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Sich selbst gefunden
Die zweite österreichische Republik hat, neh- imeö wif‘aBtr-tti -allem, Europa und ddf1 Weil? etwas Neues zu bieten: in einem Teil Mittel- ; europas, ’der seit Jahrhunderten' Widerstand gegen den Osten geleistet, der aber seit fast hundert Jahren sein seelisches Gleichgewicht verloren hat und damit zu einem möglichen Gefahrenherd wurde, ist der Glaube der Oesterreicher an ihr Land und an sich selbst entstanden.
In der Ersten Republik hat uns dieses Selbstvertrauen gefehlt. Wenn wir, die Menschen meines Alters, zurückdenken an die letzten Jahrzehnte der österreichisch-ungarischen Monarchie, dann erinnern wir uns, daß der Zweifel an der eigenen Kraft, der Skeptizismus, unter dem wir in. der . Zwischenkrip.gszeit sp .sehr„jtu leiden hatten, schon vor 1914 vorhanden waren. Bereits damals waren viele überzeugt, daß das Ende des alten Reiches herannahe. Man lebte, wie die Literatur jener Tage zeigt, in einer ständigen Untergangsstimmung. Wie hätte sich nach dem Zerfall des großen Staates in dem kleinen abgesperrten Oesterreich diese Geisteshaltung nicht verstärkt fortsetzen sollen?
In meiner Darstellung der Geschichte des ersten Jahrzehnts der Zweiten Republik, „Oesterreichs Erneuerung“, schrieb ich: „Ich glaube, die Geschichte der jüngsten Vergangenheit muß auch zu dem Zwecke geschrieben werden, um die Wiederholung verhängnisvoller Fehler in der nächsten Zukunft zu vermeiden.“
Tatsächlich ist es uns bisher, nach dem zweiten Weltkrieg, wenn auch nicht immer ganz leicht, gelungen, jenen Irrwegen fernzubleiben, auf die wir uns nach dem ersten Weltkrieg locken ließen. Oesterreich hat das stabilste politische System aller Länder Europas, diesseits und jenseits der großen Trennungslinie, und vor allem, Oesterreich glaubt an sich. Wie wenig selbstverständlich das ist, geht aus einem Aufsatz des schweizerischen Obersten Otto Scheitlin hervor, der kürzlich unter dem Titel „Gedanken zur geistigen Landesverteidigung" in der „Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift“ erschienen ist. Der Offizier schreibt, was radikale Leidenschaft in der Schweiz im Jahre 1848 zuwege gebracht habe, nämlich die Bundesverfassung habe trotz einiger Anpassungen das Wesen des Arrivierten angenommen, dem der feurige Atem ausgegangen ist. Er fährt fort: „Darum döst die Schweiz noch in der Bürgerlichkeit des neunzehnten Jahrhundęrts, während die Welt von der größten Revolution bewegt wird. Es ist zu einer Schicksalsfrage geworden, ob die zündende Idee unserer Geschichte noch ausreichende Leuchtkraft besitzt: nämlich die Freiheit.“
Ich will es dahin gestellt sein lassen, ob das Urteil des Autors mit der schweizerischen Wirklichkeit übereinstimmt, ob er nicht allzu hart über seine Landsleute urteilt. Sicher ist aber, daß Menschen, welche die Freiheit verloren hatten, wissen, was sie ihnen bedeutet. Das eigentliche österreichische Wunder besteht darin, daß die Oesterreicher sich selbst und ihr Land gefunden haben, daß sie wissen, was sie leisten können, daß sie endlich sich selbst vertrauen. Das aber ist eine Grundlage dafür, daß Europa sich auf Oesterreich verlassen kann, daß Oesterreich, obwohl neutral, eine Bastion des freien Europas wird.
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