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Budget und Kultur

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In diesen Hochsommerwochen, in denen in den Hauptstädten des Westens, in London und Paris, die weltpolitische Spannung um das Suezkanalproblem sichtbar und spürbar geworden ist, ruht Wien in einem Sommerschlaf. So scheint es zumindest. Die Staatsbühnen sind geschlossen, Zehntausende genießen, fern der großen Stadt, ihren Urlaub. Kleine und größere Gruppen von Fremden wandern, froh und neugierig, durch die österreichische Metropole. Wer da über die fast menschenleeren Plätze der Innenstadt geht, denkt kaum daran, daß hinter verschlossenen Türen hitzige und heiße Gefechte stattfinden, die für ganz Oesterreich, für das künftige Ansehen und Gesicht unseres Landes bedeutsam sind. Die Referenten der einzelnen Ministerien kämpfen mit den für sie zuständigen Ressortleitern des Finanzministeriums, während die Minister auf Urlaub sind, um ihr Budget. Den schwersten Kampf haben, einer alten, verhängnisvollen Tradition entsprechend, die Männer des Unterrichtsministeriums zu kämpfen. Es will noch immer nicht in die Köpfe vieler Verantwortlicher in Politik, Wirtschaft und Verwaltung eingehen, daß unser Volk und Land sich nicht auf die Dauer behaupten können, wenn das Budget des Unterrichtsministeriums für Forschung, Schule und Lehre, für Erziehung und Fortbildung, nicht endlich einmal angemessene Summen zur Verfügung erhält. Unser bester Nachwuchs wird unser Land verlassen, wenn hier nicht Abhilfe geschaffen wird. Im Angesicht der Hochkonjunktur gilt das ernste Wort: Oesterreich kann sich erhalten, wenn es nur will. Wenn es seine kulturelle und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit, seine Kapazität entwickeln will. An diesem Tatwillen fehlt es leider bei nicht wenigen einflußreichen Kreisen. Deshalb d folgende Mahnruf, „Die Furche“

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In diesen Hochsommerwochen, in denen in den Hauptstädten des Westens, in London und Paris, die weltpolitische Spannung um das Suezkanalproblem sichtbar und spürbar geworden ist, ruht Wien in einem Sommerschlaf. So scheint es zumindest. Die Staatsbühnen sind geschlossen, Zehntausende genießen, fern der großen Stadt, ihren Urlaub. Kleine und größere Gruppen von Fremden wandern, froh und neugierig, durch die österreichische Metropole. Wer da über die fast menschenleeren Plätze der Innenstadt geht, denkt kaum daran, daß hinter verschlossenen Türen hitzige und heiße Gefechte stattfinden, die für ganz Oesterreich, für das künftige Ansehen und Gesicht unseres Landes bedeutsam sind. Die Referenten der einzelnen Ministerien kämpfen mit den für sie zuständigen Ressortleitern des Finanzministeriums, während die Minister auf Urlaub sind, um ihr Budget. Den schwersten Kampf haben, einer alten, verhängnisvollen Tradition entsprechend, die Männer des Unterrichtsministeriums zu kämpfen. Es will noch immer nicht in die Köpfe vieler Verantwortlicher in Politik, Wirtschaft und Verwaltung eingehen, daß unser Volk und Land sich nicht auf die Dauer behaupten können, wenn das Budget des Unterrichtsministeriums für Forschung, Schule und Lehre, für Erziehung und Fortbildung, nicht endlich einmal angemessene Summen zur Verfügung erhält. Unser bester Nachwuchs wird unser Land verlassen, wenn hier nicht Abhilfe geschaffen wird. Im Angesicht der Hochkonjunktur gilt das ernste Wort: Oesterreich kann sich erhalten, wenn es nur will. Wenn es seine kulturelle und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit, seine Kapazität entwickeln will. An diesem Tatwillen fehlt es leider bei nicht wenigen einflußreichen Kreisen. Deshalb d folgende Mahnruf, „Die Furche“

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Wir stehen in Oesterreich offenbar vor einem Budget beispielloser Hochkonjunktur, das sich irgendwo um 30 Milliarden bewegen wird. Ein riesiges Anschwellen von verschiedenen Posten auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite wird dieses Budget kennzeichnen. Die soziale Verwaltung wird wahrscheinlich bis zu jener Grenze gehen, wo sich der Wohlfahrtsstaat vom Wohlstandsstaat scheidet. Der Hausbau wird in einer Weise ausgebaut werden, welche sich ebenfalls der Grenze zwischen gelenkter Wirtschaft und geschenkter Wirtschaft nähern dürfte. Das Heer wird einen Ausbau erfahren, der auch tempomäßig gesehen bis zur Grenze zwischen Selbstverteidigung und Selbsterkenntnis gehen dürfte. Das Hauptproblem aber ist, daß bei diesem budgetären Aufschwung die Kultur nicht zu kurz kommen darf. Die Kulturschaffenden sind vor rund drei Jahren auf die Straße gegangen und haben das Parlament davon überzeugt, daß zunächst eine Erhöhung des Kulturbudgets um 150 Millionen unumgänglich notwendig sei.

Diese 150 Millionen sind vor zwei Jahren bewilligt worden und dann ist nochmals ein wesentlich kleinerer Stoß erfolgt, der nur zum Teil aus Realisierungen, zum Teil aber auch aus Versprechungen bestand. Der beste und einsichtsvollste Unterrichtsminister, den Oesterreich in den letzten Jahrzehnten gehabt hat, steht ohne Geld vor der schier unlösbaren Aufgabe, Wissenschaft und Kunst zu helfen. Die Unterbringungsschande der Mittelschulen kann ohne Geld nicht beseitigt werden. Sollen Generationen weiter auf dem Gang sitzen bleiben? Die Berufung von Gelehrten ist in vielen Fällen unmöglich geworden, weil das einzige Quartier, das man ihnen anbieten könnte, ein Zelt im Rathauspark wäre. Ein Unterrichtsminister ohne Geld ist ein Maschinengewehrschütze ohne Patronen. Die Verteidigung des Vaterlandes beginnt in der Schule und nicht erst in der Kaserne oder gar erst in der Fürsorge. Es besteht auch die Gefahr des Verlorengehens aller richtigen Wertmaße. Die Kultur und nur die Kultur hat Oesterreich jene Hilfe des Auslandes gebracht, die im Marshall-Plan so sinnfällig zum Ausdruck gebracht worden ist. Nicht unsere nach dem zweiten Weltkrieg teils zusammengebombten, teils noch unmodernen Industrien, nicht unser staatliches Defizit der damaligen Zeit, nicht unsere zum Großteil veralteten Verkehrsmittel hatten die Vereinigten Staaten dazu veranlaßt, Oesterreich wiederaufzubauen. Der Marshall-Plan, dessen Früchte wir jetzt alle ernten und der auch auf wirtschaftlichem Gebiet eine unerhörte Blüte -geschaffen hat, i s t nicht dem Oesterreich von 1945, sondern dem „unsterblichen Oesterreich“, seiner Kunst, seiner Wissenschaft, seiner Kultur gegeben worden! Soll das Mozart-Jahr mit einer unsterblichen Blamage enden? Würde nicht ein Budget, in dem alle mehr bekommen, nur die Kultur nicht, von weiten Kreisen dahin aufgefaßt werden, daß die Demokratie als Jasager zu allem sich betätigt, aber als Neinsager für kulturelle Ausgaben? Würde eine solche Einstellung nicht die Demokratie selbst bedrohen und vielleicht eine größere Gefahr bilden als Nazismus und Kommunismus?

Das Bekenntis zu Oesterreich beginnt mit einem Bekenntnis zu seiner Kunst und Wissenschaft und seiner Kultur. Ein solches Bekenntnis kann nicht nur in Sonntags- und Wahlreden abgelegt werden, sondern es muß seine Untermauerung im Budget finden. Es darf nicht zu der schrecklichen Alternative: Schulen oder Kasernen? oder zur gleich schrecklichen: Schulen oder Altersfürsoige? kommen. Das Wort „oder“ muß durch das Wort „und“ ersetzt werden, wenn nicht der Staatshaushalt in einem höheren Sinne in einen Zustand der Disproportion geraten soll. Es ist notwendig, dies zu sagen, bevor noch ein Budget beschlossen und ein unabänderlicher Tatbestand geschaffen ist. Hier scheiden sich die Geister. Es gibt keine Wohlfahrt außerhalb der Kultur, und es gibt keine Erziehung zum Patriotismus und keinen Wehrwillen, die nicht von der Schule aus ihren Ausgang nehmen! Wir wollen es nicht verschweigen, daß die Zeiterscheinung der „Halbstarken“ unserer Meinung nach ihren Ausgang nicht nur vom Elternhaus, sondern auch von der Schule aus genommen hat. Wir wollen uns keiner Täuschung darüber hingeben, daß jedes Auseinanderklappen zwischen größerem Wohlstand und besserem Leben einerseits und besserer Erziehung und Bildung anderseits für ein Volk das . geistige Todesurteil bedeuten müßte. Besonders gilt das für ein Volk, das ohnedies von dem Irrwahn, materialistischer Geschichts- und Weltauf-, fassung bedroht ist. Die Unabhängigkeit Oesterreichs steht und fällt mit seiner geistigen Leistungsfähigkeit. Von einer geistigen Unabhängigkeit kann nur gesprochen werden, wenn überhaupt noch Geist vorhanden ist. Und Geist kommt nicht von selbst, sondern ist die Frucht der Ueberlieferung. der Erziehung und des Bildungswillens sowie der Bildungsmöglichkeit, der glücklichen Synthese von Kunst und Wissenschaft. Dies kann durch nichts, aber schon durch gar nichts ersetzt werden. Und es wird uns nicht geschenkt, sondern es muß bezahlt werden. Und ein großer Teil dieser Bezahlung' erfolgt eben' im Rahmen des größten Gemeinschaftsaufwandes, den ein Staat hat, das ist im Staatsbudget. Platonische Beteuerungen sind kein Ersatz für reale Ausgaben. In der Volkshymne des alten Oesterreich ist der schöne Satz gestanden: Mit des Geistes heiteren Waffen siegen Kunst und Wissenschaft! Nur auf diesem Gebiet vermag Oesterreich eine Großmacht zu sein. Der Verlust einer solchen Großmachtstellung wäre nicht nur eine sinnlose Verschwendung unersetzlichen Erbgutes, sondern wir würden diese Verschwendung letzten Endes teurer zu bezahlen haben — und dies auch in materieller Hinsicht! — als durch die Einsparung von ein paar Dutzend Millionen in einem Budget von ein paar Dutzend Milliarden. Jeder Staat, bei dem die Kultur im Winkel steht, wird früher oder später selbst in die Ecke gestellt werden! Nichts von den sogenannten Werten könnte dauern, wenn der ideellen Werte vergessen würde!

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