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Symbol: die Brücke

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„Bilan d'un monde pour un monde plus humain“ — „Bilanz einer Welt für eine menschlichere Welt“ —, dies ist das große, allgemeine Thema der Brüsseler Weltausstellung, die in zwei Monaten, am 17. April 1958, eröffnet werden wird. Oesterreich nimmt an dieser Weltausstellung mit einem Pavillon teil, dessen Pläne und Programm bereits jetzt Aufmerksamkeit erwecken; die Wiener Staatsoper und die Wiener Philharmoniker werden in Brüssel gastieren, und um den offiziellen Charakter der österreichischen Beteiligung ganz besonders zu unterstreichen, wird Bundespräsident Dr. Schärf zu Beginn des Monats Mai Belgien einen Staatsbesuch abstatten. Oesterreich beschickt die

Brüsseler Weltausstellung somit anders, als Auslandsmessen im allgemeinen beschickt zu werden pflegen — Oesterreich wird sich in Brüssel eindeutig engagieren.

„Bilan d'un monde pour un monde plus humain“ — in seiner Theorie kommt dieses Thema Oesterreich sehr gelegen: die großen österreichischen Beiträge zur Entwicklung der Menschheit-sind imitier auch Beiträge zur Vermenschlichung der Welt *'gewesen,1 wie die Musik, wie die Medizin. In der Praxis seiner ausstellungstechnischen Bewältigung aber ist dieses Thema unendlich anspruchsvoll. Weil es ein geistiges Thema ist, muß die gesamte Ausstellung auf einen gemeinsamen geistigen Nenner gebracht werden, und weil es ein abstraktes Thema ist, müssen die Ausstellungsgegenstände, auch die der Wirtschaft, des Handels und des Verkehrs, in den abstrakten Raum passen, den das Thema vorzeichnet.

Der gemeinsame geistige Nenner, der für den österreichischen Pavillon gefunden wurde, ist .die Idee der Brücke: Oesterreich als politische, wirtschaftliche und kulturelle Brücke zwischen Nord und Süd und Ost und West soll dargestellt und schon im ersten Raum — in welchem die Schlußakte des Wiener Kongresses von 1815, die Unterzeichnungsurkunde des Staatsvertrages von 1955 und das Gründungsdokument der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien ausgestellt sind — soll gezeigt werden, daß die österreichische Mission, Mittler zwischen Völkern zu sein, nicht nur eine historische, sondern auch eine durchaus gegenwärtige ist.

Der mehr oder weniger abstrakte Rahmen, der jedem, der an das große, allgemeine Thema sich zu halten gewillt ist, aus rein künstlerischen Gründen vorgeschrieben wird, zwingt zu ganz neuartigen formalen Lösungen der Pavillon-wie der speziellen Ausstellungsprobleme. Jeder Messecharakter verbietet sich natürlich von selbst, aber auch mit Modellen, Photomontagen und Panoramen läßt sich in einer Ausstellung dieser Art nicht operieren. Nur Gegenstände, die als Objekt selbst Sinn und Bedeutung haben, taugen für diese Ausstellung; und da sie an sich von Wert sind, erhalten sie durch den abstrakten Rahmen der Ausstellung eine Art symbolische Bedeutung.

Die beiden als Brückenpfeiler anzusprechenden Baukörper der österreichischen Ausstellungsgebäudes sind ein Kindergarten und ein Fremdenverkehrsbüro: Symbole für Oesterreich als Land des sozialen Fortschritts auf der einen, und für Oesterreich als Land der Erholung, der Festspiele und des Sports auf der anderen Seite. Dazwischen, unter dem als Brücke gedachten Hauptkörper des Pavillons, erstreckt sich ein grüner Teppich mit bunten Inseln: Oesterreichs Flora, die von den besten österreichischen Gartenarchitekten betreut und vierzehntägig erneuert wird. Diesen Teppich dominieren' eine

Kaplanturbine (Symbol für Wasserkraft und Industrie) und eine Bronzeplastik von Fritz Wotruba (Symbol für schöpferische Kunst), flankiert von abstrakten Darstellungen der österreichischen Bodenschätze und des Holzreichtums. Im quadratischen Hauptkörper des Pavillons, der sechs Meter hoch über der ebenen Erde schwebt, tritt der Besucher nach dem ersten, quasi politischen Raum einen Gang durch Oesterreichs Geschichte an, durch eine Geschichte, die nicht durch Landkarten und Stammbäume und Bilder von gewonnenen Schlachten dargestellt werden soll, sondern durch Kunstwerke sakraler und weltlicher Natur: Oesterreich im Spiegel seiner Kunst.

„Und als Oesterreich aufhörte, eine politische Großmacht zu sein, wurde es mehr: eine geistige Großmacht“ — es folgen die Ausstellungskomplexe, die den österreichischen Leistungen auf den Gebieten der Medizin, der Technik, des Verkehrs und des Handels gewidmet sind. Die Gegenwart ist erreicht. Ist Oesterreich auch heute noch eine geistige Groß*, macht? Diese Frage Wird durch eine1 internationale Musikakadem're bejaht, in welcher von den bedeutendsten österreichischen Musikerziehern

Meisterkurse für konzertreife Schüler abgehalten werden sowie durch eine Buchhandlung unter dem Motto: „Oesterreich kann man nicht erklären, Oesterreich kann man nur beschreiben.“ Dies ist in seinen Grundzügen der Plan und das Programm des österreichischen Weltausstellungspavillons.

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Wird mit einer'solchen Bewältigung der allgemeinen Thematik Oesterreich nicht nur einen architektonisch und ausstellungstechnisch in den formalen Belangen verblüffend modernen und außerordentlich anspruchsvollen Pavillon auf dem Brüsseler Weltausstellungsgelände errichten, sondern darüber hinaus, im Konzert der Nationen, einen Beitrag leisten, der sich harmonisch einfügen läßt in den Rahmen des Ganzen? Es steht zu hoffen. Wohl haben viele Nationen das weitgefaßte Thema anders verstanden als Oesterreich und schicken sich an, die Bilanz ihrer technischen Beiträge zur Vermenschlichung der Welt zu legen; aber die Technik allein ist es ja nicht, wodurch die Welt vermenschlicht werden kann. Sie kann es im Gegenteil nur dann werden, wenn sie sich mehr und

mehr auf jene kulturellen und zivilisatorischen Werte besinnt, die durch die Entwicklung des letzten Halbjahrhunderts zugunsten von Elektronengehirnen und Erdsatelliten so sehr in den Hintergrund gedrängt worden sind, daß sie bald nur noch einer kulturellen und zivilisatorischen Elite bekannt und zugänglich sein werden. Zur i Besinnung, zur Einkehr, zur Rückkehr zu diesen '-Werten; 'diesen währhaften Beiträgen zur Ver-“mensfhlith4ngr der-Welt,'1 wilt der Pavillon' Oesterreichs mahnen.

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