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Versuch des direkten Gesprächs

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Als die SED endlich zusagte, daß ihr Gespräch mit der SPD im Juli stattflnden soll, war dies keine Nachricht mehr, die in der Bundesrepublik eine hochgradige Spannung gelöst hätte. Das wochenlange Hin und Her hatte den Spannungseffekt genommen. Dennoch wird ganz Deutschland mit heißem Atem dabei sein, wenn die Mannschaft der SPD in Chemnitz den Leuten Ulbrichts entgegentritt.

Noch immer hat man in Westdeutschland kein klares Bild, aus welchem Beweggrund die SED seinerzeit die Initiative zu dem Gespräch ergriffen hat. Die eine Überlegung geht dahin, die SED sei durch das prompte Eingehen der SPD auf ihren Vorschlag überrumpelt worden. Jahrelang habe nämlich Pankow Briefe und Botschaften nach Bonn geschickt, doch seien diese jedesmal unbeantwortet geblieben, ja meist nicht einmal entgegengenommen worden. Pankow hätte daher auch diesmal nicht mit einer Antwort gerechnet, allenfalls sei es sein Plan gewesen, das sich abermals versagende Bonn als Verewiget der deutschen Spaltung und damit der Unruhe in Europa immer weiter in weltweite Isolierung zu drängen.

Die ersten Reaktionen

Dies unterstellt, hätte die SPD durch ihr sofortiges Zupacken die Offensive Pankows schon im Aufmarsch durcheinandergebracht, so daß Pankow sie nun neu ordnen müsse. Dem entsprachen Informationen, wonach die ungekürzte Veröffentlichung des SPD-Briefes die Bevölkerung der Zone im innersten aufgewühlt habe — Herbert Wehner sprach von einer Grundsee — und daß es infolge davon zu ernsten Meinungsverschiedenheiten im Schoß der SED gekommen sei. Doch muß man alle Informationen, die den Pankower Kreml betreffen, mit einem gehörigen Gran Skepsis aufnehmen, da direkte Nachrichten nur schwer erhältlich sind.

Im Gegensatz zu diesen Überlegungen steht die andere, Pankow sei zu einer wohlberechneten, langfristig gedachten Offensive übergegangen und durchaus darauf vorbereitet, den westdeutschen Politikern zum Schlagabtausch gegenüberzutreten. Dabei hat Pankow von vornherein nicht verschleiert, daß sein Vorstoß, gleichviel, aus welchen Motiven er erfolgte, in erster Linie der SPD galt. Es will wieder mit der Volksfront operieren. Diese Idee haben die Kommunisten in der Weimarer Zeit ebenso wie in der Emigrationszeit hartnäckig immer wieder aufgegriffen und nach 1945 mit katastrophalen Folgen für die Sozialdemokraten in der Sowjetzone verwirk-

licht. Auch später hat Moskau seine Spekulationen auf die SPD nie ganz aufgegeben. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die sowjetrussische Deutschlandpolitik bis zur Tätigkeit des ersten sowjetischen Botschafters in Bonn, Sorin.

Den Spieß umdrehen!

Angesichts des Vorgehens Pankows mußte Bonn versuchen, den Spieß umzudrehen, um aus der Verteidi

gung möglichst schnell herauszukommen. Dies ist wahrscheinlich nicht überall sofort erkannt worden. Seit zwei Jahrzehnten ist es in Westdeutschland eine feststehende Meinung der überwiegenden Mehrheit, mit den Kommunisten der Zone könne man sich nicht an einen Tisch setzen, ganz abgesehen davon, daß sie dies nicht zuerst als einen Schritt zur Wiedervereinigung ansehen, sondern als die Anerkennung eines zweiten deutschen Staates auslegen würden. Darüber hinaus sei es überhaupt sinnlos, mit Pankow ein Gespräch über die Wiedervereinigung zu eröffnen, denn es wolle die Wiedervereinigung ausschließlich unter kommunistischen Vorzeichen. Auch wurde zu bedenken gegeben, dritte Staaten könnten den Absprung zur Anerkennung Pankows suchen, indem sie sich darauf beriefen, daß Bonn ja auch mit Pankow verhandele. Schließlich wurde die Frage aufgeworfen, ob die Rechtsstaatlichkeit es erlaube, Politiker in die Bundesrepublik einreisen zu lassen, die der Staatsanwalt nach geltendem Recht verhaften lassen müßte.

Auf der Gegenseite stand das Argument, endlich stelle sich der Gegner, und mm müsse man unter allen Umständen zufassen, ihn nicht mehr loslassen und an die Wand manövrieren. Dieser Auffassung liegt das sehr starke Selbstbewußtsein zu gründe, daß die Westdeutschen die bessere Sache zu vertreten hätten und folglich die Auseinandersetzung mit Pankow nicht nur nicht zu scheuen brauchten, sondern sie suchen, ja herbeizwingen müßten. Die Berliner Mauer, der Schießbefehl, das Reiseverbot in die Bundesrepublik — diese und andere Fragen, sind sie nicht tödlich für das Regime? Niemand erwartet dabei, daß die politischen Funktionäre der Zone, gleich welcher parteipolitischer Färbung, sich belehren ließen. Aber man verspricht sich von jeder öffentlichen Diskussion, zumal wenn sie auch von Rundfunk und Fernsehen ausgestrahlt wird, eine nachhaltige Wirkung auf die Bevölkerung Ostdeutschlands, eine Unterhöhlung des politischen Untergrundes, über dessen fragwürdige Festigkeit sich auch Ulbricht, wie man zuverlässig weiß, keinen Illusionen hingibt.

In den Mühlen der Parteipolitik

In einem Punkt waren allerdings die westdeutschen Gegenspieler Ulbrichts nicht gleich in der bestmöglichen Ausgangsposition. Eigentlich war keine der drei Parteien auf die Auseinandersetzung zu diesem Zeitpunkt direkt vorbereitet. Insbesondere bestand keine Abstimmung unter den drei Parteien. Die Fragen, ob man eine Politik der kleinen Schritte betreiben solle, wie weit diese gehen dürfe, ob die Lösung nicht in Moskau, statt in Pankow gesucht werden müsse usw. sind seit

Jahr und Tag umstritten. Die Beratungen des Bundeskanzlers mit den Parteien über das Vorgehen bei dem Gesprächsexperiment mußten infolgedessen nicht nur das taktische, tagesbezogene Verhalten abklären. Sie mußten auch eine Abstimmung über Grundsatzfragen herbeizuführen versuchen. Daß dies nicht vollständig gelang, trat bald zu Tage als Erhard und Wehner aufs heftigste darüber aneinandergerieten, ob die Möglichkeit einer Konföderation zu bejahen sei oder rundweg ver

neint werden müßte. Die Westdeutschen leiden auch in diesem Fall darunter, daß es in einer Demokratie schwerer ist als in einem totalitären Regime, rasch eine einheitliche Willensbildung herbeizuführen.

Es wäre daher auch kaum möglich, heute in der Bundesrepublik eine Antwort auf die Frage zu erhalten, wie das Experiment weitergehen soll, nachdem es mit den zwei Gesprächen in Chemnitz und Hannover angelaufen ist. Da die Kommunisten überdies alle westlichen Spielregeln verachten, muß man ständig darauf gefaßt sein, daß sie urplötzlich die Fühlungnahmen abbrechen, weil sie ihnen nicht mehr

nützlich zu sein scheinen. Mit diesem inneren Vorbehalt sieht in der Bundesrepublik wohl jedermann der ersten Begegnung mit der SED entgegen. Die SPD bildet dabei zwar den Vortrupp, und mancher in der CDU hat das nicht ungern, aber die CDU kann anderseits der SPD nicht die Führungsrolle überlassen, wo es um das deutsche Schicksal geht — gleichgültig, wie der Ausgang der ersten zwei Veranstaltungen sein mag, in jedem Fall ist ganz Bonn, die ganze Bundesrepublik davon ungeteilt betroffen.

Ernste Waffengänge

Darüber hinaus läßt sich die Deutschlandfrage zur Zeit wahrscheinlich überhaupt nur in Bewegung bringen, indem die Deutschen ihre Sache selbst in die Hand nehmen. Von den Westmächten ist eine

Initiative nicht zu erwarten. Alle deutschen Vorschläge, die auf der Viermächteverantwortung für die deutsche Wiedervereinigung basierten, sind im Washingtoner Botschaf- terlenkungsausschuß liegengeblieben, weil vorauszusehen sei, daß sie in Moskau auf Ablehnung stoßen würden. Kein Wunder, da Moskau die Viermächteverantwortung rundheraus leugnet und erklärt, die Wiedervereinigung sei nur durch eine Verständigung zwischen Bonn und Pankow auf paritätischer Grundlage herbeizuführen.

In Chemnitz und Hannover werden daher — sofern sie zustande kommen — ernste und aufschlußreiche Waffengänge stattfinden. Aber das Mühen um die deutsche Wiedervereinigung wird dadurch nicht weniger langwierig und aufreibend bleiben.

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