6645079-1958_19_01.jpg
Digital In Arbeit

Morgen-Land

Werbung
Werbung
Werbung

Kein Mensch, sowenig wie ein Stern, trägt einen Namen zufällig. Im Falle Oesterreichs gilt dies ohne Zweifel, gibt doch sein Name den geographischen und geschichtlichen Standort und die Richtung seiner historischen Mission mit nicht zu überbietender Prägnanz an, beziehungsweise deckt sich mit ihm.

Im Verlaufe seiner ganzen Geschichte wendete Oesterreich, selbst ein Teil und in Notzeiten eine Bastion des Westens, sein Antlitz und sein Interesse vor allem dem Osten zu. Die Babenberger-Herzoge Heinrich IL, Leopold VI. und Friedrich II. holten sich ihre Gemahlinnen aus den byzantinischen Herrscherdynastien. Die Habsburger wurden anfangs als Fremdlinge empfunden, was gegenüber Pfzemysl Ottokar durchaus nicht der Fäll war. Weiter, beide Privilegien (minus und maius) lassen die Bestrebungen, sich aus den Zwistigkeiten des Deutschen Reiches möglichst herauszuhalten, und im Osten ungebundener zu sein, deutlich erkennen. Einen gewissen Höhepunkt erreichten diese Bestrebungen in der berühmten Doppelhochzeit der Enkel Maximilians, Ferdinand und Maria, mit den Kindern König Wladislavs II. von Ungarn und Böhmen, Ludwig und Anna. Die Ehe Philipps des Schönen mit der spanischen Erbtochter Johanna schien den österreichisch-habsburgischen, nach dem Osten gerichteten Plänen ein vorläufiges Ende zu bereiten, doch schon zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt entschloß sich Karl V., die österreichischen Länder seinem Bruder Ferdinand zu überlassen, wodurch Oesterreich auf seine ursprüngliche Aufgabe im Osten zurückverwiesen wurde. Und es war, neben anderen historischen Gründen, vor allem die schwere Bürde der römischen Kaiserkrone, die die volle Lösung dieser Aufgabe verhinderte.

Natürlich waren alle diese Interessen und Ambitionen Oesterreichs im Osten zunächst und in erster Linie machtpolitischer Natur, aber die errungene Macht sollte niemals mißbraucht, sondern in den Dienst völkerverbindender Ziele gestellt werden und erfüllte nicht zuletzt eine kulturelle Mission, deren Bedeutung erst heute — in historischer Perspektive — die ihr gebührende Anerkennung erfährt.

Als erster Orientalist kann der langjährige Gesandte Kaiser Ferdinands I. bei der Pforte, Ghislain de B u s b e c k, bezeichnet werden, der in seinen „Legationis Turcicae epistolae“ das Abendland erstmalig über die Zustände im türkischen Reiche näher unterrichtete und dem wir es unter anderem zu verdanken haben, wenn „draußen in Sievering wieder der FliedeT blüht“.

Maria Theresia begründete 1754 in Wien die Orientalische Akademie, die durch den Unterricht in orientalischen Sprachen für den Beruf als Dolmetsch und Konsul im Vorderen Orient die Voraussetzungen schaffen sollte. Der erste Orientalist großen Stiles war Josef Freiherr von Hammer-Purgstall, dessen zahlreiche Uebersetzungen aus dem Türkischen, Persischen und Arabischen Goethe zu seinem West-östlichen Diwan anregten. Er fand einen würdigen Nachfolger in dem durch seine Verbindung mit dem Herzog von Reichstadt bekannten Prokesch: Osten.

Wenn Oesterreich, nach den Wirren, Katastrophen und politischen Umwälzungen der vergangenen Dezennien und im Besitze seiner wiedergewonnenen, kostbaren Freiheit heute wieder die Konsequenzen aus seiner geographischen und geschichtlichen Gegebenheit erkennend, sein Interesse den östlichen Ländern zuwendet, setzt es damit, allerdings unter anderen Voraussetzungen und Vorzeichen, seine ureigenste Tradition fort. In dieser Perspektive ist auch der Entschluß des Unterrichtsministeriums, ein Kulturinstitut im Vorderen Orient zu errichten, zu sehen. Und gerade heute, da es selbst dem Böswilligsten nicht ganz leicht fallen dürfte, Oesterreich aggressiver oder kolonialistischer Tendenzen zu bezichtigen, bestehen für kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen mit der Levante eben deshalb besonders gute Chancen. Wo könnten die Auspizien für eine kulturpolitische und wirtschaftliche „Bodenbereitung“ günstiger sein, als in dem Raum, wo sich zur Zeit eine ganz neue Welt formt? Dabei ist Oesterreich gleichzeitig eine einzigartige Chance einer kulturpolitischen Mission für Europa gegeben: frei von dem Mißtrauen, das von den Ländern des Vorderen Orients sowohl der Sowjetunion als auch den USA entgegengebracht wird, kann Oesterreich als Vorposten Europas in dem Vakuum, das durch den Abgang der „Kolonialmächte“ Frankreich und England entsteht, vermittelnd, helfend und Gegensätze entschärfend einen bedeutenden Beitrag leisten und durch seinen kulturellen Einfluß zur Verteidigung der ethischen Werte des Abendlandes in dem gegenwärtigen „psychologischen Kriege“ beitragen.

Dabei sollte sich alle Arbeit nicht auf das beschränken, was wir im normalen Sprachgebrauch als Kultur bezeichnen, wobei wir vor allem an die Leistungen der Kunst und Wissenschaft denken, sondern alles mit einschließen, was in dem Begriff Zivilisation zusammengefaßt ist, wobei mit Zivilisation die Gesamtheit der kulturellen Leistungen einer Hochkultur auf allen Gebieten des Lebens gemeint ist. Das würde also zum Beispiel auch die Wirtschaft und Technik beinhalten. Eine kulturelle Tätigkeit Oesterreichs im Vorderen Orient in diesem Sinne verstanden, wird sich natürlich — den Verhältnissen entsprechend — sehr von der an den bereits bestehenden österreichischen Kulturinstituten in den westlichen Staaten unterscheiden. Veranstaltungsprogramme wie in Rom, London oder Paris wären, schon wegen der großen Entfernungen, finanziell untragbar, ganz abgesehen davon, daß sie in dieser Form relativ wenig Widerhall im islamischen Räume fänden. Angebracht dagegen ist, eine gut funktionierende Koordination von kulturellen und wirtschaftlichen Belangen herzustellen und eine intensivere Zusammenarbeit der Levante mit Oesterreich herbeizuführen, die beiden Teilen zum Vorteil gereichen würde.

Oesterreich genießt im Vorderen Orient durch seine Tradition und seine Leistungen in der Vergangenheit sowie durch seine gegenwärtige neutrale Mittlerstellung ein hohes Ansehen, das ihm trotz der finanziellen Schranken, die der Arbeit auferlegt sind, sehr gute Möglichkeiten für ein nachhaltiges kulturpolitisches Wirken und für freundschaftliche Beziehungen in diesem Räume eröffnet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung