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Blauweiß und Rotweißrot

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Der Staatsbesuch des bayrischen Ministerpräsidenten Dr. Hanns Seidel in Wien in der vergangenen Woche wurde mehrfach mit den Worten kommentiert: „Zwischen Bayern und Oesterreich gibt es keine Probleme."

„Zwischen Bayern und Oesterreich gibt es keine Probleme." Erinnern wir uns, um den guten Sinn dieser Worte auszukosten, doch einen Augenblick daran: Wie viele Jahrhunderte hindurch gab es Krieg zwischen Bayern und Oesterreich, noch unter Maria Theresia, bis sich das alles zu wenden, zu lösen und neu zu knüpfen begann, mit einer Ehe, einer Liebeshe!rat, die heute noch im Film die Publikümer beglückt: „Sissy", Elisabeth wird Kaiserin von Oesterreich.

„Zwischen Bayern und Oesterreich gibt es keine Probleme.“ Halten w.i ei. n Herzschlag an und schöpfen wir einen guten Schluck Heiterkeit und gute Selbstbesinnung aus dieser Tatsache: aus alten „Erbfeinden", die sich da viele Jahrhunderte lang bitter befehdeten, ist eine Partnerschaft geworden, die in unserem mitteleuropäischen Raum noch weit mehr Positives schaffen kann, wenn sie recht verstanden und recht entwickelt wird.

Das Bundesland Bayern ging 1945 aus der deutschen Katastrophe als einziges intaktes, in seinen Grenzen unversehrtes und geschlossenes Land des Reiches hervor. Wohl war München durch Luftangriffe schwerst getroffen worden, im Ganzen aber ließ sich bald feststellen: Bayern hatte den Krieg gut überstanden. Und Jie kerngesunde Volkskraft des bayrischen Volkes erhielt bald noch wertvolle Zufuhr von dynami-

sehen Kräften durch Flüchtlinge aus dem deutschen Osten, aus dem Sudetenland und nicht zuletzt auch aus Berlin und dem einst gehaßten „Preußen“-Land.

Der Wiederaufbau wurde zunächst durch zwei Tatsachen entschieden gefördert: Bayern hatte nur eine einzige Besatzungsmacht, die Amerikaner, die sich erstaunlich schnell und gut einlebten, so daß für nicht wenige Amerikaner München, ihr München, zur geliebtesten Stadt in Europa wurde. Bayern besaß ferner einen Grundstock von Politikern, die sich mit der bereits Legende gewordenen Zähigkeit des ,Ochsensepp" (diesen Ehrennamen erhielt er bekanntlich von der SS), des bekannten Ministers und Politikers der CSU, Dr. Joseph Müller, durch das Dritte Reich durchgeschlagen hatten. Es ist eben kein Zufall, daß einige der vitalsten und prominentesten Erscheinungen des Bonner Kabinetts Bayern von Haus aus sind und bleiben. Wobei die Weltöffentlichkeit sehr bald überrascht sehen konnte, daß es diese alten großen Bayern, aus der Generation der Schaffer, Erhard und Müller, verstauen, jpngę Köpfe liochkomraen zu lassen, ja zu fördern, die heute in der deutschen Politik bereits erste Rollen spielen, wie Franz Joseph Strauß und Jaeger. Wer in Bonn mitspielen will, muß in jeder Weise mit Bayern rechnen.

Dazu kommt noch eine Drittes. Trotz der auch in Bayern nicht fehlenden innenpolitischen Kämpfe kam es hier zu Kontakten zwischen den Politikern der stärksten Parteien, der CSU und der Sozialdemokraten, die sich trotz aller Belastungen in den letzten Jahren, seit dem Zusammenbruch der Großen Koalition 1954, erhalten haben und in der Bundesrepublik Deutschland ihresgleichen nicht haben und mehrfach den Blick nach dem Nachbarland Oesterreich öffneten.

Es ist also in jeder Hinsicht für Oesterreich, und nicht nur für sein neues Verhältnis zum neuen Deutschland, bedeutsam, daß sein nächster deutscher Nachbar ein so schweres Gewicht in die deutsche Waagschale zu legen vermag: ein gesundes Volk mit einem Corps von Politikern, denen niemand den gesunden Menschenverstand, ein Wissen um Maß und Mitte absprechen kann. Wenn es je wieder zu einer Stärkung des gerade auch aus österreichischen Perspektiven her wichtigen innerdeutschen Föderalismus kommen sollte, dann hat er hier in Bayern lebenskräftige Zellen.

Oesterreich hat also guten Grund, sich den freundschaftlichen Beziehungen zu Bayern noch mehr als bisher zu widmen. Wirtschaft und Kultur stehen dabei im Vordergrund. Die Stichworte, die beim Staatsbesuch Dr. Seidels in Wien gefallen sind, sind vielsagend: Rhein-Main-Donau- Kanal, Ausbau der Straßen und der Industrie im Mühlviertel, die Donau-Kraftwerke, Zusammenarbeit in der Nutzung der Atomenergie, der Brenner-Tunnel.

Vergessen wir hierbei nicht ganz die Kultur. Eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen Münchens und Wiens etwa könnte uns hier in Wien nicht schaden, anderseits wäre zu erwägen, ob zu den mit großem Erfolg durchgeführten gemeinsamen Veranstaltungen der Pariser und Münchner Universität im Rahmen der Münchner „Französischen Wochen“ nicht ein Pendant geschaffen werden könnte.

„Zwischen Bayern und Oesterreich gibt es keine Probleme.“ Verstehen wir also diesen Satz richtig; er bedeutet dann die Verpflichtung, ein gutnachbarliches Verhältnis zu einer lebensvollen Partnerschaft äuszubauen.

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