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Gespaltene Schweiz

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Bekanntlich hat das Schweizervolk mit einer überaus knappen Mehrheit von nicht einmal einem Prozent die Initiative verworfen, welche die Waffenausfuhr verbieten wollte. Von den rund 3,5 Millionen Stimmberechtigten sprachen sich 584.726 dafür, 593.205 dagegen aus. Die beiden Lager halten sich also — wenn die Mathematik stimmt — die Waage.

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Bekanntlich hat das Schweizervolk mit einer überaus knappen Mehrheit von nicht einmal einem Prozent die Initiative verworfen, welche die Waffenausfuhr verbieten wollte. Von den rund 3,5 Millionen Stimmberechtigten sprachen sich 584.726 dafür, 593.205 dagegen aus. Die beiden Lager halten sich also — wenn die Mathematik stimmt — die Waage.

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In der Politik aber sind es nicht allein die mathematischen Gesetze, die den Ausschlag geben, und das Patt, das sich in dieser wichtigen Frage eidgenössischer Zukunft ergab, dürfte sowohl den Gegnern wie den Befürwortern hart im Magen liegen. Wobei ja schon problematisch wird, wen man wo einreiht, denn die Gegner der Initiative sind die Befürworter einer Waffenausfuhr. Zu ihnen gehörte zweifellos das Eidgenössische Militärdepartement, also das Verteidigungsministerium, dessen Vorsteher, Bundesrat Rudolf Gnägi, sich noch am Abend der Abstimmung „erleichtert“ gezeigt hatte, denn „mit der Annahme der Initiative wären wir in eine äußerst schwierige Situation geraten“, sagte Verteidigungsminister Gnägi. Die In-itianten selbst aber erklärten, sie seien — obwohl geschlagen — außerordentlich erfreut, denn mit einem so knappen Ausgang hätten sie nicht gerechnet.

Wieviel ehrliche Erleichterung oder Freude vorhanden und wieviel Zweckoptimismus mit im Spiele war, läßt sich nicht mit Sicherheit ausmachen. Vermutlich waren Zufriedenheit und Unzufriedenheit auf beiden Seiten etwa gleichmäßig verteilt. Für das Militärdepartement waren die 49,64 Prozent Befürworter aber sicher ein schwerer Schlag. Wenige Tage vorher mußten die Militärs bereits eine erste Niederlage einstecken, als der Bundesrat, der ja als Kollegialregierung amtet, gegen den Willen des Verteidigungschefs beschloß, das teure Spielzeug „Cor-sair“ ebensowenig zu kaufen wie das etwas billigere der Marke „Milan“. Der schweizerische Rüstungschef, der vor einigen Jahren eigens eine Stelle in einem amerikanischen Flugzeugwerk aufgegeben hatte, um nach Bern zu kommen, demissionierte aus Groll. Wichtiger als das aber ist der Umstand, daß nun die gesamte Konzeption der schweizerischen Landesverteidigung in Frage gestellt ist und sicher so rasch wie möglich neu überdacht werden muß.

In dieses Debakel hinein hätte eine vollständige Absage an den Waffenexport gar nicht gepaßt, und in dieser Beziehung ist Gnägis Erleichterung verständlich. Die Anerkennung aber, die er den Ja-Stim-menden gegenüber an den Tag legte, indem er ihre Haltung als Beweis für die Sorge um das humanitäre Image der Schweiz wertete, läßt darauf schließen, daß dieses Patt Konsequenzen haben wird. Man darf ja nicht vergessen, was am Anfang jenes Leidensweges stand, der zur Abstimmung vom 24. September führte: der Biafra-Krieg. Damals war bekannt geworden, daß mit schweizerischen Waffen Rot-Kreuz-Flugzeuge beschossen worden seien, und die Empörung eines großen Teiles des Schweizervolkes war außerordentlich groß. Die zweite Phase war markiert durch die Verurteilung des Waflenindustriellen Dr. Dieter Bührle und einiger seiner engsten Mitarbeiter, denen nachgewiesen werden konnte, daß sie Ausfuhrlizenzen gefälscht hatten, um Waffen auch in Embargo-Staaten liefern zu können. Dies löste dann schließlich die Volksinitiative gegen den Waffen-export aus. Die Militärs ihrerseits wiesen darauf hin, daß „nur“ für etwa 200 Millionen Schweizer Franken im Jahr ausgeführt worden se;

(Ziffer von 1970), wogegen die internationale Waffenausfuhr bei nicht ganz sechs Milliarden liege. Die Friedensfreunde ihrerseits machten geltend, daß Waffenausfuhr ganz allgemein dem Lande Henri Dunants schlecht anstehe, worauf die Militärs wieder mit dem Argument operierten, nur die Möglichkeit der Ausfuhr setze die schweizerische Industrie in die Lage, zu einigermaßen vernünftigen Preisen der Schweizer Armee moderne Waffen zu liefern.

Kein Einfluß der Frauen

Humanität stand also im Widerspruch mit der Schlagkraft der Armee, und gerade deshalb wurde das Ergebnis der Abstimmung mit besonderer Spannung erwartet. Eine zusätzliche Ungewißheit lag in der Tatsache, daß hier erstmals auch die Frauen in einer verteidigungspolitischen Frage mitzureden hatten, so daß nicht mit Sicherheit feststand, ob sie sich von kalten militärischen Überlegungen oder eher emotionalen Beweggründen der Humanität leiten lassen würden. Das Ergebnis bewies, daß die Mitwirkung der Frauen überhaupt keinen Einfluß hatte. Einen ebenso knappen Ausgang verzeichnete zum Beispiel 1963 eine andere schweizerische Volksabstimmung. Es war jene, die Atomwaffen für die Schweiz verbieten wollte. Damals waren die Frauen noch nicht stimmberechtigt, aber es waren ziemlich genau die gleichen Volksschichten angesprochen und ziemlich genau die gleichen Argumente geltend gemacht worden. Und wie gesagt: 1963 ergab auf ein Zehntelprozent genau das gleiche Ergebnis.

Ein anderes Phänomen aber ist am Abstimmungsergebnis vom vergangenen 24. Februar bedenklicher: es zeigt sich einmal mehr, daß der Mentalitätsgraben zwischen deutschsprachiger und französisch- oder italienischsprachiger Schweiz eine Realität ist. Mit Ausnahme des überaus konservativ denkenden Wallis haben alle französischsprachigen Kantone und auch der italienischsprachige Tessin die Initiative angenommen, also dem Waffenausfuhrverbot zugestimmt, wogegen in der deutschsprachigen Schweiz nur die sehr progressiv denkenden Basler und — überraschend — der Kanton Aargau diese Haltung einnahmen.

In diesem Phänomen aber liegt eine Gefahr für die Schweiz, die weder mit Kampfflugzeugen noch mit Waffenexporten überwunden werden kann.

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