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Osterreich ist UNO-wurdig

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New York, Ende Dezember

Im letzten Augenblick ist Oesterreich, wie ein Kahn auf stürmischer Brandung, in den Hafen der Vereinten Nationen getragen worden. Dabei ist zwar, offen gesagt, nicht nach Würdigkeit und Verdienst gemessen worden — jedenfalls aber gehört Oesterreich zu der nicht allzu großen Zahl der Länder, die wirklich in die Vereinten Nationen gehören.

Es ist ein unabhängiger Staat, es ist friedliebend, und bereit, seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen. Nicht von allen 16 neuen, nicht einmal von allen 60 alten Mitgliedern kann das gesagt werden.

Regierungen, deren Wille von außen diktiert wird, vertreten nicht unabhängige Staaten.Staaten, die bekunden, daß sie auf die Vernichtung anderer Mitglieder der Vereinten Nationen ausgehen, sind nicht friedliebend. Totalitäre Staaten, die die Menschenrechte verletzen, erfüllen nicht ihre internationalen, in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Verpflichtungen. Wenn Universalität wichtiger erscheint als Grundsätze, wird die Basis der Friedensburg breiter, aber nicht fester.

Oesterreich kann mehr sein als einer von zu vielen. Dazu gehört ein negatives und ein positives Programm.

Das negative Programm erfordert, sich nicht in Stimmenhandel und Gruppenbildung hineinziehen zu lassen. Italien, Spanien, Portugal und Irland sind bereits dem lateinamerikanischen Block verfallen, der sich so für sie eingesetzt hat. Das kann dessen antibritische Haltung nur verstärken. Ueber Haltung und Schicksal der kommunistischen Satellitenstaaten ist kein Wort zu verlieren. Wo Ceylon und Laos, Jordan und Libyen stehen werden, kann man sich ausmalen. Aber die Stimme Oesterreichs, unabhängig, unbestechlich, nur durch Gründe zu erlangen, kann durch diesen Seltenheitswert über ein Sechsundsiebzigstel erhoben werden.

Das positive Programm ist schwerer kurz zu definieren. Wenn Oesterreich sich als der Kulturnachfolger des alten Oesterreich fühlt, gehört es mit Frankreich und England zu den ältesten Staaten. Auch Nationalchina ist ein junger Staat, losgelöst von der tausendjährigen Weisheit Chinas. Indien war' auch vor 200 Jahren kein Staat. Das heutige Italien ist kaum 100, Franco-Spanien kaum 20 Jahre alt. Nur England, Frankreich und, bedingt, Oesterreich können den Faden ihrer Staatsentwicklung bis ins Mittelalter verfolgen. Alter bedeutet Tradition. Alter kann Erfahrung, Weisheit, Verständnis, Respekt vor dem Recht des andern, Abscheu vor den Folgen des Unrechts bedeuten. Das kann man bei den Vereinten Nationen brauchen. Wer Haltung und Stimme von solchen Kulturfaktoren leiten läßt, kann ihr Gewicht über den eines kleinen Staates erheben.

Oesterreich hat eine alte und weise Tradition des Rechts, wenn sie auch, wenn man solchen Sachkundigen wie Klang glauben soll, nicht immer ganz blank gehalten wurde. Aber nach außen hat das Land von Sonnenfels und Unger, Klein und Schey einen strahlenden Ruf des Rechts, der, sorgsam gepflegt, ihm und noch mehr den Vereinten Nationen dienen kann. Sein Rat kann ins Gewicht fallen, wenn es sich darum handelt, den Mechanismus einer jungen, wenn auch rasch alternden Organisation zu verbessern, und -sei es nur, um solche Schönheitsfehler auszubessern, daß in einem Streitfalle Richter ihre Meinung aussprechen, ehe sie die Parteien gehört haben.

Für jeden Vertreter Oesterreichs ist das im Wirbel des Stimmcnhandels und Stimmentausches eine schwere Aufgabe. Um ihr gerecht zu werden, braucht er einen Ariadnefaden, der, aus noch nicht vergessener Geschichte Oesterreichs gewebt, ihm als Richtschnur im Labyrinth dienen kann. Wer sich an das Ansehen erinnern kann, das 1908 auf dem Haager Kongreß von hervorragenden Führern großer Staaten dem Vertreter Oesterreichs, Professor Lammasch, entgegengebracht wurde, nicht, weil er einen großen Staat vertrat, sondern weil er ein großer Mann war, der braucht sich nur zu fragen: „Was hätte Lammasch da gedacht — gesagt — getan?“ um einen Wegweiser zu finden, der aus Oesterreich, einem der kleineren Staaten bei den Vereinten Nationen, viel mehr machen kann als einen von sechsundsiebzig.

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