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Bayern—altes Land im jungen Bundesstaat

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Daß Bayern heute unter den Ländern der Deutschen Bundesrepublik der Flächenausdehnung nach das größte ist, nach seiner Einwohnerzahl und seiner Wirtschaftsleistung an der zweiten Stelle im Bund steht, mag nicht ausschlaggebend sein, denn schon die bevorstehende Bildung des Südweststaates kann diese Reihenfolge ändern. Viel wesentlicher ist, daß Bayern unter allen Ländern im gegenwärtigen Deutschland das einzige natürlich gewachsene ist und nicht wie die anderen durch den Zufall besatzungstechnischer Notwendigkeit auf den Kartentischen der alliierten Armeen entstand. In seinen seit IVs Jahrhunderten unveränderten Grenzen wuchsen die Franken, Schwaben und Altbayern zusammen zum bayrischen Volk, dem ein in Jahrhunderten entwickeltes Staatsbewußtsein eigen ist, das in anderen westdeutschen Ländern fehlt und kaum verstanden wird. Da die bayrische Art sich in manchem recht eigenwillig von den Nachbarn unterscheidet und überdies zum bedächtigen Festhalten an Bewährtem, Althergebrachtem neigt, wird die hartnäckige bayrische Verteidigung der unangetasteten Staatlichkeit innerhalb der Bundesrepublik und der kulturellen Eigenständigkeit oft als rückständige Eigenbrötelei nachsichtig ironisiert oder als gefährlicher Separatismus scharf angegriffen.

Aber das Bayern von 1952 ist weder rückständig noch separatistisch. Das gemeinsame Unglück hc.t Land und Volk mit den Nachbarn eng verbunden und zu einer Kraftanstrengung aufgerufen, die sich im Gesicht des Landes auszuprägen beginnt.

Um fast drei Millionen Evakuierte, Heimatvertriebene aus den Ostländern und Displaced persons der verschiedensten Nationalitäten hat die Bevölkerung in den Monaten des Zusammenbruchs zugenommen, und der nicht sehr üppige bayrische Boden versagte das Brot für die plötzlich um ein Drittel vergrößerte Einwohnerzahl. Hunderttausende suchten Arbeit, und eine Entwicklung, die schon vor Jahrzehnten eingesetzt hatte, wurde kräftig vorangetrieben. So wurde Bayern, das alte Bauernland, zu einem der wichtigsten Industrieländer Westdeutschlands. Zwar fehlen Kohlen und Erze zu einer Schwerindustrie wie im Kohlenpott der Ruhr, aber die weiße Kohle' seiner ausbaufähigen Wasserkräfte am Inn und an der Donau — Bayern ist bei großen gemeinsamen Kraftwerkbauten Österreichs Partner — und die aus dem t-aditiönsreichen Handwerk kommenden tüchtigen Facharbeiter ließen hochwertige, arbeitsintensive Spezialindustrien entstehen, die der bayrischen Wirtschaft eine Exportleistung von 153 Millionen DM allein im Dezember 1951 ermöglichten.

Der wirtschaftlichen Initiative entsprach die poetische, die Bayern heute in der Bundesrepublik eine ganz andere Stellung einräunit, als es sie etwa in Bismarcks Reich noch 1870 oder in der Republik von Weimar bis 1933 innehatte. Damals bestand Bayerns Kampf für einen echt föderalistischen Bundesstaat vor allem in der eifersüchtigen, argwöhnischen Verteidigung der bayrischen Reservatrechte" und aller Merkmale der Eigenstaatlichkeit. In der heutigen Bundespolitik steht Bayern nicht mehr mißtrauisch im politischen Schmollwinkel, sondern mitbestimmend mitten in der Bundespolitik. Der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Doktor Hans E h a r d, der seit 1948 mit ruhiger Energie die bayrische Regierung leitet, hat inzwischen die Richtigkeit seiner Auffassung bewiesen, daß die oft zitierten bayrischen Belange besser durchgesetzt werden können, wenn sich Bayern möglichst kräftig in die Bundespolitik einschaltet, anstatt die politische Aktivität abseitsstehend in beleidigten Protesten zu erschöpfen. Sechs gebürtige Bayern unter den dreizehn Bundesministem und die Tätigkeit des von Bayern im Grundgesetz entgegen der ursprünglich geplanten zweiten Kammer durchgesetzten Länderorgans des Bundesrates sind ein Zeichen dieser Politik, die Bayern mit dem Bund so stark verknüpft, daß die von Eingeweihten immer wieder aufgewärmten Spekulationen über ein Ausscheiden aus dem Bund und ein bayrisches Interesse an einem künftigen Donaustaat keine politische Realität haben.

Das bedeutet gewiß keine Kapitulation vor dem Bonner Zentralismus, denn die Spannung zwischen dem jungen Bundeshauptstädtchen am Rhein und der politisch von jeher wichtigsten Landeshauptstadt an der Isar ist kaum geringer als früher zwischen Berlin und München, aber sie ist jetzt voll echter Dynamik und fruchtbarer als einst.

Wer aus dem ultramodemen Bonner Bundeshaus, diesem aus lauter Hygiene und Technik gebauten überhitzten Brutofen der Bundespolitik, kommt und nach einer achtstündigen Schlafwagenfahrt die Isarhöhe hinaufsteigt zum Bayerischen Landtag im Maximilianeum, wo früher die königlichen Pagen durch hohe Fenster auf die weithingebreitete Silhouette der Stadt zum Doppelturm der Frauenkirche mit den behäbigen patinagrünen Hauben lugen konnten, der spürt gleich den wohltuenden Unterschied der politischen Atmosphäre. Auch im Bayerischen Landtag gibt es harte, gelegentlich mit bajüvarischer Grobheit geführte Debatten; aber in seiner Gaststätte wird noch der gute, alte Brauch des politischen Weißwurstschoppens gepflegt. Hier sitzen die Streiter im Plenum einträchtig an einem Tisch. Meinungsverschiedenheiten, die anderswo in Deutschland die politische Doktrinäre so schnell zu gehässigen, unversöhnlichen und unsachlichen Gegnern machen, werden hierzulande nicht so schnell persönlich genommen. Neben dem scharf treffenden Witz gedeiht da in der Politik noch der menschlich versöhnende Humor; Vom Präsidentenstuhl dieses Parlaments klang ein beherzigenswertes, Büchmann würdiges Wort keineswegs zynisch. — aber meine Herren! Man darf die Dinge doch nicht so tragisch nehmen, wie sie sind!“ — Hier wirkt eine parlamentarische Tradition, die älter und echter ist als die der meisten anderen deutschen Länder, denn die Konstitution von 1818 blieb nicht nur, wie so manche zeitgenössische Verfassungen, auf dem Papier stehen. Radikalismus und engstirniger Nationalismus gedeihen hier schlecht.

Es ist bezeichnend, daß in dem Jahr, das in der Bundesrepublik die Gegensätze zwischen Regierung und Opposition so gefährlich verhärten ließ, in Bayern eine Koalition recht erfolgreich regiert, deren Hauptstützen die in Bonn durch Abgründe getrennte Gegner sind: die Christlichsoziale Union, die der CDU im Bund entspricht, und die Sozialdemokratie, die in Bayern wieder wie zu Herrn von Vollmars Zeiten vom Träger eines adeligen Namens, Waldemar von Knoeringen, geführt wird. Ihr unentwegter weißblauer Föderalismus, den besonders der bayrische Innenminister Dr. H o e g n e r vertritt, hat freilich schon manchen schiefen Blick aus der stramm zentralistisch und parteidogmatisch ausgerichteten hannoveranischen SPD-Hochburg herausgefordert.

Das Funktionieren der großen Koalition, der noch die Flüchtlingspartei BHE angehört, kann freilich die Probleme der bayrischen Innenpolitik nicht lösen. Sie bleiben groß genug und so kompliziert, daß es dem Außenstehenden oft schwer fällt, sie zu verstehen. Wie soll auch ein Nichtbayer den Unterschied begreifen zwischen CSU und der oppositionellen Bayernpartei? Ihre Auffassungen decken sich so weitgehend, daß die Abstimmung im Parlament gelegentlich — wie jüngst bei der Gemeindeordnung — mit ihren Stimmen gegen die übrigen Regierungsparteien und die FDP entschieden werden. Es gäbe, so sagt man boshaft, in Bayern gegenwärtig die große Koalition der Exekutive und die aus CSU und Bayernpartei gebildete kleine Koalition der Legislative. Nicht nur die Bayrische Volksaktion, die die verkrachten Brüder CSU und Bayernpartei wieder zusammenführen möchte, erwägt die Möglichkeit einer tatsächlichen Regierungsbildung durch eine kleine Koalition, die insbesondere bei den bevorstehenden Debatten über die Lehrerbildung und andere kulturpolitische Fragen den Standpunkt der beiden Kirchen in dem von starker christlicher Überlieferung bestimmten, trotz großer Bevölkerungsumschichtung immer noch überwiegend katholischem Lande klarer vertreten könnte. Auf dem Papier ergibt sich für eine solche kleine Koalition eine Mehrheit von einigen Stimmen. Die recht heterogene Zusammensetzung der Bayernpartei, die von wittelsbachschen Monarchisten bis zu den recht radikalen,- fast antiklerikalen Nachfahren des Bauernbundes reicht, läßt aber an der soliden Grundlage einer solchen Regierung gegenüber der geschlossenen Opposition des übrigen Hauses zweifeln. Vorzeitige Neuwahlen, die die Folge einer solchen Entwicklung sein könnten, würden unter den gegenwärtigen Verhältnissen den Parteien der kleinen Koalition kaum den notwendigen Gewinn, vielleicht sogar Verluste bringen. Diese nüchterne Überlegung mag die bisher über alle Fährnisse gekommene große Koalition wohl auch über das klippenreiche Fahrwasser der nächsten Zukunft bringen.

An Bayerns Kurs in der Bundespolitik wird die vor den nahen Gemeindewahlen labile innenpolitische Entwicklung wenig ändern. Er ist und bleibt unbeirrbar föderalistisch. Zwar haben oppositionelle Kritiker dem bayrischen Ministerpräsidenten vorgeworfen, er habe Bayerns historischen Auftrag als größter und stärkster Anwalt des süddeutschen Föderalismus verraten, als er dem unterlegenen Südbaden und seinem Präsidenten Leo Wohl eb nicht beisprang in seinem Kampf' gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und das knappe Wahlergebnis, das nun dem Südweststaat zum Dasein verhilft. Als Sprecher Bayerns hat Ministerpräsident Dr. Ehard keinen Zweifel darüber gelassen, daß auch er am liebsten die Wiederherstellung der alten Länder Württemberg, und Baden gesehen hätte, die von 1871 bis 1933 mit Bayern in bewährter, gesund rivalisierender Gemeinschaft den deutschen Süden im alten Kaiserreich und in der Republik vertraten. Die Entscheidung für den Südweststaat, die von der Bevölkerung der beteiligten Länder zwar knapp, doch offenbar staatsrechtlich korrekt getroffen worden ist, muß auch von Bayern hingenommen werden, zumal es keineswegs eine grundsätzliche Entscheidung gegen den deutschen Föderalismus ist. Ein großes, lebenskräftiges und gut fundiertes Staatswesen, zu dem sich der Südweststaat wohl entwickeln wird, kann ohne Zweifel schnell ein eigenes Staatsbewußtsein hervorbringen und so ein festerer Grundstein eines bundesstaatlichen Aufbaues werden, als es die von Besatzungsgrenzen aufgesplitterten kleinen Staatsgebilde im deutschen Südwesten bisher sein konnten. Die Minderung der süddeutschen Stimmen im Bundesrat durch die Bildung des Südweststaates ist für Bayern allerdings ein politisches Problem. Die Befürchtung, sic führe zu einer bedenklichen Schwächung der konservativen, föderalistischen und positiv christlichen Kräfte im Bundesrat — und damit in der Bundespolitik, ist wohl zu bedenken. Die Entwicklung wird auch davon abhängen, welche politische Struktur sich im neuen Südweststaat durchsetzen wird. Die CDU hat hier gute Möglichkeiten, wenn nicht der Zwist mit den verärgerten Südbadener ihre Stellung schwächt, überdies darf der Bundesrat als reines Länderorgan nicht ohne weiteres mit den Maßstäben eines von parteipolitischen

Überlegungen bestimmten Parlaments gemessen werden.

Das Verhältnis zum neuen großen Nachbarn im Westen wird von Bayern gewiß nicht aus dem antiquierten Blickwinkel machtpolitischer Rivalität betrachtet werdenj auch zum Konkurrenzneid auf den wirtschaftlich sehr starken Anrainer hat Bayern im Bewußtsein seiner eigenen Kraft wenig Anlaß.

Schneller fast als in der ob ihres tüchtigen Erwerbssinnes bekannten schwäbischen Hauptstadt Stuttgart wuchsen in München die Neubauten aus dem Boden. Manche davon muten so hypermodern an, daß man fast fürchtet, auch diese Stadt beginne schon für den Preis eines schnellen Wirtsdiaftsaüfstieges ihre Seele zu verkaufen. Aber Schwabing, das kosmopolitische Künstlerviertel, hat immer wieder bewiesen, wieviel Fremdartiges die bayerische Landeshauptstadt aufnehmen kann, ohne darüber ihre herzhafte Eigenart zu verlieren. f. b.

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