatswirtschait in Japan Männer, die umsichtig die ganze Weltwirtschaft beobachten.

Es ist für Oesterreichs Zukunft lebenswichtig, eigenständige Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas aufzubauen. Die politische Unsicherheit vieler Länder, die politische Abgeschlossenheit anderer Länder macht es sehr schwer, diese auf lange Sicht so notwendigen Beziehungen auszubauen. Oesterreich darf hier auf ein gewisses Verständnis Japans hoffen, da beide einander auf der i Landkarte ferne Länder und Völker durch eine besondere geographische Lage schicksalsver- ‘ bunden sind. Beide liegen in Zonen, in denen die führenden Weltmächte aufeinanderstoßen. Beide haben ein eminentes, wenn man so sagen darf persönliches Interesse an der Erhaltung des ' Weltfriedens, besser: an der Ueberwindung der Aera des kalten Krieges, an der Schaffung eines wirklichen Friedens, eines Weltfriedens, der allein auf Dauer Weltwirtschaft ermöglicht, ohne die weder Japan noch Oesterreich leben können.

Es ist heute nicht passend, weltpolitisch von einer „Dritten Kraft“ zu sprechen. Selbst der andere europäische Staatsmann, der gegenwärtig Asien bereist und der öfter Projekte einer solchen Mittlermacht in früheren Jahren in der Weltöffentlichkeit lanciert hat, Marschall Tito, ist sehr still in dieser Hinsicht geworden. Die Stunde ist bereits weiter vorgeschritten. Die ganz großen Mächte der Erde müssen sich direkt, von Angesicht zu Angesicht, treffen und auseinandersetzen.

Diese Tatsache entrückt die Begegnungen von der Art des österreichischen Staatsbesuches in Japan dem Dunstkreis der Verdächtigungen, so, als würde hinter dem Rücken der Weltmächte ein ihnen konträres Spiel gespielt. Nein, das ist es nicht. Vor den Augen der ganzen Welt demonstriert dieser Freundschaftsbesuch eben dieser Welt, wie sehr heute ein Volk am Rande Asiens und ein Volk in der Mitte Europas an der Schaffung gesünderer und intensiverer wirtschaftlicher und politischer Beziehungen im Geiste der Partnerschaft interessiert sind und daß beide bereit sind, dafür zu arbeiten.

Was hierbei Oesterreich betrifft: Es ist zu hoffen, daß auch die alten kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen, die Japans intellektuelle Jugend mit Oesterreich und seine musische Gesellschaft mit der Kultur und vor allem der Musik unseres Landes verbinden, erneuert und verstärkt werden. Der Ton, der hier die Musik macht in den Beziehungen zwischen einem alten Volke Asiens und einem alten Volke Europas, könnte anziehend, vorbildlich, ermutigend wirken: für künftige Beziehungen interkontinentaler Art, zwischen europäischen und außereuropäischen Völkern. Als einen verheißungsvollen Vorklang in dieser Hinsicht begrüßt das österreichische Volk dankbar die ehrende Einladung aus Tokio nach Wien und möchte gerne den Neujahrsflug des Kanzlers als den Flug einer Schwalbe ansehen, die zwar keinen Weltfrühling machen kann, ihn aber doch ernst und entschieden mit vorbereiten möchte.

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