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Vom alten und neuen osterreich

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„Die in Norddeutschland verbreitete Unwissenheit über Oesterreichs Land und Leute könnte ein Mammut umwerfen. Bei den breiten Massen ist dieses Nichtwissen kaum verwunderlich. Denn sie haben kuriose Lehrer, nämlich jene von keinerlei Wissensdurst geplagten Filmproduzenten, die durch Kaiser-Walzer-Schmarren und rote Rosen aus Tirol jeden Kinobesucher darüber unterrichten, daß der Oesterreicher immer urgemütlich in Grin-zing beim Heurigen säße, welche feuchte Tätigkeit er nur hin und wieder durch ein schmalziges Lipd auf die süßen Wiener Maderln hörbigerisch unterbräche. — Aber auch etliche Etagen höher sieht es betrüblich aus: in den Köpfen der sogenannten Gebildeten steckt immer noch jenes Geschichtsbild vom lebensunfähigen Kaiserstaat Oesterreich, das vor mehr als einem halben Jahrhundert Heinrich von Treitschke zusammenbastelte. Treitschke war Preuße und brauchte eine Entschuldigung für den bösen Tag von Königgrätz: weshalb in seiner fünfbändigen Deutschen Geschichte. Oesterreich nur schlechte Zensuren erhielt und bis heute in Norddeutschland behalten hat.

Den Gipfel des Widersinns erklomm dann die Propaganda des Dritten Reiches. 1938 wurde das knapp 68 Jahre alte Kleindeutschland Bismarcks als „Altreich“ bezeichnet. In dieses angebliche Altreich wurde nun Oesterreich heimgeholt, das schon jene berühmten tausend jähre als Vergangenheit hinter sich hatte, die Hitler seinen Untertanen ständig als Zukunft ankündigte.

So weiß heute kaum jemand, wie alles entstanden ist, und alles muß von vorn erzählt werden. Unter Kart dem Großen ein Stück des bayrischen Stammgebietes, wurde Oesterreich 9?6 : unter den ruhmreichen Babenbergern- zum Herzogtum erhoben und bildete seit End? des 13. Jahrhunderts, das Kernstück . in der Hausmacht .der Habsburger. Damit wurde Oesterreich auch Reichszentrum, denn die Habsburger trugen Jahrhunderte hindurch die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches, jener Schutzmacht des Abendlandes. Der konservative Denker Friedrich Reck-Malleczwen äußerte einmal bissig, daß die uralte römische Städtegründung Vindobona, später Wien genannt, schon groß und berühmt war, als die Eingeborenen an den Ufern der Spree, in der Nähe . des Fischerdorfes Berlin, sich noch blaue Eidechsen um den Bauchnabel herum tätowierten. Dieses ironische Wort erklärt vieles von den einstigen Spannungen zwischen Süd und Nord, die weniger in Wesens- als in Altersunterschiede!! lagen.

1806 brach das alte Reich unter den Schlägen Napoleons zusammen. Aber es blieb der österreichische Kaiserstaat. Dieser wurde erst hn Frieden von Saint Germain, Anno 1'919, aufgelöst. Unter, den sogenannten Nachfolgestaaten des großen Reiches befand sich auch die von Deutschen bewohnte Republik Oesterreich, jener kleine, um Wien, gelagerte Rest mit etwa sieben Millionen Einwohnern. Damit starb die wundervolle Völker-G. m. b. H. auf dem Balkan, von welcher der große österreichische Sozialdemokrat Karl Renner noch vor wenigen Jahren erklärte, daß die Politiker sie wieder neu erfinden müßten. Eine Ansicht, welcher der Amerikaner Robert Ingrim in seinem Werk ,Vofl Talleyrand tu Molotow' gleichfalls Ausdruck verliehen hat;“

Die öbenstehenden lapidaren Sätze gewinnen an ' Nachdrücklichkeit und Bedeutung, wenn man erfährt, daß sie nicht aus einer „überösterreichischen“ Propagandaschrift stammen, sondern aus einer Buchbesprechung Karl Zimmermanns über das „Politische Tagebuch“ Josef Redlichs im — Nordwestdeutschen Rundfunk, Hamburg, am 17. Mai 1955.

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