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„…du, glückliches Österreich, arbeite!”

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Während in Wien, in frühsommerlicher Heiterkeit des Wetters, ein internationales Publikum sich im Glanz der Waren und des Reichtums sonnte, in diesen Tagen der Wiener Märzmesse 1957, fuhren in Budapest wieder Panzer auf, vernahm eine eingeschüchterte und verbitterte Bevölkerung die Nachrichten von neuen Prozessen, von der Wiedererrichtung der Konzentrationslager, der „Volkssicherheitslager”, der Aburteilung zwölfjähriger Schüler: das alles als Umrahmung der tristen Staatsfeiern des Regimes zum Jahrestag der Revolution von 184 . Neu erhebt sich der Eiserne Vorhang längs der österreichischen Grenze; drakonische Gesetze und Absperrmaßnahmen dem Ausland gegenüber treten wieder in Kraft. Schweigen in Budapest, Prag, Bukarest. Schweigen um Ungarn.

Und doch Das ist nicht alles. Billig wäre es, zu Mgefi: „Der Schein trügt.” Der Terror ist kein Schein, sondern bittere Wirklichkeit; er ist aber nicht die Wahrheit: er will und soll etwas verbergen, was die schwachen und geschwächten Machthaber eben nur durch die Schauprozesse in Ost-Berlin und Budapest und durch die laut kreischende, mißtönende Funk- und Pressepropaganda überdecken möchten. Das Rad der Geschichte steht nicht still und läßt sich nicht wirklich zurückdrehen. Osteuropa bleibt in Bewegung. Und Oesterreich steht im Drehpunkt dieser in Bewegung geratenen Welt in Südosteuropa. Viele Gefahren, viele Chancen sind damit verbunden.

Wer in einer in so großen Prozessen des Lebens, der Veränderung befindlichen Welt schlafen oder auch nur sich auf den Faulpelz legen will, wer da meint, nicht mitbetroffen zu sein, gefährdet sich selbst und zündet letztlich das eigene Haus an. Nur Wachheit, Mut und tägliche Bereitschaft, seine Pflicht zu erfüllen, kann da dem Manne helfen, der, umgeben von Bränden, sein Haus zu bestellen hat: Oesterreich.

Osteuropa in Bewegung. Die Vorgänge in Polen zeigen, wie heftig die „alte Welt”, verkörpert durch den Stalinismus und das Angst- und Kraftmeiertum zentralistischer Parteibürokraten, und die „neue Welt”, vertreten durch die Massen des Volkes und viele kleine Gruppen sehr verschiedener Herkunft und Ziele, in Osteuropa miteinander in neuen Gefechten ringen. Gomulka, gewarnt und gestützt von seinen chinesischen Freunden, hat alte Stalinisten in seine Regierung wiederaufgenommen, hat Kädärs Regierung gutgeheißen. Gleichzeitig verhandeln seine Wirtschaftsdelegationen im Westen, und die USA haben ihnen eine starke amerikanische Beteiligung an der Posener Julimesse zugesagt, der größten Industriemesse des näheren Ostens. Zu Ostern aber wird ranz Polen die Osterglocken der freien Welt hören und damit seinen Glauben an Auferstehung kräftigen: Kardinal Wyszynski und viele polnische Bischöfe werden in Rom sein und die mit der Regierung Gomulka abbesprochenen Verträge zwischen Kirche und Staat dem Heiligen Stuhl unterbreiten.

Prag zetert im Rundfunk g.egen Wien, nimmt programmgemäß teil an der östlichen Presse- und Funkpropaganda gegen Oesterreich, erfüllt mit mäßiger Begeisterung sein Plansoll, knüpft aber gleichzeitig neue Beziehungen zu Polen an und sieht interessiert nach Bulgarien, wo die treu-kommunistische Regierung, bemüht, sich genau nach Moskau auszurichten, dennoch für intensivere Beziehungen zu Belgrad eintritt.

Belgrad! Heute, in diesem Frühjahr 1957, ist der für Europa so beachtenswerte Fall eingetreten, daß die alten Rivalen von vorgestern um die Herrschaft Südosteuropas, Belgrad und Wien, gleichzeitig im Wortfeuer Moskaus liegen. Die Angriffe der „Prawdä” gegen den jugoslawischen Außenminister Popovič, die Angriffe der Presse des Ostblocks von Pankow bis Bukarest gegen Titos Regierung, treffen sich gleichzeitig mit den Angriffen gegen einzelne österreichische Regierungsmitglieder und gegen die Führung der Politik Oesterreichs heute. Wo ist hier das vergleichbare Moment im Unvergleichlichen zu erkennen?

Das Unvergleichliche ist bekannt genug — der kommunistische Militärstaat Jugoslawien läßt sieh mit dem kleineren, schwächeren, viel weniger aktiven freiheitlichen Oesterreich nicht vergleichen. Das Vergleichenswerte aber wird zuwenig beachtet. Belgrad und Wien erscheinen, teils durch ihre Politik (das geht vor allem Belgrad an), vor allem aber durch ihre bloße Existenz, als Gewährsmann, Pfeiler, Pole der nicht mehr abzubremsenden Wandlung der osteuropäischen Verhältnisse. Moskau greift Jugoslawien an, so Popovics These seiner „blocklosen Außenpolitik” und die Bemühungen der jugoslawischen Wirtschaft, an den Integrationsbestrebungen der westeuropäischen Wirtschaft teilzunehmen, weil es weiß, daß auf die Dauer weder Bukarest noch Budapest noch Sofia noch Prag von dieser westeuropäischen und westlichen Wirtschaft fernzuhalten ist. Gerade weil also Osteuropa in Bewegung bleibt, und diese Bewegung von Moskau auf lange Sicht nicht aufgehalten werden kann, hat nun der zweite, unabhängige Pol am Rande Osteuropas eine so große Bedeutung: Oesterreich. Das propagandistische Störfeuer gegen Wien soll, wie die internationale Presse seit längerem bemerkt hat, wohl auch den Besuch Mikojans in Wien „richtig” vorbereiten. Oesterreich wünscht mit Recht Erleichterungen der sowjetischen Verpflichtungen, Verringerung der Kontingente der Lieferungen auf Grund des Staatsvertrages. Moskau ist hier in einer gewissen Klemme. Der Kreml weiß genau so gut wie der Ballhausplatz, daß Oesterreich seine Neutralität nicht preisgibt, daß es für keinerlei Abenteuer zu haben ist. Der Kreml sieht aber das Erstarken der österreichischen Wirtschaft mit einem lachenden und einem trüben Auge: einerseits kann er selbst daraus manche Vorteile ziehen und sich österreichischer Verbindungen zur freien Welt bedienen; anderseits bereitet ihm die Faszinationskraft Oesterreichs in Budapest, Prag, Bukarest, auf dem ganzen Balkan wenig Freude. Hinter den beharrlich wiederholten Angriffen auf Wien steckt ja die Anerkennung und Sorge: dieses kleine Land hat sich wirt schaftlich und politisch erstaunlich konsolidiert und bildet durch das gesunde und gelassene Selbstvertrauen seiner Bevölkerung heute einen Anziehungspunkt, der sich nur mit der Wirkung „Wiens” auf die Sprößlinge des ewig unruhigen und sozial unbefestigten Osteuropa vor 1914 vergleichen läßt. Oesterreich wirkt heute. Es strahlt echte Wirkungen aus. Nicht durch Propaganda, sondern durch seine Existenz. Diese echten Strahlungen treffen das Unterbewußtsein von Menschen in Osteuropa, die durch die Schule des Hasses und der Verachtung Ältösterreichs gegangen sind. Um so gefährlicher, da unabsichtlich wirkend, erscheinen diese Strahlungen gerade jenen Angstmachern und Meistern gelenkter Meinungsbildung, da sie sich als stärker, natürlicher, unaufhaltsamer als deren Planungen erweisen. Oesterreich tritt heute geschichtlich den Wahrheitsbeweis an für das Recht und den guten Sinn der altösterreichischen Ordnung Südosteuropas.

Das aber ist eine eminent politische und damit gefährliche Sache.

Wir werden uns aus dieser Situation nur her- ausziehen, wenn wir ihr gewachsen sind, wenn wir sie richtig erkennen: Oesterreich wirkt intensiv in seine Umwelt hinein, wenn es lebt, wenn es sich als lebensfähig, lebenswillig erweist. Es ist dann ein Beispiel und ein Vorspiel, das zur Nachahmung einladet. Oesterreich als ,keine eigenständige, unabhängige Existenz ist also Für ganz Osteuropa ein erregendes Politikum. Für uns muß das heißen: wir müssen innenpolitisch alles tun, was in unseren Kräften steht, um diese unsere Existenz zu erhalten, zu kräftigen und auszubauen. Innenpolitik ist, richtig verstanden, unsere erste Außenpolitik. Oesterreichische Innenpolitik, als ein Kampf um Selbsterhaltung und Selbstbehauptung, ist vor allem ein Kampf um wirtschaftliche Freiheit und Gerechtigkeit. Es ist kein Zufall, daß Kanzler, Finanzminister, Gewerkschaftsführer und die wichtigsten Parteipolitiker gerade jetzt primär mit wirtschaftlichen Fragen zu tun haben. Gelingt es nicht, die Fragen der Kreditierung der verstaatlichten Industrie, des Deutschen Eigentums, der Beteiligung breitester Bevölkerungsschichten an der wirtschaftlichen Erschließung des Landes und der Finanzierung der Großbetriebe der früheren USIA zu lösen, dann gefährdet Oesterreich seine Unabhängigkeit und behindert den an sich schon so schwierigen Prozeß der positiven Wandlung Osteuropas. Gelingt es nicht, ein wirtschaft liches Programm aufzubauen, das von den Regierungsparteien, den Gewerkschaften und Unternehmern verantwortet und durch Disziplin und Selbstzucht der Bevölkerung getragen wird — wird also die Lohn-Preis-Spirale, wie in anderen Ländern, neu angezogen —, dann rauben wir uns, unseren Kindern, aber auch unseren Nachbarn in Ungarn und ganz Osteuropa die Hoffnung, freier zu werden als bisher. Der erste und zunächst wichtigste konkrete Beitrag, den Oesterreich heute zur freiheitlichen Entwicklung Osteuropas zu leisten hat, ist durch eine wirklich konstruktive Zusammenarbeit der Parteien, der wirtschaftlichen Interessenverbände und der Bevölkerung in der Lösung der dringenden wirtschaftlichen Aufgaben zu sehen. Er muß die gesunde Basis legen für den positiven Ausbau der österreichischen Neutralität: zum Wohle aller unserer Nachbarn in Osteuropa und darüber hinaus.

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