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Österreich — Kraftbrücke
SONNTAG, DEN 17, JUNI, steht Wien, steht Oesterreich im Blickfeld der ganzen Welt. In der Staatsoper und im Burgtheater wird die fünfte Weltkraftkonferenz eröffnet. Mehr als ein Jahr dauerten die organisatorischen Vorarbeiten. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gehen die Vorarbeiten noch weiter zurück. Der Inhalt der inzwischen ausgearbeiteten Berichte — 276 an der Zahl — ist den dreitausend Teilnehmern übermittelt worden. Der Umfang der wissenschaftlichen Berichte beträgt rund 4200 Seiten. 2100 von ihnen sind in englischer Sprache, 1550 in deutscher und der Rest in französischer Sprache abgefaßt. Diese Konferenz ist die erste ihrer Art, bei der die deutsche Sprache neben den üblichen (Englisch und Französisch) gleichberechtigt auftritt.
ÖSTERREICH IN DER MITTLERROLLE -es ist in diesen Tagen mit der heiklen und eminent wichtigen Aufgabe betraut, die Völker zusammenzuführen zum Wohle einer friedlichen, der Arbeit hingegebenen Welt. Ein besonderes Merkmal: unter den 24 europäischen Staaten erscheinen unsere unmittelbaren Nachbarn Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien neben der Schweiz, Deutschland und Italien. Es gibt auf der Weltkraftkonferenz keinen Vorhang, keinen Block. Finnland kommt mit der LldSSR, Polen mit Spanien, neben dem Wissenschaftler aus Israel sitzt jener aus Aegypten, Japan ist ebenso da wie Rotchina, Griechenland wie Großbritannien, Algerien wie Frankreich. Alle sind sich klar darüber, daß eine Inventur über die Energiequellen der Welt gemacht werden muß, denn die klassische Energiewirtschaft nähert sich ihrem Ende. Der Energieverbrauch steigt mit jedem Jahrzehnt um das Doppelte. Fieberhaft werden die Wasserkräfte ausgebaut — in Oesterreich nutzen wir schon 54 Prozent. Die europäischen Staaten werden an eine Kraftintegration denken müssen bis zu dem Zeitpunkte, da die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen zur friedlichen Auswertung der Atomenergie geschaffen sind. Schon heute hat Oesterreich Verträge mit seinen Nachbarn. Die Welt kann sich hier ein Beispiel nehmen.
EIN BEISPIEL DER SACHLICHKEIT, ein Beispiel des guten Willens, ein Beispiel der Gemeinschaftsarbeit, der das Gastland Oesterreich ja seinen beispiellosen Aufstieg aus tiefster Not zu danken hat. Der Verlauf der Sitzung wird auf Tonband aufgenommen. Sämtliche Reden haben Simultanübersetzung, es ist Gelegenheit geschaffen für jedes Land, im Film seine Arbeiten zu zeigen und zur Diskussion zu stellen. Am Anfang des kommenden Jahres wird der Gesamtbericht gedruckt vorliegen. Er ist ein Dokument dafür, was die in Wien vertretenen Staaten in gemeinsamer Arbeit tejisten können: 2o Bände mit rund 7000 Seiten werden davon berichten.
WIEN IST DER AUSGANGSPUNKT für Exkursionen: Achensee. Braunau, Gösau, Groß-raming, Iiiwerke, Jochenstein. Kaprun, Prutz-Imst. Reißeck, Stubach, Ernsthofen. Nach Deutschland gehen die Wege, nach Italien, nach Jugoslawien. Auch die Wärmekraftwerke in Oesterreich, Hütte Linz-VOeESt., St. Andrä im l.avanttal und Voitsberg, die Industrieanlagen für Eisen, Metall. Elektrowaren, für Montanprodukte, die chemische Industrie, die Glasindustrie und die Papierindustrie bekommen Besuch.
WIEN WÄRE NICHT WIEN, wenn es seinen Gästen nicht die Schätze seiner Kunst, die Schönheiten seiner Landschaft, die Erzeugnisse seiner Gewerbe zeigte. Es gibt Festaufführungen von Mozartopern, parbietungen der Sänger-, knaben, ein Straußkötizert, einen Wiener Abend im Schönbrunner Park, Ausflüge in die Wachau, ins Kamptal, den Wienerwald, zum Neusiedler
See, nach Klosterneuburg und Melk. Und da bei allem Ernste der Wirtschaftler und Wissenschaftler sie — mit dem Charme Wiens rechnend — auch ihre Damen — an die tausend — mitgebracht haben, wird diesen im Palais Auer-sperg eine große Modenschau gezeigt.
EIN DIPLOMAT UND GAST sagte, es sei eigenartig: hier in Wien fallen — schon wenn man die Grenzen Oesterreichs überschreite —
Fesseln der Reservanz; nicht nur die Stirnen arbeiten, sondern man fühle wieder sein Herz schlagen. Ein Satz, der nachdenklich macht. Eine Huldigung für Oesterreich, eine Mahnung für alle Gäste — auch daheim angekommen, nicht auf das Herz zu vergessen.
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