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„Casca il Mondo

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KÖNIGGRÄTZ 1866. Bismarcks tragische Trennung von Oesterreich. Von Wilhelm Schussler. Band 12 der Janus-Bücher, Oldenbourg-Verlag, München. Preis DM 3.20

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KÖNIGGRÄTZ 1866. Bismarcks tragische Trennung von Oesterreich. Von Wilhelm Schussler. Band 12 der Janus-Bücher, Oldenbourg-Verlag, München. Preis DM 3.20

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Wilhelm Schüssler ist den Oesterreichern kein Fremder, er hat sich wiederholt mit der Frage „Oesterreich in der deutschen Geschichte“ befaßt, stets bemüht, die österreichisch-deutschen Probleme nicht nur einseitig zu sehen. Mit „Königgrätz 1866“ rollt er nochmals die Geschichte des Jahres 1866 auf und benützt hierzu auch neuere österreichische Arbeiten, wenn sich auch sonst die Betrachtungen noch immer hauptsächlich auf F r i e d j u n g stützen. Friedjung, dessen „Kampf um die Vorherrschaft" 1916 17 in zehnter Auflage erschienen ist, gilt heute vielfach überholt, da sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche wichtige Berichtigungen zu seinem Werke angesammelt haben: Schüssler macht uns mit der deterministischen Auffassung der Bismarcksehen Politik vertraut, nach welcher alles ein eisernes Muß gewesen sein soll, dem nicht auszuweichen war. Auf der anderen Seite zeigt er uns einen das Beste wollenden Monarchen — Franz J o s e ph I. —, doch eine unfähige, faule, stümperhafte und schwache Regierung. Unleugbar stimmte damals vieles in Wien nicht, doch gibt der Autor selbst zu, daß man dort auch nicht einfach hätte nur deshalb in allem nachgeben können, damit der Friede erhalten bleibe. Wie der Weg zum Kriegsausbruch gezeigt wird, kann wohl kein Zweifel mehr darüber bestehen, wer der Angreifer war, uns will scheinen, daß bereits der preußische Einmarsch in Holstein am 7. Juni die Kriegserklärung war, auf Seite 71 steht aber, daß schon das preußisch-italienische Bündnis vom 8. April die Verfassung des Deutschen Bundes gebrochen hatte. Solchen Tatsachen gegenüber verlieren andere Tagesdaten von außenpolitischen Aktionen oder militärischen Rüstungen stark an Bedeutung. Sehr erfreulich ist Schüsslers Stellungnahme zur B e n e de k - Beurteilung: Wir lesen mit Genugtuung, mit wieviel Legenden hier endgültig aufgeräumt worden ist, auch wird endlich einmal auf die vom Wiener Parlament herbeigeführte Abrüstung hingewiesen und richtig behauptet: „Gegen das furchtbare preußische Zündnadelgewehr gab es keine Rettung.“ Nicht ganz vermögen wir den Darlegungen zu folgen, wo sie mit Friedjung in der strategischen Wertung der Operationen übereinstimmen, sei es jener bei Nachod, wo angeblich Benedek seine große Chance versäumt haben soll, sei es bei Königgrätz, wo noch immer vom Ungehorsam einiger Generale ‘gespröcheiT VÄrd. Nöch,’‘k'ötofiieh Bėi“'dieSėfi Aüffäs- sungen die rein militätischen Gesichtspunkte zu kurz wie auch dort, wo z. B. die Kräfte der beiden Parteien nach der Kopfzahl und nicht nach dem Kampfwert miteinander verglichen werden.

Mit vollem Recht steht Bismarck im Mittelpunkt der Untersuchungen, denn es war ja dieser Staatsmann, der bewußt und unbeirrt den Krieg herbeigeführt hat und dabei großes diplomatisches Geschick bewieset hat. Wieweit man Bismarcks Vorgehen eine religiöse Rechtfertigung beimessen kann, bleibt wohl zu überdenken, indem Schüssler darauf hinweist, regt er Erwägungen an, ob man nicht gleiche Motive dem Habsburger-Hof zubilligen müßte und ob dann nicht die Frage sich aufwirft, welche Religion eher die Politik vor Hemmungslosigkeit schützt. Den Autor sagt noch, das protestantischpreußische Denken in Bismarck habe das Verständnis geraubt „für die ganze Bedeutung, die Oesterreich für Deutschland und Deutschland für Oesterreich hatte“.

Das Wertvollste in „Königgrätz 1866“ ist die aufgestellte Bilanz der Bismarckschen Reichsgründung, die — wie schon der Untertitel verrät — keine aktive ist. An den Folgen von 1866 gemessen, erscheint Bismarcks Werk eine zweifelhafte Schöpfung: „War es ein Irrtum?“ — diese Zertrümmerung der Idee eines übernationalen und überkonfessionellen Reiches im Herzen Europas, die letzten Endes das kleindeutsche Reich samt Oesterreich-Ungarn bis 1914 in die völlige Isolierung geführt hat? Schüssler zieht von Königgrätz eine gerade Linie bis zu Hitler 1938 und von der ersten (1866) über die zweite (1918) bis zur dritten Teilung (1945) Deutschlands. Er billigt der österreichischen Idee mit ihrem universellen Denken und mit ihrem Glauben an Recht und Verträge den Vorzug vor Bismarcks Weckung der nationalen Kräfte zu, mußte doch übertriebener Nationalismus, ausgedehnt auf Oesterreich, dieses sprengen, wozu Preußen schon 1866 mit dem Versuche, die Tschechen, Madjaren und andere Nationalitäten zu insurgieren, entschlossen war. In solcher Schau steht Bismarcks Politik heute als „tragisch" vor der Nachwelt, und man muß Schüssler dankbar sein, daß er einmal auch diese Seite der Geschichte Preußens und Oesterreichs beleuchtet. Zweifellos hat die Schlacht von Königgrätz im mitteleuropäischen Raum das nächste halbe Jahrhundert mitbestimmt, sei es durch die innere Schwächung Oesterreichs als des dualistischen Partners Ungarns, sei es durch den Aufstieg des Deutschen Reiches, der den Krieg von 1914 zu einem Weltkrieg ausweitete. Freilich mußten noch andere Momente, die nicht mehr von Königgrätz her kamen — man denke bloß an die aus den Balkanfragen entströmenden Kräfte — hinzukommen, um Oesterreich- Ungarn ganz auszulöschen; die Geschichte der einzelnen Staaten gleicht einem großen Strom, der sich von der Quelle bis zur Mündung nicht bloß aus dem ursprünglichen Wasser nährt, sondern Nebenflüsse aus, ganz fremder Sphäre aufnimmt, daß aber die Schlacht vom 3. Juli 1866 sehr weite Ausstrahlungen in die Zukunft hatte, steht fest, deshalb ist jeder neue Beitrag zu ihrer Geschichte sehr willkommen.

Nun wird es an Oesterreich gelegen sein, Schüsslers geistreiche und zum Teil neuartige Betrachtungen aus österreichischer Sicht zu ergänzen, es wird sich dabei zeigen, wieviel noch in dieser Beziehung von den österreichischen Historikern an österreichischer Geschichtsschreibung zu leisten bleibt.

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