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Ehrenrettung des Föderalismus

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Manche sagen, es liege am Föhn. Andere behaupten, es komme vom Isarwasser. Viele aber in Deutschland halten Föderalismus für eine bayrische Besonderheit, wie den Fasching oder die Weißwurst. Und so gehen denn auch die absonderlichsten Vorstellungen darüber um: Es sei Kleinstaaterei, und bei dieser Behauptung sieht man Bürgersoldaten in Uniformen des 18. Jahrhunderts vor Schlagbäumen stehen; es sei Ausdruck deutscher Uneinigkeit, und dabei sieht man die besagten Bürgersoldaten leibhaftig aufeinander losgehen; oder es sei Separatismus, unter dem man sich nicht viel mehr als unter Föderalismus vorstellt. Ja schließlich meinen viele, der Föderalismus sei sozusagen das Kuckucksei der Alliierten, das sie nach 1945 den Deutschen aufoktroyiert hätten, damit diese nie mehr groß und stark und mächtig würden. In der Diskussion um den Föderalismus ist in Deutschland sozusagen jeder Griff erlaubt, kein Argument töricht genug, um nicht angebracht zu werden. Da wird von durchaus normalen Menschen die Behauptung aufgestellt, im Zeitalter der Sput- und Spätniks, der Düsenflugzeuge und der Scharnow- reisen müßten Relikte wie selbständig regierte Länder in einem deutschen Bund, verschwinden. Sie seien außerdem alle sozialdemokratisch regiert, und ihre Rundfunkanstalten seien rot. Wen kümmert’s, daß von den zehn Länderregierungen sechs eine CDU-Koalition haben, eines eine sozialdemokratisch-bürgerliche und von den drei sozialdemokratisch regierten Ländern zwei Stadtstaaten sind? Wen kümmert’s, daß die Rundfunkanstalten von Beiräten geleitet werden, deren politische Zusammensetzung nach der Fraktionsstärke der Länderparlamente errechnet wird? Wer das fassungslose Erstaunen mancher deutscher Zeitungen über das Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichtes las, das von dem im Grundgesetz verankerten föderalistischen Aufbau der westdeutschen Bundesrepublik ‘ ausging, hört, was verantwortliche Politiker’ der Bundesrepublik darüber zum böSten gaben, der möchte fast ernsthaft bezweifeln, ob jene Herren wirklich das Grundgesetz gelesen, das Wort vom föderalistischen Aufbau begriffen haben, als sie schworen, das Grundgesetz treu einzuhalten.

Eine überlebte Angelegenheit?

Wollte man diesen Äußerungen Glauben schenken, so würde das den Schluß rechtfertigen, der Föderalismus sei eine überlebte, zwar im Grundgesetz festgelegte, im übrigen aber in Deutschland gar nicht mehr praktikable Form. An dieser Stelle der Diskussion müssen spätestens die romantischen Vorstellungen, die falschen Behauptungen und Ressentiments der nüchternen Überlegung weichen, was der Föderalismus im heutigen Verfassungsleben bedeutet. Dabei werden die so oft von Föderalisten vorgebrachten Behauptungen, die deutschen Länder seien die ältere Institution, wenig Berücksichtigung finden können, denn dieses Argument ist allenfalls auf Bayern, Hamburg und Bremen, mit Einschränkung auf Württemberg-Baden und Schleswig-Holstein anzuwenden, während das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, aber auch Niedersachsen, Hessen und Saarland ihr Entstehen erst dem Jahr 1945 verdanken. Von der oft dem Föderalismus nachgerühmten Tradition kann bei letzteren keine Rede sein. Trotzdem hat sich gegenüber der Weimarer Republik ein bedeutsamer Wandel vollzogen:Stand damals Reich gegen Länder, gab es damals zwischen ihnen einen Konflikt nach dem anderen, und gelang es dem Organ der Länder, dem Reichsrat, nicht, sich einen geachteten Platz im Verfassungsleben zu erobern, so herrscht heute, vom Fernsehstreit einmal abgesehen, zwischen Bund und Ländern ein befriedigendes Verhältnis, hat der Bundesrat sich einen geachteten Platz im Verfassungsleben erobert. Dieser Platz ist um so bedeutungsvoller geworden, als der Bundestag, seit 1953 die CDUCSU dort die absolute Mehrheit gewann, an Bedeutung verloren hat. Der Staatsaufbau der westdeutschen Bundesrepublik hat hier ein sehr wesentliches, die Omnipotenz der Bundesregierung heilsam beschränkendes Element gewonnen. Von hier sind dem Föderalismus neue Kräfte und neue Anhänger erwachsen, die nichts mit dem historischen Föderalismus zu tun haben, sondern von der Erkenntnis ausgehen, daß eine sich unter Umständen entwickelnde Parteidiktatur der mehr als 50 Prozent der Bundestagsmandate einnehmenden CDUCSU am besten über eine Ländervertretung abgewehrt werden kann. Von hier wird heute der Föderalismus oft überzeugender vertreten als von München, von wo mitunter Argumente in die Debatte geworfen werden, die geeignet sind, die föderalistischen Anschauungen wirklich in die Nähe der vielgerühmten Weißwurst zu bringen. Auch ist bekannt, daß Bayern, dem mit Bierhefe angereicherten Isarwasser und dem Föhn entronnen, mitunter, wie Strauß und Schäffer, recht zentralistische Gedanken zu vertreten beginnt.

Fruchtbare Arbeit

Im öffentlichen Leben aber hat die föderalistische Struktur schon manche beachtliche Erfolge erzielt. Sieht man einmal von der Organisation des zweiten Fernsehens ab, die den Länderministerpräsidenten sehr viel überzeugender gelungen ist als dem zentralistischen, praktisch auf Adenauer abgestellten Konkurrenzunternehmen, so kann man etwa auf die Erfolge der ständigen Landeskultusministerkonferenz auf dem Gebiet des Schulwesens hinweisen. Auf diesem Gebiet, das in Westdeutschland ganz den Ländern überlassen ist, wurde Überzeugenderes geleistet, als bisher von denen vorgeschlagen wurde, die ein Bundeskultusministerium betreiben. Viele vom Bundestag beschlossene Gesetze wurden erst von den regierungsgewohnten Ländervertretern des Bun desrates auf eine Form gebracht, die den juristischen Anforderungen entsprach. Nicht unerwähnt kann in der Situation des Eichmann-Prozesses bleiben, daß die Länderjustizminister auf freiwilliger Basis in Ludwigsburg in demselben Jahr, 1958, eine staats- anwaltschaftliche Zentralermittlungsstelle für NS-Verbrechen schufen, in dem Bundesjustizminister Schäffer seine umstrittene Äußerung tat, das Jahr 1959 werde endlich das Ende diesbezüglicher Nachforschungen erbringen, da Totschläge nach 15 Jahren verjährt seien.

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