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Verloren, aber nicht vergessen

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VORDERÖSTERREICH. Eine geschichtliche Landeskunde. Herausgegeben vom Alemannischen Institut

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VORDERÖSTERREICH. Eine geschichtliche Landeskunde. Herausgegeben vom Alemannischen Institut

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Freiburg unter Leitung von Friedrich Metz. Verlag Rombach, Freiburg im Breisgau. 2 Bände. 756 Seiten, 280 Abbildungen. Preis 48 DM

Vor einiger Zeit konnte der Schreiber dieser Zeiler in der schönen Hauptstadt Luxemburgs folgendes erleben: Auf einem Spaziergang durch die Stadt entdeckte er eine „Avenue Marie-Thėrėse“ und volle: Verwunderung fragte er seinen Begleiter: „Ist diese Straße vielleicht nach unserer Kaiserin Maria Theresia benannt?“ Voller Verwunderung frag nun diese: zurück: „Warum sagen Sie ,Ihre‘ Kaiserin? Maria Theresia war doch genau so unsere Herrscherin wie die Ihrige, und Luxemburg erlebte unter ihr sogai seine schönste Zeit." Und tatsächlich fand der Besucher Luxemburgs in einem wissenschaftlichen Buch über die Geschichte dieses Landes am nächsten Tag folgenden Satz: „La figure maternelle de Marie- Thėrese reprėsente pour le duchė un legendaire age d'or." Als „legendäres goldenes Zeitalter“ lebt somit die österreichische Herrschaft in der Erinnerung der Luxemburger weiter.

Wer das große und großartige Werk über Vorderösterreich, das vor kurzem von dem Alemannischen Institut in Freiburg unter Mitwirkung einer Reihe namhaftester Gelehrter (darunter der Oesterreicher Hurter, Kramer, Regele, Stolz) herausgegeben wurde, durchliest, gewinnt fast auf jeder Seite dieses zweibändigen Werkes den Eindruck, daß sich auch Vorderösterreich der Zeit, da es zum Habsburgischen Reich gehörte, wieder als einer besonders glücklichen Epoche seiner Vergangenheit, als eines goldenen Zeitalters erinnert. (Wie sollte der Leser zum Beispiel anders einen Satz deuten wie den folgenden: „Der eigentliche Tiefstand begann für Konstanz mit dem Uebergang aus der österreichischen Herrschaft an das Großherzogtum Baden.“)

Die habsburgischen Votlande umfaßten eine riesige Ländermasse, allerdings nicht in Form eines geschlossenen Territoriums, sondern als Streubesitz, der weite Teile der Schweiz, Schwabens und des Elsaß' umfaßte und bis zur Burgundischen Pforte reichte. Städte wie Konstanz, Freiburg, Rottenburg waren einstmals österreichisch. Immer wieder versuchten die Habsburger, diesen Streubesitz durch Neuerwerbungen in ein geschlossenes Territorium überzuführen, um eine Art schwäbisches Herzogtum bilden zu können, das die Grundlage für ihr deutsches Königtum hätte abgeben können. (Womit die Habsburger eigentlich nur die alte staufische Politik fortsetzterr.) Unter Maximilian L und Karl V. wäre, dieser Traum, fast Wirklichkeit geworden, doch dann zerrann er wieder. Und von den „Vorderen Landen“ (der Name taucht zum erstenmal 1444 auf) bröckelte langsam ein Stück nach dem anderen ab, zuerst an die Schweiz, dann an Frankreich. Was wäre aus der Geschichte geworden, hätte dagegen Oesterreich in Schwaben endgültig Fuß fassen können! Nie hätte es einen Siebenjährigen Krieg, nie ein Königgrätz gegeben.

Zum Unterschied von seinen vorderländischen Besitzungen in der Schweiz und im Elsaß konnte Oesterreich dagegen seinen Besitz in Schwaben bis zu den napoleonischen Kriegen erhalten. Beim Wiener Kongreß wollte Metternich, der durch seine Mutter ein Vorder-Oesterreicher war, zumindest den Breisgau wieder für Oesterreich gewinnen, doch scheiterte sein Plan an dem Widerstand der Wiener Militärpartei. Leider…

Als letztes Stück der Vorlande blieb nur Vorarlberg bei Oesterreich. Fast allerdings hätte es diesen letzten Rest eines einst großen Besitzes auch noch 1919 verloren, doch rettete damals die Weigerung der Schweiz, Vorarlberg sich einzugliedern, dieses schöne Land für Oesterreich.

Unendlich viele Zeugnisse erinnern heute noch in den elsässischen und schwäbischen Vorlanden an die österreichische Herrschaft, Zeugnisse auf dem Gebiete der Kunst, der Wirtschaft, der Kultur. So trägt der Rektor der von Oesterreich gegründeten Freiburger Universität eine Kette, auf der das Bild Maria Theresias geprägt ist. Als einziges deutsches Land besitzt der Breisgau einen „Religionsfonds“. Und erst 1955 (!) wagte es die Freiburger Kirchenbehörde, das josephinische Verbot der Mitternachtsmette zu Weihnachten aufzuheben.

Durch Jahrhunderte schickten die Vorlande ihre besten Leute in die österreichischen Dienste: als Soldaten, als Gelehrte, als Geistliche, als Siedler. Einer der berühmtesten Teilnehmer dieses jahrhundertelangen „Schwabenzuges“ war Graf Beck, der langjährige Generalstabschef Kaiser Franz Josefs.

Vorbei, vorbei, vorbei…

Als ein ehrendes Zeugnis für Oesterreich, ja als ein Zeichen der Dankbarkeit für seine Herrschaft in den Vorlanden liegt nun dieses zweibändige Werk über Vorderösterreich vor, das in seinem ersten Band die historische, wirtschaftliche, religiöse und kulturelle Geschichte dieser Länder aufzeigt und im zweiten Band die Geschichte der einzelnen Teile dieser Länder schildert. Das Werk ist hervorragend ausgestattet, eine Unzahl von schönen Bildern ergänzen die Darstellungen durch das Wort. Oesterreich kann mit diesem Denkmal zufrieden jįęim. …JJ .

Wer dieses Werk liest, wird unwillkürlich am das Wort Papst Leos AIIL 'erinnert, das er bei der Oeff- nung des Vatikanischen Archivs sagte: „Wir haben keine Angst vor der Wahrheit.“ Auch Oesterreich braucht keine Angst vor der geschichtlichen Wahrheit haben, denn wo immer man die Archive über seine Herrschaft öffnet, werden diese fast immer ein ehrendes Zeugnis für Oesterreich ablegen.

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